Der Tod und das Mädchen
Verfasser: Günter Hölscher, Julia Richling, Oliver H. Herde und Ralf Büngener
RB
Zweites Frühstück, das klingt auch für Jana gut. Und inzwischen ist ihr Unbehagen vor dem sprechenden Tod der Begeisterung über eine überwältigende Theatermechanik gewichen. Hoffentlich kann sie herausfinden, wie sie funktioniert, um sie später selbst einzusetzen.
"Was für eine Freude, Euch zu treffen, Meister Avedios. Vielleicht könnt Ihr uns etwas über den Karren und seinen Besitzer erzählen." Mal sehen, was diese Puppe noch drauf hat.
Immer noch sichtlich aufgeregt, hilft die Schauspielerin den beiden Narren vom Karren. Was dabei am und um den Brunnen vor sich geht, entgeht vollkommen ihrer Aufmerksamkeit.
OHH
Für einige buchstäbliche Augenblicke erwartet Widumir die geistvolle Antwort des Angesprochenen, welche jedoch leider nicht erfolgt. Dann betrachtet er Jana, als müsse sie noch irgendein Kommando oder einen Kommentar von sich geben, bevor es sich gen Schankraum ziehen lässt. Jedenfalls lässt auch dies beides auf sich warten. Zirpen da nicht irgendwelche Grillen im Hintergrunde?
Schluss damit! "Prost!" rufend, setzt sich Widumir in Bewegung, den genügsamen Toten mit sich ziehend. Ob Jana am anderen Ende dranhängen bleibt, wird sich ja gleich zeigen.
RB
Gespannt erwartet die Schauspielerin die Antwort des Todes, die allerdings ausbleibt. Als sich schließlich Widumir in Bewegung setzt, schließt sich Jana an. Obwohl sie es nicht glaubt, hofft sie, dass die Puppe laufen wird. Als das aber erwartungsgemäß ebenfalls ausbleibt, greift die junge Frau ihr im wahrsten Sinne des Wortes unter die Arme und zieht sie mit sich.
Auf dem Weg über den Hof erhascht Jana einen Blick auf Vinizarah und Alrik. Die beiden Verliebten stehen immer noch eng beieinander. "Hatte Alrik nicht vorhin noch eine Hose an?" entfährt ihr, bevor sie es verhindern kann.
GH
Ein Scheppern, Knarzen und Gliederknacken folgt statt einer Antwort, als die Puppe von ihren menschlichen Begleitern über den Hof geschleift wird. Und tief in ihrem Inneren scheint eine Feder zu stöhnen, gerade als ob es dem Tod nicht recht wäre, nun wieder unter Lebenden zu weilen.
Etwa auf der Mitte des Hofes lässt sich leise ein helles Plingen vernehmen. Man muss schon aufmerksam sein, um es zu bemerken. Ebenso wie den glänzenden fingerlangen Gegenstand, der hinter der lebensgroßen Figur mit jenem Geräusch zu Boden gefallen ist.
OHH
Solcherart von Nebensächlichem abgelenkt, bekommt Widumir den Verlust des Avedios erst einmal nicht mit, sondern schaut zu dem Turtelpärchen hinüber. Lustig; das Fräulein hat eine ihm ähnliche Frisur. Ob sie wohl aus gleichem Stall kommt? Ein wenig hat er das Gefühl danach.
Auf Janas Frage jedoch erwidert Widumir: "Ich achte meist nicht so sehr darauf, was die Leute so an sich tragen. Findest du, es steht ihm nicht? Oder meinst du, es sei eine nachahmenswerte Mode?" Immer breiter ziehen sich die Mundwinkel auseinander und empor, während der Schelm wimperklimpernd seine Reisegefährtin betrachtet.
JuR
Vinizarah lächelt ein verlegenes, warmes, sanftes, liebevolles Lächeln und winkt, ehe sie sich umdreht, um ihren Weg mit leichten Schritten fortzusetzen. Oder zumindest ist das der Plan, entdeckt sie doch - für die in Gedanken Versunkene gewissermaßen aus dem Nichts erscheinend - Jana und ihren Begleiter. "Guten Morgen, ihr beiden!" begrüßt sie sie mit einem befreit klingenden Lachen.
RB
Die Schauspielerin lauscht misstrauisch den Geräuschen aus dem Inneren der Puppe. Spätestens jetzt ist völlig klar, dass es sich um ein mechanisches Artefakt handelt. Hoffentlich ist es nicht kaputtgegangen. Sie freut sich schon darauf, es mit Alain zusammen zu untersuchen und die Funktionsweise zu ergründen. Solchermaßen mit Lauschen beschäftigt, entgeht ihr nicht, dass die Puppe etwas verliert.
Bevor sie sich allerdings darum kümmern kann, muss Jana zunächst auf Widumirs launige Bemerkung antworten. Sie betrachtet ihn eingehend und entscheidet dann: "Ohne deine bunte Hose wärst du nur halb so schön."
Dann wird sie aber schon von Vinizarah abgelenkt, die plötzlich wie aus dem Nichts erscheint. "Guten Morgen", holt Jana ihren vorhin verschobenen Gruß nach und stutzt dann kurz, überrascht, sie alleine zu sehen, "du eine."
Jetzt muss sie sich aber um Avedios' Hinterlassenschaft kümmern, bevor sie das vergisst. Sie nimmt also den Arm des Narren, den sie sich über die Schultern gelegt hatte und bietet ihn Vinizarah an. "Hältst du mal kurz, bitte?"
JuR
Während Jana offenbar mehr als nur ihre Wenigkeit erwartet hat, muss Vinizarah wiederum erkennen, dass sie ihrerseits mit 'ihr drei' besser gelegen hätte. Dafür erhält der Dritte im Bunde nun eine Extraportion ihrer Aufmerksamkeit. 'Wer oder was bei den Zwölfen ist... das?' Sie hat kaum den Gedanken zu Ende gedacht, geschweige denn mit dem Finden einer Antwort begonnen, als ihr Jana bereits ihren Teil der Last anbietet.
"Ä„h..." erwidert die kleine rothaarige Frau und bemerkt, wie sie instinktiv abwehrend die Hände erhoben hat. Sogleich kommt ihr diese Geste albern vor. Es ist ja nur eine Puppe. Eine lebensgroße Puppe. Eine lebensgroße, gruslige Puppe, die so wirkt, als könne sie eine wiederkehrende Rolle in ihren zukünftigen Alpträumen spielen. Wo sie doch schon als kleines Mädchen einen großen Bogen um den Winterbold gemacht hat. Und der war nur aus Stroh...
"Sicher", bringt sie schließlich nach einem Moment der Überwindung in Begleitung eines äußerst tapferen Lächelns hervor und streckt die Hände - spitze Finger voran - nach dem... irks... Arm aus.
GH
Blechern und düster erhebt der tanzende Tod seine Stimme, kaum, dass sein Gliedmass einmal mehr irgendwohin weitergereicht wird: "Sehr armgenehm!" Müde hört das sich an, geradezu sterbensmüde, als erlahme im Inneren der Puppe die Kraft.
JuR
"IAIIIKS!" Vinizarah erhebt ihrerseits nicht nur ihre Stimme, sondern auch ihren Körper, als sie vor lauter Schreck einen Sprung zurück macht. Die Hände befinden sich nun wieder abwehrbereit vor ihr, die Muskeln sind angespannt, und es fehlte nicht viel, dass sie nun einen Buckel machte und das unheimliche Ding anfauchte.
OHH
Leidlich interessiert, beobachtet Widumir das Gespräch der drei anderen und Janas zunehmend abwärts gerichtetes Gehabe, bis ihm das kleine rothaaarige Mädchen mit seiner Reaktion auf die Puppe die Brauen emporhebt.
Beschwichtigend hebt er eine Hand, während er seinen neuen Kumpel mit der anderen allein hält. "Nur keine Furcht vor Avedios! Er wollte bestimmt nicht anzüglich werden, und schau nur wie schläfrig er ist! Vielleicht tut ihm ein Tee gut."
RB
"Täuschend echt, nicht wahr?" freut sich Jana über die Wirkung, die Avedios hat, ohne im Geringsten über die Auswirkung nachzudenken. "Wir haben ihn da hinten auf dem Karren gefunden und Widumir wollte ihn unbedingt zum Frühstück einladen", plappert sie weiter, "allerdings scheint er nicht mehr ganz in Ordnung zu sein und hat gerade sogar etwas fallen gelassen." Sie rümpft scherzhaft die Nase und deutet auf den glänzenden fingerlangen Gegenstand, der hinter der lebensgroßen Figur auf dem Boden liegt.
JuR
Avedios? Schläfrig? Tee und Frühstück?
Vinizarah versteht kein Wort, doch kommt immerhin bei ihr an, dass die anderen offenbar keine Angst vor dieser sprechenden Gruselpuppe haben, und somit die Wahrscheinlichkeit, dass diese sich nun in Bewegung setzen wird, um mit einem starren Grinsen im Gesicht Leben und Seelen zu ernten, als eher gering einzuschätzen ist.
Vorsichtig entspannt sich die Rothaarige, auch wenn sie von einer Erwiderung des 'Sehr angenehm' weit entfernt ist. Allein Janas Fingerzeig nach unten ist dazu geeignet, sie wahrhaft zu erfreuen. "Ich heb's auf", bietet sie rasch an und macht sich ebenso eilig ans Werk, sichtbar froh, dem Puppentragen vorerst entkommen zu sein.
OHH
Da wird sich der Herr de Malonza bestimmt freuen, zu seinen beiden sänftenlosen Sänftenträgern auch noch eine Zofe erhalten zu haben!
Widumir hingegen sieht sich einer neuen Neugier gegenüber. "Was ist es denn?" erkundigt er sich zunächst nach unten gewandt, muss dann aber doch noch einmal den Verlierenden direkt konsultieren: "Signore, Ihr drückt Euch doch nicht etwa golden aus?" Das klingt einem Adeligen gegenüber gewisslich passender denn die Überlegung, ob er wohl Gold scheiße.
GH
"Danke", knarrt der ermattete Tod, kaum dass die Zofe springt. Und auch auf die Frage de Schelmes lässt er sich noch einmal ratternd hören: "Arrrsch...genehhm". Die Antwort endet in einem Hauchen. Dann sinkt sein Haupt vornüber, gerad als sei er just verschieden.
Vinizarah indes kann einen feingearbeiteten Schlüssel auf dem festgetretenen Boden des Hofes entdecken, ganz aus silbernem Metall und etwa einen Mittelfinger lang.
JuR
"Ein Schlüssel", nimmt die Zofe durch Worte vorweg, was gleich darauf durch das Hochhalten des genannten Objekts offensichtlich wird. Zweifellos wäre dies die Gelegenheit, nun ihrerseits einen schelmischen Wortwitz oder eine ähnlich stimmungserhellende Bemerkung anzubringen, doch Vinizarah steht noch so sehr unter dem Eindruck des bisherigen Morgens, dass für derartige Gedanken gerade einfach kein Platz zu sein scheint. Gewiss werden die beiden anderen das gerne für sie übernehmen.
'Ob Alrik wohl schon im Schankraum ist?' denkt sie stattdessen, während sie den Gegenstand den beiden sänftenlosen Sänftenträgern entgegenhält, um ihre eigene Schlüssel(träger)rolle so schnell wie möglich loszuwerden.
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"Ein Schlüssel!" wiederholt Jana. "Das ist wohl die Art von Frühstück, die Avedios braucht. Hier, halt mal." Mit diesen Worten stülpt sie Widumir den zweiten Arm der Puppe über.
Ihrerseits taucht sie darunter hindurch und macht sich an der Rückseite der Figur zu schaffen. Da muss doch irgendwo ein Schlüsselloch sein, um ihn wieder aufzuziehen. Und das wäre einfacher zu finden, wenn er nicht das Narrenkostüm anhätte. So mag es etwas befremdlich aussehen, wie die junge Frau unter Wams und Hose der Figur herumfühlt.
GH
Ein Klicken und Knistern ist aus dem Inneren der Puppe zu hören, ein Rattern und Raspeln, als die liebfeldische Schönheit sich an deren Gewandung zu schaffen macht. Fast vermeint man, ein heiseres Lachen zu vernehmen, und ihr Arm scheint sich geradezu, um die Schulter des Schelmen zu krampfen. Der Kopf fällt zurück in den Nacken, was vielleicht noch durch das erneute Herumgezerre und Verlagern der Extremitäten zu erklären ist.
Doch dann bricht sich ein feines, hohes metallenes Schleifen von irgendwoher die Bahn, gerade so klingend, als sage jemand: "Hör auf, das kitzelt!"
OHH
Da behaupte noch jemand, Schelme seien schnell und unstet mit ihren Umtrieben! Frauen und andere Puppen schaffen das sichtlich ebensogut. Ein Grund für Widumir, sich ganz zuhause zu fühlen.
Zudem hat er ja dem zutraulich kuschelnden Avedios beiseitezustehen. "Lass das Fräulein Medica noch ein Momentchen machen; bestimmt ist sie gleich fertig mit suchen, und dann wird es gaaanz besooonders schööön!" Zuversichtliches Grinsen unterstreicht die Behauptung.
JuR
Puh, das sieht so aus, als könnte es länger dauern. Normalerweise hätte Vinizarah nichts dagegen und wäre durchaus neugierig darauf, wie sich diese Schlüsselszene weiterentwickelt, doch heute ist nicht alle Tage.
"Jana, nimmst du mir rasch den Schlüssel ab?" bittet sie deshalb die an der Puppe Herumfummelnde. "Ich würd' gern weiter zum Frühstück gehen."
OHH
"Wir doch auch", nickt Widumir vertraulich lächelnd der Eiligen zu. Na also, total ungeduldig, die Weiber! Was ist er doch für ein weltweiser alter Mann geworden! Und er hat nicht mal dreißig Jahre dafür gebraucht!
RB
"Wo hast du denn dein Schlüsselloch, Avedios?" fragt Jana noch. Dann aber erbarmt sie sich Vinizarahs und nimmt den Schlüssel entgegen. "Vielleicht sollten wir ihn so mitnehmen und nicht aufgezogen", schlägt sie vor, als sie sieht, dass die ältere Frau immer noch etwas blass aussieht, "sonst fallen noch vor Schreck alle in Ohnmacht."
JuR
"Danke", sagt Vinizarah, als Jana ihr den Schlüssel abnimmt, um ihr so die Freiheit wiederzugeben. Bei den weiteren Worten muss sie jedoch schlucken. Im ersten Moment überlegt sie, ob sie das einfach so hinnehmen und nun weiter zum Gasthaus gehen sollte, doch dann entscheidet sie sich, doch noch etwas zu sagen.
"Bitte, Jana, Widumir", sie wirft dem fremden und doch irgendwie vertraut erscheinenden Mann einen raschen Blick zu, ehe sie sich wieder der Schönen zuwendet, "findet doch hier erst einmal in Ruhe heraus, was ihr herausfinden wollt. Es... es ist mein erstes Frühstück mit Alrik und es wird mir schon so schwer genug fallen, halbwegs ruhig zu sein und es nicht wieder zu verderben. Und wenn dann diese Puppe in die Nähe ist..." Sie verzieht das Gesicht und blickt wieder die beiden flehend an.
OHH
Am besten wäre Widumirs Antlitz wohl lautmalerisch mit einem geräuschvollen 'HÄ„?' zu umschreiben, so verdutzt schaut er Vinizarah an. Sie sollen nicht in den Schankraum kommen, weil sie mit Alrik sprechen will!? Ist in einem Schankraum nicht üblichwerweise mit verschiedentlichen Gästen zu rechnen? Gut, die Bitte richtet sich wohl vornehmlich und eigentlich an Avedios.
Entsprechend hilflos fragend blickt Widumir nun diesen an, was der wohl von der seltsamen und bestimmt etwas kränkenden Bitte hält, auf sein Frühstück zu verzichten oder unnötig lange zu warten.
JuR
Im ersten Augenblick fühlt sich Vinizarah durch Widumirs Minenspiel zurückgewiesen und ein wenig verletzt. Doch dann gelingt es ihr, das innere Stimmengewirr zur Ruhe zu bringen und ihn richtig wahrzunehmen, die Hilflosigkeit in seinem Blick zu sehen.
"Widumir", sagt sie schließlich sanft und lächelt ihn freundlich an, "wenn du es nicht in dir findest, meine Bitte anzunehmen, musst du nicht woanders danach suchen. Es ist Ordnung."
Sie tritt einen kleinen Schritt zurück. "Ich werde dann jetzt einen kleinen Spaziergang machen, um mich noch ein wenig zu sammeln. Vielleicht verstört mich die Puppe danach auch nicht mehr so."
GH
Zuerst mag es so wirken, als sei das innere Leben des mechanischen Todes wieder erstorben - alle Geräusche aus seinem Inneren sind verstummt, und nichts regt sich mehr. Aber vielleicht ist es auch nur die Höflichkeit, die ihn den Ausgang der Auseinandersetzung seiner menschlichen Begleiter abwarten lässt. Zu den Meinungen über seine erschreckende Wirkung bleibt er stumm.
Doch mit einem Male beginnt es es erneut in ihm zu knacken und zu sirren. "Wo hast du denn dein Schlüsselloch", echot es metallen. Das Haupt der Puppe ruckelt ein wenig - und es wirkt beinahe so, als suche es den Blick der Schauspielerin. Ein Kollern und Klicken aus dem Oberkörper weist, dass dort drinnen irgendetwas arbeitet.
OHH
Mit hoch erhobenen Brauen schaut Widumir die Furchtsame an. Vertreiben will er sie nun wirklich so wenig, wie er selbst vertrieben werden möchte. "Es ist doch nur ein Spielzeug", raunt er hilflos und hält ob seiner Ratlosigkeit die Puppe nicht mehr ganz so aufrecht.
RB
Das erste Frühstück mit Alrik! Das ist so romantisch, dass Jana glatt ins Träumen gerät. Als ihre Träume gerade in die Richtung gehen, was wohl vor dem Frühstück passiert sein mag, kommt Avedios mit seiner ungehörigen Bemerkung dazwischen. Das geht jetzt wirklich in die falsche Richtung und Jana kommt lieber in die Wirklichkeit zurück.
"Vielleicht hat Vinizarah recht", bemerkt sie. Das Frühstück ist wichtig und sollte nicht gestört werden. "Vielleicht ist er eher ein Spielzeug für draußen. Oder für die Theaterbühne aber nicht für eine Gastwirtschaft. Außerdem bin ich inzwischen davon überzeugt, dass ihn eine Behandlung mit dem Schlüssel mehr erfrischen wird als eine Tasse Tee, nicht wahr, Avedios? Aber am besten erst am Ende der Reise, damit er nicht vor lauter Übermut aus dem Karren springt."
JuR
Vinizarah wirft Jana einen dankbaren Blick zu. Dass diese nun sogar überlegt, mit dem Ausprobieren des Schlüssels bis zur Ende der Reise zu warten, beeindruckt die kleine Frau. Wäre sie selbst an der Stelle der Schwarzhaarigen, sie wäre wohl kaum fähig, ihre Neugier derartig lange zu zügeln.
Dann sieht sie wieder zu Widumir. Denn so froh sie auch über Janas Rücksichtnahme ist, so wichtig ist es ihr gleichzeitig, dass er sie versteht und ihm klar ist, dass seine Entscheidung nach wie vor zählt.
"Das weiß ich", sagt sie leise. "Hier weiß ich es." Sie hebt sie Hand und tippt gegen ihre Stirn. "Aber hier", die Hand sinkt auf die Höhe ihres Herzens, "habe ich Angst vor dieser Puppe mit ihren starren Augen. Ich kann es nicht ändern." Sie spürt noch die Gänsehaut, die nach dem kalten Schauer, den ihr die letzten Worte der Puppe über den Rücken gejagt haben, zurückgeblieben ist. "Jedenfalls nicht so schnell."
Sie zuckt entschuldigend mit den Schultern und legt den Kopf ein wenig schief. "Aber wenn es dir wichtig ist, ihn mitzunehmen, respektiere ich das und werde einen Weg suchen, damit umzugehen. Oder ihn zu umgehen." Ein vorsichtiges Grinsen tritt auf ihr sommersprossiges, von wirrem Haar umrahmtes Gesicht.
GH
Infolgedessen, dass der Schelm die Haltung der Figur für einen Augenblick vernachlässigt, schwingt diese klöternd abwärts - und schaut schließlich von schräg unten zu der Sommersprossigen mit dem wirren Haar herauf. Klagend tönt es der kleinen Frau entgegen: "Genau. Ich habe Angst vor dieser Puppe mit ihrem Starren."
JuR
Als die Puppe spricht, bilden Vinizarahs eben noch vorsichtig grinsende Lippen einen dünnen Strich. Mühsam atmet sie durch. Es ist nur eine Puppe. Ein Ding ohne Herz. Es kennt kein Wärme, kein Mitgefühl, keine Liebe oder Güte.
Widumir hingegen ist voll von all dem. Das sieht sie ihm an. Ja, da ist Hilflosigkeit und Verletzlichkeit in seinem Blick, etwas, das sie an Noiona erinnert, als sie noch klein war. Es ist der Blick von jemandem, der tief im Inneren fürchtet, von oben herab behandelt zu werden, fürchtet, dass ihm etwas Entrissen wird und der sich deswegen mit all seiner Kraft klammert. Jemand, der voll Staunen und Unschuld ist. Jemand, der sich danach sehnt, zu geben, Freude zu schenken, der das Unglück von anderen schwer ertragen kann und im Stillen daran leidet, dieses Unglück nicht davonlachen zu können.
Noch ein wenig verschreckt und zaghaft und zugleich doch warm und vertrauend, wagt sich das Lächeln wieder zurück. Sie löst ihre Hand von der Stelle über ihrem Herzen und streckt sie Widumir entgegen.
OHH
Wie schade, dass sich die beiden nicht vertragen! Und vielleicht würden sich noch andere hier erschrecken - vor allem die einfachen Leute. Daher hat Jana sicherlich recht mit ihrem Vorschlag. Folglich verschwimmt der zunächst Enttäuschung verkündende Flunsch auch ob Vinizarahs Geste zunehmend zu einem Lächeln.
"Ja, dann machen wir das so. Hier draußen kann er sich sonnen. Aber für die Reise sollte er dann schon gestärkt sein, finde ich." Auf diese Weise müsste Widumir nicht gar so lange abwarten, was wohl nach dem Aufziehen geschehen mag.
JuR
"Danke, meine Freunde", freut sich Vinizarah sichtlich erleichtert und meint es auch so. Denn was ist ein Freund, wenn nicht jemand, der auf ein Vergnügen verzichtet - oder es zumindest verschiebt - um ihr den Tag ein wenig angenehmer zu machen? Denn auch wenn sie das Angebot eines beruhigenden Spaziergangs ernst gemeint hat, freut sie sich nun umso mehr, Alrik ohne diese Verzögerung gleich wiedersehen zu können.
Um die Hand nicht tatenlos in der Luft hängend zu lassen und in dem Bedürfnis, ihrer Freude nicht nur mit Worten Luft zu machen, streicht sie Widumir über Arm - wobei sie darauf achtet, die Puppe dabei unberührt zu lassen.
RB
Jana ist erleichtert, dass Widumir zustimmt. Ein bisschen besorgt war sie schon, ob er sich so bald von seinem neuen Freund trennen würde. Und neugierig ist sie auch, was Avedios noch so alles drauf hat. Er ist eindeutig die aufregendste Requisite, die sie je gesehen hat.
"Abgemacht", stimmt sie zu. Sie ergreift wieder ihren Arm und setzt zur Drehung an. "Lass ihn uns zu seinem Wagen zurückbringen, und dann reden wir mit dem Wirt, damit er mit uns weiterreisen darf.
Geh ruhig schon einmal vor", fordert Jana Vinizarah auf und zwinkert ihr aufmunternd zu.
OHH
Die sanfte Berührung entschädigt Widumir vollauf und zeigt ihm darüber hinaus, dass er das Richtige getan hat. So wird sie mit einem sanften Lächeln beantwortet.
Bis ihn Janas Worte daran erinner, wie sehr er mit seiner Befürchtung betreffs des Wagens ebenfalls richtig lag, denn die Schlepperei geht ja jetzt schon los, noch bevor sie überhaupt den Gasthof verlassen! Dennoch macht er neutrale Mine zum bösen Spiel. "Jawohl", klingt es etwas hohl, als käme die Stimme aus seinem Bauch, der doch eigentlich in der kurzen Zeit noch nicht so leer geworden sein kann. Um es schnell hinter sich zu bringen, kehrt Widumir bereits mit dem furchtsamen Toten zum Unterstandsüberhang um.
JuR
Vorgehen? Oh ja! Bei der Vorstellung macht Vinizarahs Herz einen kleinen Hüpfer und die Beine tun es ihm gleich. "Dann bis gleich", winkt sie rasch den beiden zu, denen sie mit ihrer
Last ohnehin nicht helfen kann - und bei aller Freude auch nicht möchte.
Von der puppenbezogenen Angst befreit und von der Sehnsucht nach Alrik beeflügelt, gehen die Beine von dem Hüpfer in einen federleichten Laufschritt über, der sie rasch weg vom Hof und seinen Schrecknissen, um die Ecke, hin zur Gasthaustür trägt.
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Jana fasst mit an, und gemeinsam bringen sie die Puppe schnell wieder zum Karren. "Wir können ihn auf den Kutschbock setzen, da kann er die Sonne genießen", schlägt Jana vor und greift etwas tiefer, um ihre Seite hochzuheben.
OHH
Nickend hilft Widumir beim Fremdaufsitzen. "Ja, das sollte ihm gefallen."
Kopfkratzend überlegt er, doch schnell noch mehr über Avedios herauszufinden. Eine kurze Frage an denselben kostet nicht viel Zeit - zumindest rechnet er nicht mit einer mehrstündigen Antwort, sollte es denn überhaupt eine geben. "Kann Er denn schon 'Hüa' sagen, Herr Fuhrmann?"
GH
"Hüa sagen Herr Fuhrmann", kommt es in vorwurfsvoll anmutendem Ton blechern zurück. Gerade so, als hege der Aufsitzende eine Todesverachtung für solch kindische Fragen.
RB
"Wie gut, dass da noch kein Pferd angespannt ist, sonst würde er wohl ohne uns losfahren", lacht Jana und wendet sich wieder Richtung Hof. "Wir müssen Alrik bitten, Tori anzuschirren. Wenn wir ihn schon nicht reiten, kann er wenigstens den Karren ziehen. Ich hoffe nur, er hat keine Angst vor der Puppe."
OHH
Über tierische Ängste weiß Widumir nicht zu urteilen, doch ist er auch viel zu sehr damit beschäftigt, sich über Avedios zu amüsieren. Nach einem kurzen, meckernden Lachen erwidert er Jana, derselben nachfolgend: "Ach, er hat so einen herrlich trockenen Humor!" Ein kehliges Schnarren, welches jenes der inneren Puppenautomatik nachahmt, rundet diese Feststellung ab und wird zur Unterstreichung von einem Schielen begleitet.
RB
Jana amüsiert sich über Widumirs Lautäußerungen. Scherzhaft droht sie ihm mit dem Schlüssel, den sie immer noch in der Hand hält: "Brauchst du auch den Schlüssel? Oder eher die Ölkanne?"
Dabei setzt sie den Weg zum Eingang des Wirtshauses fort. Kurz vor der Tür lässt sie ihren Begleiter passieren, denn mit dem Schlüssel in der einen und dem Schild in der anderen Hand braucht die Dame offensichtlich jemanden, der ihr die Tür öffnet.
GH
Kaum sind die beiden Lebenden außer Reichweite, knarrt es, klirrt und kollert es im Inneren der Puppe. Während sein Körper unbeweglich auf dem ihm zugewiesenen Karrenplatz verharrt, hebt sich, wie von Geisterhand bewegt, der Arm des Todes. Seine Hand fährt aus, beschreibt einen luftigen Bogen und tippt drei Male an die hohltönende Schläfe.
"Laffen!" leiert es lamoyant in die Leere. Dann fällt der Arm zurück, ein wenig schaukelt der Leib noch nach. Der Rest ist Schweigen.
OHH
"Wo wolltest du mir die beiden wohl hinstecken!" entgegnet Widumir spöttisch.
Dann wird er der abwartenden Haltung Janas bewusst. Sein Blick fällt auf die Dinge, mit denen sie sich schon wieder abschleppt. Für jemanden, der nie viel mit sich geführt hat, wird dies schon langsam auffällig.
Gönnerisch nachsichtig verzieht er den Mund und öffnet der Prinzessin von Weltbrett die Türe und somit abermals die Bühne.
Weiter...
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Redaktion und Lektorat: Oliver H. Herde im Jahre 2016