Tischgebet und andere Kuriositäten

Verfasser: Olaf Weber, Oliver Baeck, Oliver H. Herde, Nicole Weber und andere

NW

Am Tische angekommen, setzt sich Melida wieder an ihren alten Platz und lässt dabei - selbstverständlich - Widumirs Hand wieder los. Außer Atem ist sie nicht, zwar war der Tanz durchaus flott, aber die letzten Schritte liegen ja nun auch schon wieder einige Minuten zurück. Ihre bloßen Füße fischen nach den Holzpantinen und schlüpfen hinein, während sie in die Runde lächelt.

OB

Dass Horasios Tochter an den Tisch zurückkehrt, ist willkommene Ablenkung. Allerdings fasst er sich ihr gegenüber kurz: "Naaa?" fragt er mit hochgezogener Braue, aber doch freundlichem Tonfall.

OHH

Schon schade, dass das Händchenhalten so bald vorüber ist! Aber Widumir kann sich schon denken, dass Melida vor ihrem Vater Scheu hat. Zudem stehen die angesteuerten Stühle nicht direkt nebeneinander. So plumpst der Gaukler durchaus wohlgemut auf seinen Platz von vorhin nieder.

NW

"Schön war's! Solltest du auch probieren!" lautet die enthusiastische Antwort der Müllerstochter an ihren Vater, wenn diese auch von einem Schmunzeln begleitet wird.

OW

Melidas unerschrockene Haltung ihrem Vater gegenüber lockt ein nur mühsam beherrschtes Kichern aus dem Großbauern. Gutmütig feixt Odil dann den vom Tanzen zurückgekehrten bunten Burschen an: "Noch so einer, der nicht so leicht verloren gehen will, hm?"

VW

Die Magd stiebt zu den Herren Nachbarn, um dort zwei Aufläufe und einen Ochsenbraten zu positionieren, begleitet von einem vollen Humpen Bier. "Wohl bekomms", wünscht sie dabei.

OHH

Widumir nickt bekräftigend zu Melidas Worten, dann widmet er sich dem Bauern. Wie jener das genau meinen mag, ist wohl nicht so wichtig. "Ich? Och, ich bin schon ein paarmal verlorengegangen", winkt der Gaukler ab.

VW

Da vom Tische keine weiteren Wünsche in Richtung Magd getragen werden, wendet sich diese auch schon dem Musikantentisch zu.

OB

Mit Kennerblick und genießerischem Schnuppern beugt sich Horasio über den vollen Teller. Ja, da läuft ihm das Wasser im Munde zusammen. Und dazu der vierte Humpen Bier, das ist doch traviagefällig.
"Da kannst du ja heute mal das Tischgebet sprechen", sagt er zu seiner Tochter. Da kommt sie nach dem Tanzen gleich wieder auf die richtigen Gedanken. Und außerdem kann er dem Gutwetter beweisen, was für ein braves Kind er hat.

OHH

Tischgebet?! Auf einmal wird es hier so unbehaglich, findet Widumir. Dabei war die Stimmung doch gerade so schön!
Aber trotzdem hat er mit den Jahren gelernt, was sich gehört. Drum senkt er den Blick - mehr um ihn zu verstecken, als zwecks eigener Andacht. Blöder Mist! Hoffentlich ist es ein kurzes Gebet! So oder so mag er Melida dabei auf eine ganz unverhoffte Weise näher kennenlernen.

NW

Melida schnuppert voller Vorfreude an dem lecker aussehenden Auflauf, der auch genauso riecht. Da trifft sie die Aufforderung des Vaters, und abrupt setzt sie sich kerzengerade hin.
Sie soll das Tischgebet sprechen, vor all den Leuten? Sie spürt, wie ihre Hände etwas feucht werden. Dann räuspert sie sich, während sie sich die Worte zurechtlegt. Da erinnert sie sich an die Worte eines Gebets, das Vater Travicio sie einst gelehrt hat: "Travia, Hüterin von Heim und Herd, zu dir beten wir um Wärme in der Stube, Friede auf den Straßen und Friede in den Heimen. Wir wollen deine Gebote achten, auf dass die Häuser aller Treuen warm erblüh'n und Ruhe spenden. Keiner soll heut' Nacht auf fremden Straßen wandern, keiner vor verschloss'nen Türen steh'n. Deine Wärme, deine Treue, soll'n jetzt einziehen in die Häuser und wohl nimmer weichen."
Sie hebt den Blick wieder und sieht in die Runde.

OW

Auch auf Odils Gesicht macht sich die Vorfreude auf das Mahl breit, als der Duft von seinem und den anderen Tellern seine Nase umschmeichelt. Als Horasio das Tischgebet an seine Tochter abgibt, senkt auch Odil demütig den Blick während seine Rechte sich auf die unter dem Hemd verborgenen kleinen Talismane legt. Als Melida endet, wird ihr Gebet mit einem Nicken und einem gemurmelten "Soseies!" bekräftigt.

OB

Auch Horasio hält die gefalteten Hände über seinen Teller. Gut, dass auch dieser bunte Vogel weiß, was sich gehört. Als sein Töchterlein geendet hat, schaut er sie wohlwollend und mit einem kleinen Schuss väterlichen Stolzes an. "So sei es!" erwidert er und setzt gleich hinzu: "Fein gesprochen, Kind." Dann nestelt er das Messer von seinem Gürtel hervor - irgendwo unterhalb der Plauze versteckt es sich - wirft seinem vollen Teller noch einen vorfreudigen Blick zu und wirft ein "Na dann Wohlschmecken allerseits!" in die Runde.
Ach Moment. Da war doch noch was. Er schaut Irinio an: "Was isst du?"

LR

Tja, womit eigentlich der Magd auflauern? Die Frage des Vaters ist berechtigt - natürlich. Das Brot oder der Haferbrei wären für gewöhnlich seine Wahl - bodenständig, sättigend, anständig, nicht zu teuer. Er weiß, was sich gehört. Aber der Vater ist guter Laune, das sollte man nutzen. Vielleicht der Hühnereintopf? Oder die Eierpfanne? Rasch versichert er sich des väterlichen Tisches und der Speisen, die auf ihm versammelt sind. "Ähm..." kommt unwillkürlich und unvermeidlich die aufschiebende Antwort.

OHH

Wahre Erleichterung huscht für einen Moment über Widumirs Antlitz, als er aufblickt, denn das Gebet ist ja noch von übersichtlicher Länge gewesen, welchletztere selbst seine zappeligen Beine auszuhalten vermochten. Dennoch: In was für eine fremde Welt ist er da wieder geraten! Weiviel Spaß darf er hier wohl heute Abend noch erwarten?
Unwillkürlich rollen die Augen nach rechts und links auf der Suche nach anderen Alternativen, zumal er offenbar als einziger bereits gegessen hat. Wobei... Er könnte noch die Schüssel auslecken, wie er das so gerne tut...

LR

"Den Hüh-ner-ein-topf?" Jede Silbe ist bereit, sich schützend vor die folgende zu werfen und ihr die Flucht zu ermöglichen, sollte des Vaters Widerspruch sich geharnischt und mühlsteinschwer aufs Feld begeben.

OB

In Horasios Lächeln mischen sich Nachsicht und Ungeduld. Fast scheint er versucht, die Hand trichterförmig an sein Ohr zu legen. Warum ist der Bursche nur so schüchtern und leise? Er ist doch Sohn eines Wassermüllers, Erbe einer stolzen Tradition!
"Wenn du den Hühnereintopf willst", sagt Horasio in väterlich belehrendem Ton, "dann sag's laut und vernehmlich."
Nach einem kurzen, schnappenden Atemzug - dass er für solche Sätze aber auch immer mehr Luft braucht, als er hat! - wird's offenbar Zeit für eine grundsätzliche Lehre: "Wenn du in dieser Welt etwas erreichen willst, dann musst du dafür etwas tun."

OHH

Wie er nun jedoch erneut und fortgesetzt mitansehen muss, wie gezwungen die Familie miteinander umgeht, fühlt sich Widumir doch bei der Ehre gegriffen. Hier kann er sich nicht einfach so davonstehlen - nicht, ohne wenigstens ein paar Bemerkungen unter die Leute gebracht zu haben! Da es nichts zu Angriffslustiges sein soll - zumindest noch nicht - versucht er es mit einer Frage: "Bekommt man mehr Hühnereintopf, wenn man ihn lauter bestellt?" Wäre ja tatsächlich möglich, dass eine erschrockene Bedienung fürchtet, andernfalls mit angeknabbert zu werden.

OW

Da das Tischgebet gesprochen und somit Sitte und Anstand gewahrt sind, läßt sich Odil von den Wortwechseln am Tisch nicht weiter von seinem Mahl abhalten. Aber auch wenn seine Augen immer wieder zum Teller wandern müssen, um das Essen nicht zu einer fürchterlichen Sauerei werden zu lassen, sine Ohren sind ganz bei den Wassermüllern. So hat er denn, wie es zu erwarten war, einen Löffel heißen Auflaufs im Mund, als Widumir sich in das Gespräch einmischt.

NW

Melida hat gerade ihren Löffel zur Hand genommen, als das Gespräch am Tisch eine für ihren Bruder unschöne Wendung nimmt. Leicht zieht sie den Kopf zwischen die Schultern und bläst ein wenig verlegen über den heißen Gemüseauflauf, ihren Vater dabei aus dem Augenwinkel beobachtend. Fast ist sie Widumir dankbar für seine Frage, welche die Aufmerksamkeit Horasios vielleicht von ihrem Bruder ablenkt.

LR

Gerade will Irinio ein viel zu leises, viel zu resigniertes 'Ja, Vater' entgeg-... zur Antwort geben, da platzt Widumirs Frage dazwischen. So etwas! So etwas sollte ihm einfallen, wenn er mit dem Vater spricht! Dem Alten einmal die verdammte Überlegenheit im Munde herumdrehen! Kurz blitzt es in den Augen des Burschen auf, der Mundwinkel zuckt - und ebenso rasch senkt er den Kopf und beißt sich auf die Lippe, dass beides unbemerkt bleibe.

OB

Auf die Bemerkung des Gauklers hin zieht Horasio die Mundwinkel nach oben. Zumindest suchen die beiden sich einen Weg an den vollen Wangen vorbei. Belehrend hebt er den wurstigen Zeigefinger zum Fragenden.
"Wenn du lauter sprechen musst, um deinen knurrenden Magen zu übertönen", er holt kurz Luft, "dann kriegst du vielleicht einen Schlag dazu." Für den nächsten, ernsteren Satz schöpft er tiefer Atem und schaut von Widumir zurück zum Erben. "Aber hier geht es drum, dass der Wirt überhaupt etwas hört."

RB

Jana zögert etwas, bevor sie dem Wirt antwortet und lauscht, wie die von Widumir angestachelte Unterhaltung weitergehen möge. Da aber statt des Sohnes wieder der Vater antwortet, muss sie wohl ein bisschen nachhelfen: "Hört, hört, Herr Wirt", deklamiert sie, etwas holprig reimend, wobei sie dem Angesprochenen zuzwinkert. "Ich nehme dann den Auflauf, eine normale Portion sollte genügen; zu servieren, wenn der Zeitpunkt euch in eurer Übersicht geeignet erscheint." Sie wird lauter: "Und einen großen Becher Tee." Nachdem die Schauspielerin damit hoffentlich die Aufmerksamkeit der Gesprächsrunde erregt hat, dreht sie sich halb und deutet mit einer angedeuteten Verbeugung auf Irinio: "Und dieser junge Herr bedarf Eurer vollen Aufmerksamkeit, damit er nicht verhungere und verdurste."

LR

Irinio reißt sich zusammen und hebt den Blick, nachdem der nun genügend Zeit hatte, sich zu festigen. "Dann will ich's ihm sagen, Vater." Es ist die widerstandslose, jedweder Rebellion entsagende Antwort des gehorsamen Sohnes, aber immerhin hat die Lehre des Vaters doch ein Stück weit verfangen - er stammelt sie nicht, noch flüstert er sie. Allerdings kommt er so etwas zu spät für sein Bühnenstichwort, denn als er sich nun umwendet und gen Theke eilt, sind die ankündigenden Worte der Fahrenden schon einige Herzschläge verklungen.

OHH

Man hätte nun einwenden können, dass Irinio wohl noch gar nicht bestellen, sondern nur die Frage des Vaters beantworten wollte. Die Ereignisse entheben Widumir dieses Gedankens. Statt dessen blickt er lächelnd zu der ebenfalls um den armen Tropf bemühten Weggefährtin.
Dann wendet er sein Haupt wieder dem Dicken zu. Ein weiterer, erster vor dem zweiten Gedanke ist noch verblieben oder kommt zumindest soeben bei dem neuerlichen Anblick gerade wieder zum Vorschein: "Unterschiedlich große Mägen knurren unterschiedlich laut", bemerkt er lapidar. Die Folgerungen daraus vermag der Wassermüller vielleicht selbst zu schließen.

OW

Odil mag ja mit Horasio nicht immer gänzlich einer Meinung sein, aber hier liegen sie doch recht nahe beieinander und so mischt er sich in den Wortwechsel ein: "Ein Bursche, der die Zähne nicht auseinander bekommt, wird nicht weit kommen. Und da ist es egal, ob man Müllermeister, Großbauer oder Fahrender ist. Alle müssen deutlich machen, was sie wollen. Barden, die niemand hört, wären bald verhungert und ein Meister, der nur stammelt und zögert kann bald einpacken. So wie mein Großonkel Hartwin. Dem haben die Gesellen schließlich nur noch auf der Nase rumgetanzt. Bis seine Stiefschwester die Schreinerei übernommen hat, die hatte Haare auf den Zähen, wie man so sagt."

OHH

Dieser Bericht kann Widumir ein Schmunzeln entlocken. "Ja, es kommt eben auch immer darauf an, mit wem man sich umgibt."
Unschlüssig schaut er in seine Schüssel. Das auszukratzen hat er jetzt keine Lust mehr. "Aber bestimmt gibt es auch stillere Möglichkeiten, sich was zu verdienen." Zu sehr möchte er sich da nicht festlegen, denn was immer er jemals tat, war doch irgendwie nie recht Arbeit zu nennen, auch wenn es Geld oder eine Mahlzeit einbrachte. Denn hätte er es als Arbeit empfunden, wäre er wohl davor geflohen. Obgleich er das Gefühl hat, dies nicht in Worte fassen zu können, tut er es dann ihn selbst überraschend doch: "Hauptsache, es macht Freude!"

OB

Horasio hört nur mit halbem Ohr hin, was der Gutwetter und der Gaukler so zu dem Thema beizutragen haben. Sein Blick folgt dem Erben an die Theke, und die restlichen anderthalb Ohren lauschen der Bestellung.
"Widmen wir uns doch einfach dem, was vor unserer Nase liegt", sagt er gleichermaßen als Abschluss dieses Themas. Und meint das offenbar wörtlich, denn er schnuppert noch einmal genießerisch an der Ochsenkeule, bevor er ihr endgültig mit seinem Besteck zu Leibe rückt. "Wohlschmecken allerseits", wünscht er in die Runde. Hatte er das vorhin nicht schon? Ach, ein zweites Mal kann nicht schaden.

OHH

Da er schon gegessen hat, nickt Widumir nur freundlich zu des Wassermüllers Wunsch. Dann lenkt ihn auch schon das neue lied vom Nachbartisch ab. Diesmal ein lustiges Seemannslied, wie es scheint. Die Erklärung, dass Tee heißer als Feuer sei und somit geeigneter zum Trinken, verblüfft, entlockt aber auch ein breites Schmunzeln.

OHo

Der Gesang setzt sich fort. Die Meldodie ist immer noch beschwingt, auch wenn der Text jetzt etwas düsterer wird.
"Am Horizont erhob sich bald ein Madamal so rot.
Die Mannschaft zittert weiter und erwartet ihren Tod,
doch Thoralf trotzt den Fluten und nimmt Kurs aufs weite Meer
Die Mannschaft zittert dadurch nur noch mehr.
He-ah-he, es stürmt die raue See
der Mast ist kurz vorm Kippen und ebenso der Tee
drum trinken wir nur Feuer,
das ist uns lieb und teuer,
und kocht nicht, wenn es kippt auf deinen Zeh!
Die Wellen teilen sich und es erhebt sich aus dem Grund
ein schlangenhafter Körper mit viel Zähnen in dem Mund.
Als dann auch noch der Schwanz des Tieres ausholt zu nem Schlag
Verflucht selbst Thoralf leise diesen Tag."
Es folgt noch einmal der Refrain. So langsam kann man ihn schon mitsummen.

OHH

Da an seinem Tisch gefräßiges Schweigen ausgebrochen ist - oder vielleicht lauschen die anderen ja nur dem Liede - kann Widumir letzteres auch selbst tun. Allerdings hält die Beschreibung des Sturmes ihn nicht im Detail gefangen, sondern nur stimmungsmäßig. Wobei es eine manchen überraschende Laune sein mag, welche Widumir überfällt, denn er fühlt sich zum fröhlichen Mitschunkeln angehalten und beginnt mit jeder neuen Strophe rasch zunehmend sicher den Kehrreim mitzusingen.

OB

"Auf Kaperfahrt, hm?", schmatzt der Wassermüller zwischen zwei Bissen der besten Ochsenkeule, die er seit... ach, seit viel zu langer Zeit gegessen hat. "So sind sie, die Thorwaler", setzt er nach einem Schluck aus dem Humpen hinzu. "Aber er hat ja seine gerechte" - er muss kurz Luft holen "Strafe bekommen." So ernst die Worte klingen, so beiläufig wie bei einem Tischgespräch ist der Tonfall. Und unter der Tischplatte wippt des Wassermüllers Fuß im Takt.

OHH

Strafe? Widumir schaut etwas dumm aus der Wäsche. Nicht nur, dass das Lied viel zu rasch vorübergezogen ist, vor lauter spaßigem Mitgesinge hat er den Inhalt der letzten Strophe gar nicht recht mitbekommen, zumal jener Fröhlichkeit des Kehhreimes doch etwas widerspricht.
Wie auch immer! Wenigstens die letzten dreiu Verse kann man trotzdem nochmal singen, jawohl! Und das tut er dann auch sogleich.

OW

Nur gelegentliches Nicken auf die wenigen zur Zeit am Tisch gesprochenen Worte und Fußwippen im Takt des neuen Liedes zeigen an, dass Odil sich auch weiterhin seiner Umgebung bewusst ist, während er sich mit einem zufriedenen Lächeln seinem Essen widmet. Kurz wird das Lächeln breiter, als er die Abschlusszeile des Refrains verstanden hat. Doch der größte Teil seiner Aufmerksamkeit ist deutlich auf den Teller vor ihm gerichtet. So leert sich der Teller, nicht eilig aber beständig.

OHH

Nachdem das Lied geendet hat, scheint Widumir eine gewisse Leere im Raum zu entstehen. Jedenfalls verebbt auch sein Gesang alsbald.
Schweigen am Tische. Alle wirken geistesabwesend, vor allem Melida. Für ene nähere Bekanntschaft ist sie wohl zu schüchtern und steht auch allzu sehr unter der Fuchtel ihres wuchtigen Papas. An nur einem Abend wird Widumir wenig Aussichten haben, daran Grundliegendes zu ändern. Dennoch mag die Äußerung seines Freiheitsbedürfnisses Denkanstöße vermitteln. Freilich kann man das so oder so anstellen. Man kann sich dabei furchtbar anstrengen oder die Ungezwungenheit einfach vorleben.
Ganz langsam beginnt Widumir zu spüren, wie er sich der Lösung der Situation nähert...

NW

Melida hat dem Liede gelauscht und dabei ihren Auflauf gelöffelt, der sich langsam einer Leere zuneigt, die auch der Raum nach der verschollenen Musik aufzuweisen scheint. Ihr Blick wandert von der geendeten Bardin zu ihrem fast leeren Teller und schweift dann über den Tisch, bleibt schließlich bei ihrem Bruder am Tresen hängen, woraufhin sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht breitmacht. Sie seufzt.

OHH

Von ganz unten aus den tiefsten Tiefen des widumirsschen Bauches lässt sich ein Grollen erahnen, welches man zunächst ebensogut für eine Abschiedsmeldung des abziehenden Gewitters halten könnte. Doch dies Geräusch klingt nicht im Regenrauchschen und anderen Allerweltsgeräuschen untergehend aus. Es schwillt immer mehr an, wobei es sich fast sichtbar nach und nach emporhebt. Einem rumpelnden Kampfwagen ähnlich dringt es drohend durch Brust und Hals herauf und entläd sich schließlich ungehindert und unüberhörbar aus dem weit geöffneten Rachen Widumirs.
Dann lächelt er höchst befriedigt blinzelnd und den Kopf wiegend, die Hände auf dem Bauche. Das hat gut getan!

OB

Da Odil ebensowenig zu Gesprächen bei Tische neigt, verfällt auch Horasio in einen Zustand, der mit 'gefräßiges Schweigen' hinreichend beschrieben wäre. Angesichts der Statur des Wassermüllers offenbar kein seltener Gast unter seinem Dache.
Das grollende Geräusch dringt nur allmählich durch sein genießerisches Schmausen. Dann aber nimmt es mehr und mehr von seiner Aufmerksamkeit in Anspruch. Ja, am Ende lässt Horasio gar die Gabel sinken und schaut den Gaukler mit großen Augen an. Na, der ist wohl auf einem galoppierenden Esel durch die Kinderstube gesaust! Kaum zu glauben, wo aus diesem schmächtigen Körper ein derart lautes Rülpsen kommen soll. Der macht ja mehr Lärm als die Barden! Doch irgendwie kann der Müller sich den Gedanken nicht verkneifen: Wäre er selbst dreißig - na gut, paarunddreißig - Jahre jünger und säße am Tisch mit seinen eigenen Eltern, dann wäre er mächtig stolz auf dieses Werk gewesen. Und da sich (nicht unähnlich der Begegnung mit Vinizarah vorhin, aus deren Mund ja gleichfalls ungebremst Geräusche strömten) in seinem eigenen Mund viele Entgegnungen - von hochmütig tadelnd bis jovial ignorierend - balgen, stolpert just in diesem Moment die Kindheitserinnerung auf die Zungenspitze. Der Satz, den seine Mutter ihm zu solchen Anlässen zu sagen pflegte - nun sagt ihn Horasio: "Verzeihung, unten saß ich drauf."

OHH

Bei diesem Zitat kann Widumir nur herzlich lachen. Wie schön und unerwartet! Solchen Humor hätte er dem Wassermüller nicht unbedingt zugetraut. "Schön gesagt!" lobt er.
Wüsste er um die unterschwellige Bewunderung seines gegenübers, stiege seine Anerkennung ihm gegenüber noch mehr, denn er ist wahrlich stolz auf das Geleistete. Immerhin kann er sich nur an einen einzigen besseren Rülpser erinnern. Ja, dieser Käptn Hullheimer war schon ein toller Bursche!

OW

Auch im Gutwetterbauern will nach dem Hauptgang etwas Luft aufsteigen. Doch im Gegensatz zu Widumir ist er bemüht, dies so unauffällig wie möglich zu machen. So entfleucht ihm aus den aufgeplusterten Backen nur ein unaufdringliches "Pffff" in die vorgehaltene Hand, dem ein gemurmeltes "Traviaverzeih" folgt.
So ganz kann und mag auch Odil sich der recht lockeren Stimmung am Tisch nicht verschließen und mit einem Schmunzeln wirft er ein "Also, die Lieder des anderen bunten Barden haben mir besser gefallen. Kann man besser mitklatschen", in die Runde.

OHH

Dies kann Widumir nur herzlich bestätigen, drum erwidert er dem Bauern nickend: "Ja, da hast du sehr recht: Mein Lied war allzu kurz. Ich muss noch ein wenig üben." Aber dies tut er vielleicht besser im Stillen in einem einsamen Stall oder unterwegs - falls er die nicht ernst gemeinte Drohung jemals umsetzen sollte.

OB

Mit halbem Ohr und ebensolchem Schmunzeln lauscht Horasio noch dem Geplänkel zwischen Odil und dem Gaukler. Nur Melida scheint's die Sprache verschlagen zu haben. Seine Aufmerksamkeit wird dann aber von dem Lied gebannt, das an der Theke gesungen wird. Oder besser: halb von dem Lied, halb von der Sängerin. Ach ja, noch mal zwanzig Jahre jünger sein...
Die junge Dame macht seinem Sohn schöne Augen. So, wie der dasteht, ist er ja sogar ganz ansehnlich. Ein bisschen schmächtig vielleicht noch, aber das gibt sich, wenn er lange genug Mehlsäcke geschleppt hat.
Hmmm. Wassermüllers Sohn IST zwanzig Jahre jünger. Na gut, paarundzwanzig. Vielleicht sollte er mal langsam anfangen, sich die Hörner abzustoßen. Damit er ein bisschen was erlebt hat, bevor er vor Vater Travicios Altar tritt. "Jaja", brummt Horasio ohne weiteren Zusammenhang.

NW

Melida ist so in der Betrachtung ihres Bruders versunken gewesen, dass ihr Widumirs lautmalerische Beifallsbekundung der Eberschen Küche fast entgangen wäre. Fast. Aber während sie ihn nur ansieht, haben die Männer am Tisch bereits das Geschehen kommentiert und sie wird - glücklicherweise - einer weiteren Reaktion enthoben. Ihr Blick wandert zu ihrem Vater, der heute in einer ungewohnt jovialen Laune ist. Dann huschen ihre Augen wieder zu Irinio, der gerade verschwörerisch mit dem Wirt zu kommunizieren scheint. Die junge Frau hat Mühe, die Vorgänge im Auge zu behalten und zu interpretieren.

OHH

Widumirs für Melida gedachtes Zwinkern scheint ins Leere zu gehen oder doch zumindest ein wenig zu spät zu kommen und sich in ihren Haaren zu verfangen, da sie ihr Antlitz schon wieder von ihm abwendet. Drum kann er ebensogut ihres Vaters Ausspruch mit einem "Genau!" bestätigen. Denn obgleich ihm dessen Gedanken im Detail verschlossen bleiben, lässt sich doch allerlei aus Müllers Blickrichtung und Gesichtsausdruck folgern.

OW

Odil schiebt indes den leeren Teller von sich und greift nach dem Krug, um die letzten Krümel herunter zu spülen. 'Verflixt...' "...schon wieder leer! Da muss ein Loch in dem Krug sein."
Kurz überlegt der Großbauer, dann wedelt er um Aufmerksamkeit heischend mit dem Krug in Richtung Theke. Laut äußert er ein unmittelbar in die schwerwiegende Diskussion am Tische eingeworfenes "Oha!"

OHH

Für einige Momente ist Widumir durch den hübschen Gesang Janas abgelenkt, auch wenn er ihn lediglich stimmlich und nicht inhaltlich wahrnimmt. Denn zugleich sucht er unbewusst nach wahlweise grobem oder feinsinnigem Unfug zwecks Hebung der Stimmung am Tische. Immerhin hat er keine nennenswerten Mengen mehr in der Schüssel, um sich an gefräßigem Schweigen zu beteiligen.
Dann jedoch wird er sich darüber klar, wie der Bauer unlängst seinen Gedanken von vorhin aufgenommen zu haben scheint und ein lustiges Gespräch ohne Inhalt fortsetzt. Ein unterstützenwertes Unterfangen!
"Was du nicht sagst!"

OB

Nach wie vor lauscht der Wassermüller dem Gespräch an seinem Tisch nur mit halbem Ohr und bekommt deswegen kaum mit, dass es auch ein Viertelohr täte. Zu sehr nimmt ihn das Geschehen an der Theke in Anspruch. Oder besser der Versuch, von seinem Sitzplatz aus verstohlen dorthin zu linsen. Man kann natürlich wie Odil einfach so tun, als schaute man des Wirtes wegen in diese Richtung. Wobei, so ganz verkehrt wäre das ja nicht einmal.
In diese Blickrichtung tritt nun auch noch die redselige Hexe von vorhin. Mit einem Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Dafür, dass das Mädel vorhin so darauf bestanden hat, nicht Alriks Mädel zu sein, scheint sie jetzt, wo sie ein Mädel ohne Alrik ist, auch nicht gerade glücklich. Der Wassermüller malt sich aus, was da wohl vorgefallen sein könnte.
"Oje", sagt er und trägt damit unwissentlich zur Unterhaltung an seinem eigenen Tische bei.

NW

Gerade noch versteckt Melida ein Schmunzeln über ihren Bruder hinter einer Hand, da vergeht ihr jegliches Lächeln, als die junge Frau von vorhin ohne Alrik zurückkehrt. Ihre Gedanken laufen dabei in einer ähnlichen Richtung wie die ihres Vaters und so entschlüpft ihr fast zeitgleich mit ihm ebenfalls ein leises "Ohje", welches von einem Seufzen begleitet wird.

OHH

Nach 'Oje' und 'Ohje' bleibt Widumir wohl nur die weitere Steigerung "Ooohje!" übrig. Hiernach folgt ein nur scheinbar bedeutungsvolles Seufzen sowie als Abschluss der Blick zur Theke. was schauen die Landleute nur alle so dort hinüber!? Janas Lied ist doch zuende! Kein Wunder, wenn sich Irinio da beobachtet fühlen sollte.
Allerdings fällt nun auch Widumir das Fräulein Hexe naher auf, welches vorhin bereits am Tische eine sehr kurze Gastvorstellung gegeben hat. Irgendwie kommt sie ihm ja schon ein wenig bekannt vor. "Ach..." An wen mag sie ihn erinnern? Nachdenklich legt er die Hand an die Wange und betrachtet sie - wie er glaubt - erstmalig eingehender.
Vielleicht ähnelt sie der Wasserträgerin, welches Widumir seinerzeit in Côntris zum Lachen brachte? Aber die war blond und hochgewachsen! Eher wohl gemahnt sie an die kleine Seefrau in Bethana, die er aus dem Hafenbecken fischte? Bloß war die einäugig.
Wieso nur hat er plötzlich solche Nässe in seinen Gedanken!?

OB

Schweigend lässt der Wassermüller die gehaltvollen Worte nachklingen, da dringt etwas anderes, ebenso Gehaltvolles, in sein Bewusstsein. Vier Humpen Bier hat er hier schon gelenzt, die fordern nun ihr Recht. Das nächste "Ojeoje" gilt nicht mehr der Szene an der Theke, sondern offenbar der nahen Zukunft. Um das Bier wegzubringen, wird er in den Regen müssen.
"Ich muss mal kurz ums Eck verschwinden", kündigt Horasio unfroh an. Er schiebt seinen Stuhl zurück und steht auf, was das Sitzmöbel mit einem erleichterten Seufzen quittiert. Mit säuerlicher Miene wendet sich der Müller Richtung Tür. Aber dann zuckt er mit den Schultern - was soll's, er ist ja nicht aus Zucker.

OHH

Fast erfreut schaut Widumir auf, als sich jemand am Tische bewegt. Die Ernüchterung folgt auf dem Fuße oder besser auf zweien, gleichsam als Ersatz für den nun Gehenden. "Viel Erfolg!" wünscht er jedoch trotzdem jenem hinterher. Dann schaut er in die Runde, ob vielleicht jemand nicht mehr zum Tresen starrt.

NW

Melida wird durch die Ankündigung ihres Vaters - wieder einmal - aus ihren Gedanken gerissen, die sich vom Eberknecht zu anderen romantischen Dingen erstreckten. Sie nickt ihm zu und blickt seinem Abgang auch noch kurz hinterher, bevor sie die mit ihr am Tisch Sitzenden wieder mit einem Blick und einem Lächeln bedenkt. Dabei bleibt sie unwillkürlich bei Widumir hängen, der ebenfalls gerade seine Augen um den Tisch wandern lässt.

OW

Des Gutwetterbauerns Aufmerksamkeit ist zunächst auf die kleine Gruppe am Tresen gerichtet. Unaufdringlich wechselt sein Blick zwischen den dreien.
Seine noch wenige Momente zuvor gesunde Gesichtsfarbe wird fahl und kalte Schweißperlen bilden sich auf der wettergegerbten Stirn.

OHH

Derweil von vorne, vom Tresen her eher gedrückte Stimmung herüberweht und von hinten durch Guttlis Geschichte eher eine unheimliche und düstere, wird Widumir am Tische etwas geboten, mit dem er schon gar nicht mehr recht gerechnet hatte: Melida lächelt ihn an. Vielleicht nicht ihn allein, aber man muss ja nicht immer alles so genau nehmen, wenn es ungenau viel schöner sein kann!
Fröhich wird zurüchgelächelt. Wenn Bauern durch feuchte Geschichten nass werden, ist das gerade Nebensache.

NW

Kurz huscht der Blick der Müllerstochter zu Odil, der gerade keinen gelösten oder gar glücklichen Eindruck macht. Und wieder zurück zu Widumir, der sie fröhlich anlächelt. Und wieder zurück zum Gutwetterbauern, wobei sie Luft holt und vorsichtig fragt: "Alles in Ordnung?"
Das ist im Vergleich zu den vorangegangenen Diskussionsbeiträgen doch immerhin schon mal fast ein ganzer Satz!

OHH

Angesichts - oder angehörig? - dieser Frage wendet auch Widumir sein Augenmerk dem Bauern zu. Etwas bleich sieht er ja wirklich aus. Fast wie eine Wasserleiche oder vielleicht ein silbriger Fisch.
Endlich dämmert Widumir, woher er all die pitschigen Gedankenbilder bekommt: Die alte Guttli hinter ihm schwadroniert irgendein faszinables Volksmärchen. Redende Fische? Ja, das muss er sich doch mal genauer anhören!
Seine Augen rollen dabei in ihren Höhlen hin und her, auf dass er weder von der fürderen Geschichte noch den weiteren Geschehnissen am eigenen Tische etwas verpassen möge.

GH

"Wer weiss, wie es wirklich war!" nickt die Alte und blickt eindringlich von Twina zu dem bunten Spielmann und schließlich zu dem jungen Mädchen, indem sie sich erneut ein wenig vorbeugt. "Vielleicht sprach der Fisch, vielleicht hörte der morgenmüde Fischer auch bloss die Stimme seiner eigenen Träume. Doch sollen es folgende Worte gewesen sein, die er vernahm: 'Du hast alles Recht, mein Leben zu nehmen, doch du hast auch Macht, mir das Leben zu schenken. Wer Leben gibt, der wird Leben ernten. Denke daran, Fischer, der du mit deinem Weibe eine große Sehnsucht teilst.'
Dabei lag der große silberne Fisch ganz still auf Luvens ausgestreckten Händen und schnappte nur da und da nach Luft. Ohne weiteres hätte der Fischer sein Messer zücken oder den Schädel des Tieres an der Bootswand zerschmettern können. Doch das tat er nicht; der Morgen in seiner Stille, das sich auf den Wassern ausbreitende Licht und diese Kreatur waren auch gar zu zauberisch. Ohne sich weiter zu bedenken, senkte Luven seine Arme nahe zur Oberfläche und liess den Fisch zurück in die Tiefe sinken. Die Ranke mit der gelben Knospe war indes unbemerkt auf dem Boden des Bootes liegen geblieben.
Kaum ein Herzschlag war vergangen, dass der Silberschweif im Dunkel verschwunden war, da tauchte der Fisch auf der anderen Seite des Kahns wieder auf und Luven musste sich umwenden. Andere erzählen gar, es sei ein überaus schönes junges Weib mit silberweißem Haar gewesen, das Haupt und Schultern aus dem Wasser streckte und ein helles Lachen hören ließ. Was es nun auch war, Ihr ahnt ganz sicher, wem der Fischer in dieser Morgenstunde aufs Wunderlichste begegnet war."
"Gleich darauf vernahm Luven eine Stimme wie von Silberglöckchen oder perlenden Wassertropfen: 'Wer Güte gibt, dem soll auch mit Güte vergolten werden. Wähle selbst, Fischer! Die Wasserlilie, die ich dir ließ, soll dir Segen bringen. Wirf sie zurück ins Wasser - und ich verspreche dir, dass dein Netz stets so gefüllt sein wird, dass dein Weib und du nie Not zu leiden brauchen, solange du es auswirfst. Die Knospe wird das Wasser für dich fruchtbar machen. Nimmst du sie jedoch heim mit dir und legst sie ihn eine Schale mit Wasser, die du unter Eure Schlafstatt stellst, so soll sie aufblühen und Eure Gemeinschaft fruchtbar sein lassen. Dein Weib wird ein Kind gebären.' Denkt, welche Freude Luven das Herz füllen musste bei diesen Worten, war doch ein Kind der sehnlichste Wunsch der beiden Fischersleute. Doch ehe er noch etwas erwidern konnte, fuhr das zauberische Wesen fort: 'Wähle bedacht und mit Weisheit! Denn wer ein Leben erntet, muss es auch wieder loslassen. Zwanzig Jahre sollst du dich freuen dürfen an eurem Kinde, Glück und Leid mit ihm teilen dürfen, Mühe und Muße. Doch in seinem einundzwanzigsten Jahr wirst du es aus deinen Händen mir wiedergeben müssen. Am Ende wendet sich alle Gabe zurück, woher sie kam. Bedenk dies, Fischer, und sei klug!'
Damit kräuselte sich das Wasser und lag nur einen Augenblick später so ruhig, als wäre nie etwas daraus hervorgetaucht. Luven aber besann sich nicht lange, ruderte an Land und verbarg, als er ausstieg, die knospende Ranke in seinem Kittel. Einige Monate später war es nicht länger zu übersehen, dass Silje ein Kind erwartete."
Hier legt die Alte eine kurze Rast in ihrer Erzählung ein, um einen Löffel Linseneintopf zu schöpfen und fährt nach einigem Kauen fort, nachdem sie den Löffel auf den Tellerrand niedergelegt hat.
"Wenn Ihr einmal zu wählen habt in Eurem Leben", hebt sie bekümmert die Hand, "so bitte ich Euch, hört auf die Stimme Eurer Herzen, auch wenn sie nicht mit Silberglöckchen zu Euch spricht. Seid so klug, wie Luven es ans Herz gelegt wurde, und folgt nicht blind dem größten Begehren. Der Verzicht und die unscheinbaren Gaben tragen mitunter einen großen Segen in sich. Die Fischersleute hätten nie mehr in ihrem Leben Hunger leiden müssen, und manches Leid wäre nicht geschehen, hätte Luven die Lilienranke dem Wasser zurückgegeben."

OW

Der so fürsorglich angesprochene Bauer reagiert nur mit einem halb erstickten Laut. Zu tief ist er in den Schrecken seiner eigenen Erinnerung gefangen. Langsam wechselt die Gesichtsfarbe von der ungesunden Blässe in ein nicht weniger ungesund aussehendes Bläulichrot.

OHH

Fasziniert lauscht Widumir der hübschen Geschichte. Da ihm der Anfang fehlt, kann er über die Identität des Fisches nur laienhaft wild umherspekulieren ohne wirkliche Chance auf einen Zufallstreffer. Das Weiblein erzählt weiter, also erspart er sich - sowie ihr und den anderen Zuhörern - allerlei aus seiner reichhaltigen Phantasie geborene Einwürfe. Es ist auch etwas schwer für ihn, die Entscheidung des Fischers nachzuvollziehen. Ein Geschenk mit Bedingung scheint ihm immer schlechter als eines ohne.
Der Bauer wird wohl auch so darüber denken, wie der gerade vor sich hinstarrt. Seine Gesichtsfarbe wird zunehmend beinahe so interessant wie die Erzählung Guttlis. Ja, sie passen gar zueinander. Die beiden sollten immer gemeinsam auftreten - zumindest, wenn er bei einer Waldszene auch ein passendes dunkles Grün zustandebringt.

GH

Das alte Weib nimmt einige Löffel Suppe zu sich und leert den Teller nun fast. Es ist immer ärgerlich, eine eigene Geschichte zu unterbrechen, aber noch ärgerlicher, eine schöne Suppe kalt werden zu lassen. Gerade an dieser Stelle passte die Pause doch so gut.

OHH

Derweil die Alte noch löffelt, schweift Widumirs Aufmerksamkeit hinfort. Eigene Fortsetzungen der Geschichte eilen mit ihm über das Meer, wohingegen die Augen den tresen besuchen. Dort ist allerdings auch gerade wenig los. Das fremd-vertraute Fräulein ist des Durcheinanderbringens müde und erwägt eine Bestellung.
Herzhaft gähnt Widumir mit weit aufgesperrtem Rachen. Seine Hände haben gerade wichtigeres zu tun wie zum Beispiel im Schoß liegen.
Als er dann bemerkt, dass die Guttli weitererzählt hat, ist ihm bereits ein gutes Stück entgangen. Tja, so ist das mit der Zeit: Sie läuft überall unterschiedlich schnell - das weiß man ja.

GH

"Als Joline neun Jahre alt und zu einem hübschen und lebhaften Kind aufgewachsen war, kam ein wandernder Schmied in unser Dorf", berichtet die Alte weiter. "Ein zotteliger Geselle mit schwarzem Haar und Bart war das, mit stechendem Blick und grobem Wesen..."

NW

Melida ist hin- und hergerissen. Ihr erster Impuls ist es, dem Gutwetterbauern eine Hand auf seine zu legen - aber das wäre wohl doch zu kühn. Warum ist ausgerechnet jetzt der Vater nicht da. Ein hilfesuchender Blick in Richtung Irinio - der ist anderweitig beschäftigt. Widumir - scheint abgelenkt. Also holt die junge Frau tief Luft, nimmt all ihren Mut zusammen und führt ihren ersten Impuls aus. Sacht wie ein landender Vogel berühren ihre Finger Odils Handrücken, ein mitfühlender Blick ruht dabei auf seinem Gesicht.

OHH

Guttlis Erzählung nimmt weiter Fahrt auf, so scheint es. Allerdings mag sie noch lange währen, denn das Mädchen ist gerade kaum halb so alt wie das angedrohte traurige Ende erwarten lässt.
Angesichts Melidas Fähigkeit des Mitfühlens und der Sorge vermag ein dahergelaufener Schmied Widumirs Aufmerksamkeit nicht genügend an sich zu fesseln. Warm lächelt er sie an. Dass sie ein liebenswürdiges Wesen hat und ist, stand ja von Anbeginn außer Frage und bestätigt sich nun.
Erst bei den wiederholt auftretenden Worten 'Haken' und 'Hechte' von Guttlis Seiten her umschleicht Widumir dann doch eine Ahnung, was sich nebenan in der zukünftigen Vergangenheit für ein Unglück anbahnen könnte. Drum kugeln seine Augen in den Höhlen umher, um hier wie dort möglichst wenig zu verpassen.

Träume sind schon etwas Verwunderliches. Zunächst versteht man gar nicht, was vorgeht. Doch Widumir hat bereits ein wenig Erfahrung darin, Träume noch während des Schlafens als solche zu erkennen. Die eigenen kann er dann oftmals ein Stückweit beeinflussen und dabei manches Mal noch unerwarteten Spaß haben. Im Falle dieser Erzählung bleibt es bei grimmer Verwirrung mit bösem Gelächter.

In Widumirs Kopf mischen sich Fetzen der Geschichte mit solchen aus seinen letzten Nacht-Träumen zu einem wirren Tag-Traum mit gefräßigen Raubfischen und der Suche nach einem Abort. Als er darin einen gefunden hat, will ihn eine junge Frau fortschicken, da dieser nicht für Männer sei.
Die absurden Gedankenbilder wiederum werden etwas gestört durch den Anblick des Bauern, welcher dem Traumwandler erneut die Stille am eigenen Tisch ins Gedächtnis ruft. Melida scheint von diesem Anblick völlig verzaubert zu sein.
"Vielleicht sollten wir ihn hinausbringen, bevor er zu faulen beginnt", erscheint ein itzo angebrachter Vorschlag.

OW

Die Haut unter Melidas Fingern ist nass von kaltem Schweiß. Ihre sanfte Berührung scheint nicht in Odils Bewusstsein vorzudringen. Sein Gesicht verfärbt sich langsam dunkler, durch die zusammengepressten Lippen vermag sich kein Laut zu drängen. Die panisch geweiteten Augen scheinen irgend etwas zu fixieren, das nicht in der Wirklichkeit des Ebers zu finden ist.
Der Geist des Bauern ist gefangen in der Vergangenheit. Damals sah er den rettenden Arm des Schmiedegesellen, der ihn mit schier unglaublicher Kraft aus der Umstrickung der Wasserpflanzen riss. Wird es wieder einen solchen starken Arm geben? Oder wird er diesmal endgültig in der dunklen, stillen Leere versinken?

NW

Melida beobachtet Odils Mienenspiel und wirft einen beunruhigten und hilfesuchenden Blick zu Widumir, während ihre Hand fast wie von selbst zu einem leichten Tätscheln von Odils Handrücken übergeht. "Odil?" Leise und unsicher klingt die Stimme der jungen Frau.

OHH

Selbst Widumir erkennt, wie wenig die beiden gerade auf seine Scherze aus sind. Die Idee mit der frischen Luft ist aber vielleicht trotzdem nicht die schlechteste, zumal es den Verwirrten wieder in die Realität zurückbringen mag. So zumindest Widumirs intuitive Diagnose, welche sich auf Erfahrungen mit Noionitenbetreuten, Beherrschungsverzauberten und Hafentavernensäufern begründet.
Drum packt er eifrig den Bauern mit beiden Händen am Arme, ihn emporhebend zu stützen. "Komm, Odil, wir holen dir eine Erfrischung!" ruft er aufmunternd und zwinkert nebenbei Melida wohlgemut zu, ihr Furcht und Sorge zu nehmen.

OW

Da! starke, helfende Arme recken sich dem Ertrinkenden entgegen, reißen ihn aus der Verstrickung der garstigen Gewächse. Lauthals schnappt Odil nach Luft, schüttelt sich, blickt dem starken Retter ins Gesicht - und ist überaus verwirrt, als er den schmalen Widumir erkennt und nicht den breitschultrigen Schmiedegesellen, der ihn damals aus dem Weiher fischte.
Keuchend und prustend und noch immer nicht völlig im hier und jetzt angekommen leistet er Widumirs Bemühungen, ihn auf die Beine zu bekommen einzig durch seine Masse Widerstand. "Hhhhhhhhlf.... was...? Hhhhh... wer...?"

OHH

Nanun, schon gesund? Nein, doch nicht. Aber geholfen hat es bereits. Erfreut darüber, tätschelt Widumir den gerade noch rechtzeitig vor... irgedwas Geretteten am Oberarm. "Nur ich, der liebe Onkel Medicir. Magst du eine Erfrischung? Ich muss nämlich eh grad raus und nehm dich gern mit, falls du Hilfe brauchst."
In der Tat geht dem jungen Mann soeben auf, woher ein Teil seines Traumbildes vorhin gekommen sein muss: aus dem Unterleib. Was muss, das muss, so sagen manche Leute. Auch wenn man grad gar keine Lust zum Müssen hat oder dem Müssen gar ganz allgemein und grundsätzlich eher reserviert gegenübersteht.

NW

Auch Melida hat sich von ihrem Platz erhoben. Frische Luft ist sicher eine gute Idee. Sorge und Unsicherheit sind in ihrem Gesicht zu lesen, während sie den anderen Arm des Gutwetterbauern sacht umfasst, bereit, mit den beiden Männern nach draußen zu gehen.

OHH

Da sich das Opf... der Patient nicht gleich muckst und Melida so schön mithilft, wird selbiges, nein selbiger in der gebotenen Eile, doch so rücksichtsvoll als möglich zum Ausgang geführt. Tür auf, alle raus, Tür zu.
Begeistert atmet Widumir einmal tief durch, auch als Vorbild für den armen Odil. Vielleicht hätte er Bedenken, wenn er um dessen Traumbild wüsste. Möglicherweise sind ja schon ein paar Tropfen der Sache wiederum nicht zuträglich.
Doch darauf kommt Widumir nicht, und er hat auch gar keine Zeit hierzu. Schon lassen ihn Feuchtigkeit und Regenrauschen den Drang erneut und verstärkt verspüren. Nein, keine Zeit! Das Mädel wird schon auf den Bauern aufpassen.
"Bin gleich wieder da!" spuckt er noch hervor, und schon hat er die beiden im buchstäblichen Regen stehengelassen und saust um die Ecke und weiter an etwaig an Hauswänden versteckten Passanten vorüber zu dem Verschlag seiner Begierden.

OW

Widerstandslos lässt sich der stattliche Gutwetterbauer von dem bunten Hänfling nach draußen führen - ein Bild, welches unbedarften Gemütern wohl spaßig vorkommen mag. Hhh... ja, Luft... Hh... Das wird gut tun", ist noch zu vernehmen, bevor er so energisch nach draußen expediert wird.
Still lehnt er sich an die Wand des Ebers, reibt sich das Gesicht und atmet tief durch. Widumirs Bedenken gegen das Wasser von oben erweisen sich zum Glück als Grundlos, schließlich ertrinkt man ja in Weiher und Fluss, nicht in einem kleinen Regenguss. Langsam aber sicher scheint Odil der Schrecken wieder aus den Gliedern zu fahren. Er will Widumir noch einen Dank hinterherrufen doch der ist schon wie ein geölter Blitz entschwunden.

NW

Tatsächlich gleicht Melida ein wenig einem begossenen Pudel, wie sie dem hurtig enteilenden Widumir so nachblickt. Dann besinnt sie sich jedoch des anderen Mannes, dessen Arm sie immer noch sacht hält.

OB

Der Wassermüller hat nicht einmal die Hausecke erreicht, als der buntgewandete Gaukler an ihm vorbeirauscht. Mit eindeutigem Ziel. "Ist frei", ruft Horasio ihm noch geistesgegenwärtig hinterher - ganz so, als hätte er selbst gerade noch dort gesessen. Es muss ja nicht gerade dieser bunte Vogel ihn nachträglich ertappen.

OHH

"Bestens!" ist die gefühlt fast schon etwas zu ausführliche Erwiderung Widumirs, welche nur inhaltlich an den überaus passend feuchten Wassermüller gerichtet ist, körperlich jedoch eher dem Zielörtchen entgegenweht.
Schon rummst die Türe, und man sieht ihn nicht mehr.

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Redaktion und Lektorat: OHH 2014