Wie man ein Schiff findet

Verfasser: Oliver H. Herde, Ralf Büngener und andere

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Da geht sie hin, die Gute. Ein Momentchen schaut der alte Seebär noch der eifrigen Bedienung nach. Wenn nur auch alle Matrosen solche Tatkraft an den Tag brächten! Aber die jungen Leute sind eben auch nicht mehr so jung wie sie mal waren.
Wieder nach vorne wiegend und sich auf die Ellenbogen abstützend, geht Kvalors Blick wieder zurück zu Thorkar. "Guten Durst!"

RB

Thorkar wischt sich den Schaum vom Bart. "Danke."
Er stellt den Krug ab und zeigt mit dem Finger auf Kvalor. "Dat mit dim sunken Schip erinnert mir anne Geschichte vonne beröhmte Pirat Fiete Tampenstrick, wie der sin Schip funnen hat. Törlich hieß a in Wörklichkeit anners, aber er hats mir selbst ümmers vertellt, so wie et jewesen war."

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Soso, noch so eine Geschichte vom Hörensagen, deren Gehalt man nicht so gut beurteilen kann wie das wahrhaftig Selbsterlebte. Aber ein Schiff finden? Das könnte ja vielleicht die eine oder andere Anregung beinhalten, selbst wenn es letztlich ums Wegfinden gehen sollte. Drum schenkt Kvalor dem jungen Kerl einen sehr aufmerksamen Blick. "Ja, dann lass mal hören!"

RB

"Min Freund Fiete wa unnawechs in Salzahafn", beginnt der Thorwaler zu erzählen. "Grad hatta sin erste Offizier Tjalfi utm Hafenbecken fischen tun, aba dat isse ne annere Geschichte. Da siehta SIE un hat sich sofoät valiebt. Liebfeldische Brigantine, zwee Masten, schnittich, wendich, mitte neuste Rotzen. Een Schmuckstück. Aba törlich Wachen up Deck, Marinesoldaten, sonst keena da.
Späta inne Pinte tun se dann den ersten Maat auf. De Mannschaft sin alle unna Deck im Arrest. Dissiplinprobleme, kuäz vor de Meuterei. Nur de Wachn sin frei. Käptn is an Land unnawechs. De Maat hat ooch de Faxn dicke. Da mut doch wat gehn tun, denkt sich Fiete." Freudig reibt sich Thorkar die Hände.

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Jene andere Geschichte vom zu Wasser gelassenen Offizier klingt eigentlich auch spannend, aber der Erzähler überdeckt Kvalors Eindruck ja rasch mit anderem. Ein fast verträumtes Schmunzeln des falten- und narbengesichtigen Seebären begleitet Thorkars liebevolle Schilderung des Schiffes.
Nur ganz langsam, gewissermaßen tröpfchenweise, geht dem Alten etwas auf: Hier wird nicht nur ein Schiff gefunden. Die Mannschaft dazu sitzt bereits gut verpack darinnen und wartet nur. Das ist wahrlich ein toller Fund, den auch Kvalor gerade gut gebrauchen könnte! Auch wenn wenigstens ein paar seiner vorherigen Leute schon wünschenswert, ja, notwendig wären.
Das Auge weitet sich, denn nun muss ja gleich kommen, wie dieser Fiete die Gelegenheit beim Schopfe greift!

RB

"De Maat wa glich dabie, de wörd se uppet Schip bringen tun. De Wachen wärn ooch keen großet Problem. Aba, den Pott ut m Hafen zu kriechen... De Mannschaft wollta lieba ers up See frie lassen, wennste se keen Unsinn mehr verzapfen können, aber mit drei Mann tuste keene Brigantine segeln.
Tjalfi hatte den Spleen, se mit ner Gig raus to pulln. Der hat ja eh nen Problem mit lütjen Bootn. Is törlich ne Schnappesidee, aba Fiete meinte, dat geht. Aba da jibbet nur ehn, da wo dat pulln kann. Häßlich wie de Nacht, aber bannich stahk: Odette." Hier macht Thorkar zum ersten Mal eine Kunstpause. Er sieht seinen Zuhörer an, um zu erkennen, wie die Geschichte wirkt.

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Seltsam, dass man die Mannschaft nicht gleich für sich gewinnen will, findet der Kapitän. Späterer Ärger mit unzufriedenen mag aber vielleicht in dieser Situation weniger gefährlich gewesen sein. Das weiß Thorkar wohl besser, um so mehr konnte das dieser Fiete beurteilen.
Was jedoch ein Spleen sein soll, den man irgendo herauspulen muss, erschließt sich Kvalor zunächst nicht. Wenn dieser oder vermutlich eher diese Odette so stark war, ging es offenkundig eher um einen Kraftakt als um Fingerspitzengefühl. Die erste Vermutung, man müsse irgendeinen Splitter entfernen, scheidet da wohl aus - genauer betrachtet auch aus inhaltlichem Bezugsmangel zum Vorhergehenden. Irgendein Schlüssel womöglich?
Sich durch den Blick angesprochen fühlend, spricht er etwas unschlüssig: "Soso... Und was ist das, ein Spleen?"

RB

"Joa, dat geit so", beantwortet Thorkar die Frage nach der Idee, "hängstn Pott anne Gig un tust pulln. Aba selbs so ne olle Brigantine is verdammich schwer, wennste ruderst. Daför brochten se Odette. De wa so s-tahk (un so hässlich, aba dat sachste se ma bessa nich), weil se ne halbe Orkse wa. Un s-tell se keene Frachen daför, dat is gefählich.
Odette hatte nen Problejm: De wa verknallt in son horasischen Dichta, da wo inne Pahk up'm Felsen steht un schmalziche Gedichte vortrachn tut." Thorkar muss selber lachen bei dem Gedanken, was Halborkin und Poet wohl für ein Paar wären. "Also tun se sich verabredn: De Orkin kütt mim Boot un kricht 'n Treffn mim Pöten."

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Trotz aller Konzentration wird es dem leidgeprüften Piraten immer schwieriger, das Kauderwelsch Thorkars zu verstehen. Pott ist wohl kein Topf und auch keine Potte, sondern die Brigantine. Andere Wörter fallen beinahe buchstäblich unter den Tisch, von wo sie Kvalor nicht aufzuklauben gedenkt. Dafür sind es zu viele, und noch glaubt er, der Geschichte im Kern folgen zu können.
Ein weiteres Mal hüpft die Braue empor, als Odette als Halborkin ausgewiesen wird. Also kein Wunder, wenn er sich zuerst über ihr Geschlecht unsicher war. Mim? Mit dem. Pöter? Achso.
Ein paarmaliges Blinzeln und ein leichtes Schnaufen mögen Anzeichen für Kvalors Ãœbersetzungsanstrengungen sein.

RB

Kvalors Anstrengung entgeht offenbar Thorkars Aufmerksamkeit, denn er snackt munter weiter: "Nu sin se also innen Pahk un ham den Pöten funnen. Son tüpischa liebfelda Schönling. Uups, wa dat to laut?" Der Thorwaler blickt sich um, ob sich jemand beleidigt fühlt, erzählt aber trotzdem gleich weiter: "Tjalfi wollt ihm ens överziehn un nen hops nehm, aba Fiete hat da ne bessere Idee. Er hat ihm nen Garn gesponn, ob a nich ma ne richtiche Abenteuergeschichte erlehm un upschrieben will. Da war a gleich Füer un Flamme daför. Un am Abend ham se nen un nen Maat also am Hafen troffen."
Jetzt hat er alle Gestalten zusammen und die Aktion kann losgehen. Dafür muss Thorkar aber die Kehle anfeuchten, bevor er weiter erzählt.

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Was für ein Park? Achsoja, der Park! Der mit dem Pöter, ähm, Poeten. Kurz schnappt der Kapitän nach Luft, als habe er eine schwierige Klippe umschifft und bereite sich auf die nächste vor. Bei solchem Dialekt teilt er die Befürchtungen des Thorwalers nicht, jemand könne irgendwas von seiner Rede übelnehmen. Sehr diplomatisch, wie sie den Dichter anwerben. Ist das nun mehr als ein Maat?
"Ah, ahja." Ratlos, verwirrt, angestrengt und nicht zuletzt etwas ausgetrocknet schaut Kvalor dem Jungspunt beim Saufen zu.

RB

"Ahh", der Thorwaler setzt sein Bier ab und wieder zum Erzählen an: "De Maat hat een up besoffen macht, Fiete und Tjalfi ham ne ups Schipp geschleppt. Dann ging allet janz schnell." Thorkar macht eine Kunstpause, bevor er etwas schneller fort fährt: "Zwee Wachn wolln ne Maat övernehmen un gingn ratz fatz koppheister. De dritte gleich hinnerher. De hattn nich ma Zeit, Hoppala zu sachn, da lachn se schon im Wassa. Die annern been am Heck ham gleich kleen beijegeben. Eene tut sich ergem, de annere is över Bord jehüppt.
Fiete is anne Reling lang, hat alle Leinn kappt unne Planke över Bord jekickt, Tjalfi is tom Bug un hat 'n Tauende nache Orkin werfen tun. Die hats vertäut un sich inne Skulls jelegt. Aba ers als se ne Dichter över se Reling kieken sieht."

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Dass man zwecks Spannungsaufbaus einer schnellen Handlungsszene zum Trotze erst einmal pausiert, ist dem erzählungserfahrenen Freibeuter nicht unvertraut. Solches hat er selbst schon angewendet - vor allem früher, als er noch mehr Konzept und weniger vollkommen wahre Geschichten vorzuweisen hatte.
Aber wer ist denn nun wieder dieser Herr Koppheister? Oder ist 'kopfüber' gemeint, da sich so viele selbstpersönlich oder auch mit Nachhilfe ins Hafenbecken stürzen? Letztendlich ist es für den Roten Faden gleichgültig, wieviele Matrosen da nun umeinanderraufen. Was zählt, ist, wer gewinnt.
Verlust der Planke, nun gut. Das muss schon mal sein in der Eile. Damals, '97 bei Drol...
Eine verliebte Orkin - wie possierlich! Da darf man schon mal breit schmunzeln und den fehlenden Schneidezahn zeigen - oder vielmehr eben nicht.

RB

"Un nu up mal banges Waatn. Tut se het schaffn? Jaaanz langsam tut dat Schip sich in Regung setzn, dreht bei un gleitet tatsächlich janz leise up 'm Hafen." Dass die Ebbe ihren Teil dazu beigetragen hat, muss hier ja nicht erwähnt werden. "Un schließlich war et Schip, da wo öbrings Canido de Mare heißt, aber nenn et nit Seehund!" warnt er gleich, obwohl Fiete gar nicht da ist, um mögliche Verunglimpfer zu bestrafen, "frei uppe See.
Nu kütt Tjalfi endlich dem Dichter ehns uppe Omme gehm un nen to de Orkin över de Reling schmeiße. Hat wohl 'n büschen to fest tau gehaut, denn de beeden sin noch immer 'n Paar. Is wohl 'n guta Anfang för ne Romanze, wenn de Dicke ersma innet Wassa springt, um ihr sin Liebn dat Lebn to rettn." Lachend zuckt Thorkar mit den Schultern. Sein Fall wäre sie auf jeden Fall nicht gewesen, aber er ist ja auch nicht so bekloppt und schreibt Gedichte.

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Ein paar von Thorkars Worten rauschen kaum recht bemerkt an Kvalor vorüber, da er noch über den Seehund nachdenkt. Sowie er jedoch verstanden hat, dass es sich um den Namen der Prise handelt, holt er rasch wieder gedanklich auf. Wie oft musste er als Kapitän in kritischen Situationen viele Dinge zugleich aufnehmen, um sie doch nur nacheinander abarbeiten zu können!
"Ach ja... Solche Erlebnisse können zusammenschweißen, und wenn man sich wirklich mag..." säuselt der Seebär ganz kuschelbärenhaft verträumt lächelnd. "Etwas Besseres kann einem kaum geschehen. Da tun sie beide recht, sich dran festzuhalten."

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"Tja", lenkt Thorkar ein, so hat er das noch nicht gesehen. Aber um ihn mit einer Halborkin zusammenzuschweißen, müsste schon einiges geschehen; außerdem kann er selber schwimmen.
"Zuminnes ham se dann de Mannschaft frei lassn. Wo nich mit wollte, kütt an Land schwimm, Beiboot gab et ja keins. Hat törlich keiner tan. De wan ja nich böse, den olln Käptn los to sin. Un so tun se Fietes Banner un Segel setzn un sin davon. Fiete war törlich Käptn, de olle Maat sin erster Offizier un Tjalfi sin Adjutant." Zufrieden damit, diesen Abschnitt der Geschichte zu einem guten Abschluss gebracht zu haben, lehnt sich der Thorwaler zurück.

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Anerkennend nickt Kvalor sowohl ob der Erzählkunst wie über das gesamte Gaunerstück. "Sehr schön, in der Tat. Nun müssen wir also nur die Augen offenhalten, sobald wir den ersten Hafen erreichen. Gewiss wird es nicht genau so eine Gelegenheit geben, aber vielleicht ja doch eine andere. Man muss sie halt erkennen."
Im Hinterkopfe sucht er nach Möglichkeiten, warum ein Schiff wohl ansonsten noch ebenfalls leicht zu besetzen sei. Aber es gibt noch ein weiteres Problem: "Und sie sind gar nicht von irgendwem verfolgt worden?"

RB

Der Thorwaler lacht lauthals: "Da kanns aba een druf lassn! Jeda Käptn inne horasische Flotte wollte se kätschn. Dat kütt se ja nit op sich sitzn lassn.
Zuers ma ham se sich nach Olport verkrümelt un Beute verteilt. Up de Överfahrt ham se nämmich 'n paa Zielübungn macht, um de Geschütze kenn to tun. Un de Ziele warn so beeindruckt, dat se Fiete bitten taten, beim Tragen vonne Ladung to helfen, weil de löchriche Rumpf dat nich mehr haltn kütt. Da lässt sich Fiete Tampenstrick törlich nich zweema bitten, harhar!" Nach einem erneuten Lachen nimmt Thorkar einen weiteren Schluck Bier und wischt mit dem Handrücken den Schaum vom Mund.

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Tja, Olport mag erst einmal weit genug gewesen sein. Aber für wie lange?
Kvalor lächelt ob der Umschreibungen Thorkars. "Da waren ihnen gewiss alle so dankbar, dass manche sich auf die Suche machten, ihnen zu danken?" setzt er die Schönmalerei fort. Man muss immer gut aufpassen, wem man ans Schienbein tritt. Aber mit so einem guten Schiff und Gewitztheit kann man sich manches erlauben. Piraten sind ja nicht das einzige Problem der Marine - oft ist auch die andere, feindliche Flotte eines. Das erleichtert es den Korsaren sehr. Dumme Herrscher!

RB

"Nu ja", weicht Thorkar aus, "in Olport war nich viel los un so ham se bald wieda Anka lichtn tun. Mannschaftn hattn se genuch nach de Beute. Un 'n büschn bekloppt wan se auch. Wolltn sich nämmich nach Festum absetzn. Anne ganze horasische Flotte vobei. Tjalfis Spleen wieda..."

OHH

Genug Mannschaften? Dass sich gleich so viele Überfallene der Sache anschließen, darf man wohl als ungewöhnlich bezeichnen. Und wohin mit all denen? Hatten sie demnach eine eigenen Flottille aufgebaut?
Doch die nachfolgenden Punkte beanspruchen des Kapitäns Aufmerksamkeit noch mehr. Zum Beispiel am Schlusse wieder dieses seltsame Wort - vielleicht ein Werkzeug, da es nach nordischem Fachbegriff klingt?
"Es ist ungewöhnlich, dass sich jemand auf alle drei Meere traut, haben sie doch recht unterschiedliche Merkmale", beruft er sich auf die vorhergehenden Worte. Eine Flotte zu umgehen, erscheint ihm hierbei das geringere Problem.

RB

"Tja, Tjalfi wollt halt innet Bornische um sin Far to befrein", erklärt Thorkar. "Der tat da insitzen, dacht er. Un Fiete wurds 'n büschen heiß im Siebenwindischen, so war a auch nich böse. Un genuch Mannr un en paa Kvinnas gab et auch, die selbst Kap Brabak nich schrecken tut, wenn nur genuch Beute winkt. N paa vonne horasische Matrosn wolltn auch nach tohut.
Un so ging et halt los gen Praios. Ham nur 'n paar Schippe upgebracht, um de Mannr bei Laune to haltn und ansonsten tatn se de Bälle flach haltn", wie man beim Imman zu sagen pflegt.

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Far könnte der Vater sein, überlegt der Südländer. Die Aktivität der Mannschaft beeindruckt, sofern sie nicht erzählerisch übertrieben ist. Mehrere Schiffe auf einer Fahrt! Wenn sie nicht immer alles versenkten, bevor sie an die Beute kamen, müsste der Rumpf vor purer Ladung Schlagseite bekommen haben. Bei diesen Gedanken geht dem an ländlichen Bewegungsspielen weniger Interessierten die wenig bekannte und ohnehin übertragene Formulierung mit dem Ball unter.
"Und saß der Vater nun dort, wo er vermutet wurde?" Etwas an Thorkars Formulierung lässt Gegenteiliges argwöhnen. Wenn die Frage zu viel abkürzt, wird jener sich schon zu helfen wissen.

RB

"Dat is noch ne janz annere un bannich verworrene Geschichte", erklärt Thorkar, "aba da muttn se ers ma hinkomme. Um Proviant to bunkan, taten se nen paar kleenere Schippe upbringe un de Prise verhökan. Aba eens wa ne Överraschung.
Wa nurn kleenes aba sehr feinet Schip, kaum mehr als n Küstensegla, kurz vor Kuslik, aba an Bord wan plötzich Söldna! Wan harta Kampf, aba am Ende ham se se platt gemacht. Wat die wohl bewacht ham? Im Lagerraum wan nur n paa Instrumente un feine Kleider, nix wörklich wertvollet. Det Rätsels Lösung hatt sich innem Käptn sin Kajüte verschanzn tun." Für die folgende amüsante Geschichte muss der Thorwaler noch einmal seine Kehle mit einem Schluck Bier ölen.

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Eines ist schon mal klar: Sofern diesen Abend nicht irgend etwas Ungewöhnliches geschieht, wird er von Erzählungen angefüllt sein. Kein schlechter Zeitvertreib, gerade für einen Invaliden. Einzig der starke Dialekt Thorkars bedeutet dem alten Kapitän einen kleinen Wermutstropfen der Anstrengung. Aber wer Jahre seines Lebens am Steuerrad oder in den Wanten zugebracht hat, wer selbst Nachts oft wach bleiben musste, damit das Schiff seinen Kurs hält, der wird so ein nebensächliches Problemchen schon meistern.
Da der andere trinkt, fährt Kvalors Blick unwillkürlich über den Tisch, als suche er nach einem vollen Becher. Vielleicht war es doch keine gute Idee, noch zu warten. Andererseits ist er körperlich nicht gerade dazu ausgestattet, seine Zeche durch Tellerwaschen abzuarbeiten.
Fast scheint die emporwandernde Braue den gesamten Kopf mit hinaufzuziehen, als der Pirat wieder aufmerksam seinen Tischgefährten anschaut.

RB

Thorkar bemerkt Kvalors Blick und setzt das Bier ab. "Als se de Tür von se Kajüte upgebrochn ham, saß da nen Dutzend jonge Deerns bewacht vonnem Draken. Na ja, so ne olle Jungfer, die wo zeterte un mit ihrm Taktstock rumfuchteln tut als wolle se wen erstechen. War wohl der Kammerchor des Kusliker Konservatoriums." Das war aber schwierig und hat den Thorwaler auch sichtlich Mühe gekostet, das richtig auszusprechen. Dabei ist das doch erst das dritte Bier, oder? "Als de Drake grad ma Luft holt, sacht Fiete nur: Ausziehn. Da geht dat Gezeter törlich noch lauter los, von wechen se will de Ehre vonne Kinning mit ihrm Leben verteiding. Aber Fiete bringt se zum Schweigen. Ück will Eure Ehre nich, nur Eure Klunkers unne Kleider. Un die sin nu ma ohne Löcher un Blutflecken mehr wert. De Unnerröcke könnta anlasse un vonne Mannschaft wird euch keena angrabbeln. Da hat se noch ma tief Luft holt, aba Fietes Blick hat se tatsächlich zum Schweigen bracht. Dat wa schon n lustiga Anblick, wie se da mit wehendn weißn Unnerröcken övers Deck laufen taten, besonners för Tjalfi, der wa ja im gleichn Alta. Dann sin se innet Beiboot gestiegn, da wo se se ausjesetzt ham. Küste wa ja in Sichtweite, also keen Problem, dachten se."

OHH

Für einen Moment glaubt der Kapitän sich in eine falsche Geschichte versetzt, als er plötzlich in einer finsteren Drachenhöhle von hübschen Mädels umgeben ist. Doch der Drache mutiert sogleich zu einem ebensolchen weniger gefälliger Art. Bei sochler Überraschung wäre es ihm beinahe entgangen, wie der Thorwaler einen ganzen Satz in verständlicher Hochsprache von sich gibt. Grund genug die Braue misstrauisch zu heben.
Die durchaus angenehme weitere Vorstellung hingegen weht jeden Argwohn bezüglich der Sprachkenntnisse seines Gegenübers einstweilen wieder sanft beiseite. Das war sicherlich ein hübscher Anblick. Zu dumm, sowas fortzuschicken!

RB

"Aba grad wo se dat Beiboot losmachen wolln, tut dat Geschrei wieda losgehn. Dat Weibsvolk kann nüch segeln. Wat nu? Dasse de Hühna los wern müssn is ja klor, Frauenzimma up m Schip givt nur Ärcher." Der Thorwaler macht eine kurze Pause, das weiß ja jeder Seemann.
"Da hüppt ausjerechnet Tjalfi ins Beiboot. Tjalfi, der wo sonst mit Kleinbootn nich umgehn kann. Aba kaum locken da man paa hübsche Augen...
Wie och imma. Der hat se dann dat Segel gesetzt, de Draken de Pinne inne Hand gedröckt un wollt grad abspringe. Da geht eine von de Deernen bei un setzt ihm nen Kuss op de Backe! Da issa mehr so ins Wassa taumelt. Un zurück op m Schip wan de Lacha groß." Bestimmt mindestens so groß wie Thorkars Grinsen.

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Warum sollten Frauen an Bord Unglück bringen? Dies mag ein eher nördlicher Aberglaube sein. Zugegeben, man hat ja schon davon gehört. Mit Elfen oder Zwergen soll es ja je nach Herkunft des Matrosen ähnlich sein. Dabei vergessen die unreifen Kerls einfach die Vorteile an der Sache.
Gut, einen Zwerg wird man wohl erst auf dem nächsten Landgang so recht nützlich finden, wenn es ans Heben des Schatzes geht.
"Eigentlich hätte ich erwartet, dieser Tjalfi sei ins Boot gesprungen, um bei den Mädels zu bleiben. Das wäre doch eine hübsche Kaper gewesen!" Dabei lacht Kvalor gar nicht so laut, wie man es wohl in einer Hafenkneipe mutmaßen wollte. Viel eher wirkt er recht versonnen. Kein Wunder, denkt er doch wieder an seine beiden Mädels von damals.

RB

Thorkar lacht ebenfalls, nur etwas lauter. "Dat wohl", stimmt er zu. "Aba dat hat wohl sogar er merkt, dat de Kälbchen n büschem över sim Niwo warn. Un dat ham bald alle merkt. Denn als de Töchter aus höherem Hause" - wieder so eine Phrase auf Garethi - "im Unnerrock to Hus ankommen sin, da war nu och de annere Hälfte vonne horasische Flotte hinter Fiete un sin Schip her. Nu ging die Adler von Kuslik", er spricht den Namen mit einigem Pathos aus, "up Piratenjacht."

OHH

Erneut gibt es Hochsprachliches zu bestaunen. Sollte der Thorwaler sprachtalentierter sein als er tut? Oder kennt er sein eigenes Talent vielleicht selbst nicht?
Zwar hat der alte Seebär schon von der Karavelle gehört, aber kaum mehr, als um den Schiffstyp bestimmen zu können. Immerhin ist es demnach nicht irgendein Kahn wie hundert andere.
"Soso. Aber da du ja vorhin meintest, das mit dem Gefangenen sei eine noch ganz andere Geschichte, muss es zu jener ja noch gekommen sein, die stolzen Schiffsfinder also der Flotte das Heck gezeigt haben."

RB

Ups, da hat er wohl schon zu viel erzählt und sich so selbst die Spannung aus dem Segel genommen. Aber sei's drum. "Tja. Aba da mussten se ja ümmers noch hin komme un dat wurde schon bannich knapp.
Wechens de vielen Verfolgern is de Canido wech vonne Waterkant un durche Zyklopen gesegelt. Un wie se gerad durch ne enge Stelle zwischen zwee Inseln durch wollten, da ham se se achtern gesichtet. Segelfläche wien Imman-Feld un voll vorm Wind: Die Adler von Kuslik. Da ham se ers ma den größten Spinnaker gesetzt, den se hatten, un alles wat sons noch an Kanwas an Bord wa. Hätt nich viel gefehlt, dann hätten so noch de Segelmeisterin ihr Brusttuch gesetzt." Das Erzählungen zufolge eine beachtliche Größe gehabt haben müsste. "Aba dat große Schiff kam imma näha."

OHH

Wer ist denn nun wieder dieser Canido? Oder handelt es sich um Bosparano für einen Hund? Jedenfalls Grund genug, sich mal mit den verbliebenen vier Fingern am Hinterkopfe zu kratzen, da der halbe kaum dazu beitragen könnte.
"Ja, dann hätten sie das mal tun sollen!" Das mit dem Brusttuch, ist ja klar. Aber vielleicht hat ja auch ein Zyklop helfend mit Felsen nach den Horasiern geworfen.

RB

"Zum Glöck hattn se nen fähichen Navigator an Bord. Wie der kam, is wieda ne annere, bannich verworrene Geschichte. Un mit dem Schiff hattn se och seh gute Seekaaten övernommn. Der hat nu funnen, dat zwischn de Inseln ne staake Tidenströmung den Schippen entgechen lief. Die Canido de Mare hatte kaum wat geladen, also wenich Tiefgang. So konnte se nah anne Waterkant fahn, wo de Strömung schwach wa. De dicke Adler aba musste mitten rin. So konntn sen noch ne Weile up Abstand haltn. Nur de olle Bootsmann mutte beigehn un Schauergarn von Zyklopen spinnen, da wo Felsbrockn scheißn. Dat hat törlich nich geholfn." Thorkar schüttelt den Kopf über so viel Torheit im Angesicht des Feindes.

OHH

Entweder ist 'verworren' ein Lieblingsstichwort Thorkars oder er hat einfach einen Hang zu solchen Geschichten. Andererseits... 'Alles hägt mit allem zusammen.' Wer hat das nur immer gesagt? Ach ja, Yashkir, dieser Pergamentliebhaber.
Der Fortgang der Erzählung hält den Kapitän davon ab, nun auf die Rekapitulation der Ereignisse um die eigene Mannschaft zu verfallen. Gerade so bekommt er die Wahrung des Abstands mit, als er lauthals auflachen muss. Gewiss war das eben ein Versprecher des Thorwalers, aber dabei doch ein allzu schöner: "Scheißende Zyklopen; wunderbar, mein Lieber!"

RB

"Scheißende Zyklopen?" Der Thorwaler ist einen Moment verwirrt, dann lacht er. "Dat is och nich schlecht, Klabauterkacke noch eens."
Als er sich beruhigt hat, fährt er fort: "Zuminnes hat an dem Tach keen Zyklop weder dat eene noch dat annere macht. Un wie se ut de Engstelle raus wan, war op Backbord ziemmich sumpfiches, brackiches Flachwasser. Da konntn se noch n büschn Zuflucht suchn, denn de Adler wa inzwüschn gefährlich nah, konnte aba mit ihrm Tiefgang nich folgn. So hat se Position bezogn, so dat se im Sumpf gefangn wan. Un dann ging de Sonne unna un neblich wurd dat och noch."

OHH

"Na, das kann in so einer Situation ja mal nicht schaden", stellt der erfahrene Einbeinige fest. Ob zu Wasser oder zu Fuß - er hatte sich auch schon des öfteren zu verstecken. Oft musste er lediglich mehr Geduld aufbringen als die Verfolger.

RB

"Da hassu wah", pflichtet Thorkar bei. "So konnt de Adla zuminnes sin Geschütze noch nich einsetzn. Die ham nämmich ne viel weitere Reichweite als de Canido sins. Tominnes bis tom Morgn.
Un Fiete? Tut ersma in alla Seelenruh kla Schip machn. Alle Segel fest gerefft, jedes Tauende vertäut, allet upgeräumt un wech versteckt. De Mannr ham geflucht, ob se nich wat Wichtigeres to tun hättn. Aba de olle Fuchs de wusste genau, wat a tat un hat nich den kleenstn Schludrian durchgehn lassn."

OHH

"Ja, es mag schon helfen, so ein Schiff liebevoll zu schmieren", stimmt nun wiederum der Seebär zu. "Besonders Muschelbewuchs hemmt ja sehr die Fahrt, ebenso ein Tau, über welches sich stolpern lässt. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass dieser Fiete noch etwas anderes im Sinn hatte..." Dabei schiebt er neugierig den Kopf etwas weiter vor. Vielleicht ein Trick, eine Finte, welche die Verfolger narren sollte?

RB

"Dat wohl", muss Thorkar schon wieder zustimmen. Der alte Seebär denkt gut mit. "De Nacht wa dunkl, mim Nebel küttste kaum de Hand vor Augen sehn. Alle Segel warn gerefft, dat Schip lag janz stille. De Wachn ham gelauscht, ob vonne Adler Kleinboote röver kommen tun.
Kurz vor Mitternacht geht Fiete bei un flüstert n paa Befehle. Alle Mann up Segelstation un Mucksmäuschenstille. Nur ein Segel wird leise gehisst und auch dat nur kurz, dann liegt dat Schip wieda still.
Weil man nix sehn tut, merkt man kaum, wie dat Schip sich wieder bewegt. Denn de Gezeiten ham gewechselt un Fiete hat dat Schip genau innen Priel gesegelt. Nu zieht se die Strömung lautlos hinaus. De Mannschaft hält fast n Atem an, um leise zu sein." Die Stimme des Thorwalers ist inzwischen auch zu einem Flüstern geworden, als fürchte er selbst entdeckt zu werden.
"Da hören se plötzlich ne Glocke. Vielleicht nur fuffzich Schritt wech. Dat Mitternachtsglasen op de Adler. So dunkel un neblich is dat, dat se nüx sehn un keiner lässt auch nur een fahren, damit se nich entdeckt wern. Quälend langsam vergehn de Stunden, während alle nix tun könn, als op de Strömung un den Navigator vertraun."

OHH

Nun wäre es ja möglich, dass eine hörbare Abluft in der richtigen Richtung auch als Antrieb geeignet wäre, überlegt Kvalor breit schmunzelnd. Aber jetzt ist nicht der Zeitpunkt, mit solchen Gedanken den Redefluss zu unterbrechen. Womöglich geriete dann auch die Fahrt des Schiffes ins Stocken, und so ganz geklärt scheint die Säuberungsmaßnahme ja nun noch nicht.

RB

"Dat kostet echt Nerven. Keena weiß, wo se sin, wo de Adler is oda ob se sich överhaupt noch bewejen. Wa ja dunkel wie im Orken sin Asch. Aba irjendwann küt de nächste Befehl, geflüstert von eem zum annern: Beigehn un Segel setzen. So leise hat wohl noch keen Schipp Segel gesetzt, de Steuermann dreht se an n Wind un endlich geht et wieder los. Als de Sonne upgeht, is die Canido schon um die Insel rum un vonner Adler is weit un breit nix to sehn." Als die Anspannung von ihm abfällt, lehnt sich der Thorwaler in seinem Stuhl zurück.

OHH

Es gibt ja durchaus einige Tricks, mit welchen man auch unter solchen Bedingungen Fahrt und Richtung eines Schiffes feststellen könnte. Darin hat der alte Kapitän jedenfalls mehr Erfahrung als bezüglich der Innenausleuchtung eines Orken, welche er auch von außen erst ein einziges Mal auf jener unglücklichen Reise nach Thorwal zu Gesicht bekam. "Das klingt ja mal gut! Und dann sind sie also ins Bornland rüber?"

RB

Thorkar nickt: "Dat wa ers noch n langes Katz un Maus S-piel. Oda wohl mehr: Hund und Adler. Klingt wie n Buchtitl."
Er lacht kurz, bevor er weitererzählt: "Der Käptn vonne Adler wusste, dat Fiete nach Praios wollte. Un dat wusste Fiete. Also hat de Adler sich inner nächste Engs-telle zwischen de Inseln up de Lauer gelecht. Da is Fiete halt außen rum geschippert. Örnwann hat de Adler törlich merkt, dat se up de Schippe nommen war un nächstes Mal den Umweg ges-perrt. Da is Fiete kackfrech mittn duäch. Danach war et nich mehr so leicht to berechnen un am Ende musste Fiete noch nen langn Hakn övers offne Meer schlachn. Aba am Ende wan se duäch ohne vonne Adler och nur mehr nur ne Masts-pitze to sehn.
Un de Passage um Kap Brabak tuste eh besser kennen als wie ich." Damit hält der Thorwaler die Geschichte offenbar für beendet. Er lehnt sich zurück und spült die trockene Kehle mit einem großen Schluck Bier.

OHH

Erst stutzt der Kapitän, da er kein solches Buch kennt, doch dann blitzt ihm endlich die Herleitung des Hundes aus dem bosparanischen Schiffsnamen auf. Bei dem Durcheinander auf mehreren Ebenen, welches in der Erzählung folgt, kann er nur bedingt folgen, was man an seinem Blick und einem angestrengten Blinzeln erkennen mag. Aber er fragt nicht nach - so wichtig ist das ja nicht.
Statt dessen nickt er am Ende. So ist das wohl. Dennoch gibt es Anlass, sich vierfingrig am Schädel zu kratzen. Was ist jetzt mit dem Gefangenen? Ach so, eine andere Geschichte, ja. Na und? Auch bei Büchern hat man ja schon von Fortsetzungen gehört. "Und der Vater war nun also doch nicht im Bornland?" Gibt ja sonst nichts zu tun, solange nicht einer der alten Mannschaft hereinregnet.

RB

Thorkar zögert: "Tja. Ehrlich gesacht hab ück dat Ende von der Geschichte nie gehöät. Ück kenn nur de Situation, wie se wa, als de Canido in Festum ankam. Dat wusste nämmich Tjalfi, der wa ja dabie gewesn." Er zuckt mit den Schultern und sieht den Käpt'n fragend an, als bräuchte er eine Bestätigung, um fortzufahren.

OHH

Die sichtbare Braue hebt sich, vermutlich ja auch die unter der Augenklappe, da selbige sich ebenfalls leicht zu regen scheint. Dabei verlagert Kvalor sich wieder nach vorn und auf den Ellenbogen und den Stumpf, was ihm eine leicht schiefe Haltung einbringt. "Die Situation... Die war also dergestalt, dass man den Vater nicht vorfand?"

RB

Offenbar wird Thorkar nicht darum herumkommen, die Geschichte, soweit er sie kennt, zu erzählen. Hätte er den Vater bloß nicht erwähnt! "Also goud. Dat war so. Tjalfi sin Far war och n Pirat. Un so is de Jong souzusachen im Jeschäft grouß worn. Eenmal hat sin Far mehr so ut Versehn mit na Prise ne Deern gekätscht. De wa wohl ne Tochta vonnem piekreichen Kaufmann in Festum. De hat a geng ornliches Lösegeld wieda frei lassn. Kurz danach tut de bornische Marine ihr Schip upbring un einglich solltn alle Piraten häng..."

OHH

Ah, das klingt nun wieder nach einer romantischen Liebesgeschichte - oder anders ausgedrückt, nach Abwechslung. Lächelnd stützt Kvalor das Kinn in die Hand und ist dabei ganz Ohr. Von selbigen hat er ja zwei noch fast ganz vollständige.
Ahnungslos, was sich am Nachbartisch in der Maraskanerin ob seiner viereinhalb Finger abspielt, wird des Kapitäns Aufmerksamkeit nicht von dieser abgelenkt, sondern von der gestrengen, düsteren Dame, welche soeben als neuester Gast eintritt und sogleich den Wirt abfängt. Ihre harten Züge versprechen einen ebensolchen Willen und somit eine ganz spezielle Art von innerem Feuer. Solche Prachtweiber können sicherlich an intimerem Orte eine wahre Freude sein, wenn man bei ihnen nur erst einmal den Damm bricht. Da hat sich stets was aufgestaut, das heraus will!
In derlei Phantasien getaucht, schmunzelt er der Dame ein wenig anzüglich nach in der sicheren Annahme, sie würde ihn eh nicht weiter beachten.

VW

Die Stirne will sich schon entspannen, da bleibt der Blick der Dame an einem der Tische hängen, genauer gesagt an dem Blick eines Anderen. Das Stirnrunzeln vertieft sich. Wie um sich abzulenken fokussiert die Dame wieder den Wirt mit ihren Augen: "Es wurde ein Zimmer für mich geordert."

OHH

Reizend spröde ist sie - das hat etwas Verruchtes. Und Geld bringt die Dame offenkundig auch mit. Schade eigentlich, da dies letztendlich unterstreicht, wie unwahrscheinlich ein Zusammenkommen mit so einem abgerissenen Krüppel wie Kaptän Kvalor Hullhemer ist. Aber man weiß ja nie, und außerdem sind Träume auch etwas Feines. Genau genommen, verschönern sie einem jeden einzelnen Tag. Dass die wenigsten in Erfüllung gehen, ist ja ganz natürlich und eines Bedauerns kaum wert.

RB

"Aver Tjalfi war noch to kleen för nen Galgen. Also tun sen ins Zuchthaus stecken un nach zwee Jahn durfta dann raus. Da ham sem dann vertellt, dat sin Far gar nich am Galgen endet hat. Den ham se kurz davor weggekätscht. De Far vonne Deern wollt wohl n persönlichet Hühnchn mit m rupfn. Sehn hat den dann keener mehr tun. Aba dat Gerücht is dat a noch lebn tut, weil de Deern sich innen verguckt hat. Un dat a nu beim Pfeffersack gefangen is, bissa beigeht un de Deern heiratn tut." Thorkar zuckt mit den Schultern. "Musse nich globn, aber Tjalfi hat's tan. Un darum wollta zoröck nach Festum."

OHH

Diesmal ist es gar nicht so sehr die anstrengende Sprache Thorkars, die den Südländer in Schwierigkeiten stürzt. Vielmehr verliert er zudem die Übersicht. Bis eben hatte er gedacht, dass dieser Tjalfi ein Mädel bekommt, aber nun betrifft dies wohl doch den Vater. Vermutlich hat Kvalor vorher nicht gut aufgepasst oder etwas missverstanden.
Letztlich ist das ja auch alles gleich. Er kennt diese Leute eh allesamt nicht, und der Thorwaler scheint nunmehr alles ihm Bekannte weitergegeben zu haben. Damit ist dieser Zyklus wohl beendet, wenn nicht vom zweiten Festum-Besuch Tjalfis weitere Kunde besteht. Thorkar ist ja wohl diesem nie persönlich begegnet.
Ein Achselzucken später schaut Kvalors Auge wieder unnwillkürlich über den Tisch und anschließend im Raume umher. "Und das war es dann?"

VW

Ein kurzes Nicken, dann wendet sich die Dame hocherhobenen Hauptes zum Gehen, wirft einen letzten taxierenden Blick in die Gaststube und geht dann die Treppe hinauf zu ihrem Zimmer.

RB

"Dat isse Geschichte so weit ich se kennen tu. Dann häv ich Fiete bis to sin Tod nich mehr sehn. Dat wa auch noch so ne Geschichte", meint Thorkar wohl eher zu sich selbst und lacht.

OHH

Ein wenig ist der Einäugige abgelenkt, da das Edel-Luder gerade nochmal umherschaut und dann die Stiegen erklimmt. Donnerlittchen! Tolle Bewegungen und eine tadellose Haltung! Müsste man mal ausprobieren, ob sie das auch bei Seegang hinbekommt.
"Mein Beileid. Mwas?" 'Noch so ne Geschichte'? Schon wendet sich das struwelbärtige Gesicht wieder dem Erzähler zu. "Ist er über Bord gegangen?" Das wäre vermutlich kaum Geschichte genug, als solche angekündigt zu werden, aber wenn es wirklich eine wird, dürfte es allzu lange dauern, bis er sie selbst errät.

RB

"Neij, der hatte nen schöneren Toud. Aber vorher issa in Festum noch richtich anjesehn worn als Freibeuter. Un reich auch, son richtich feiner Pinkel. Un der hat soga die Canido di Mare im Festumer Schiffsregister eintran lassn. Mit unsere Sjólfur Ottajasko als Besitza. Janz offiziell war se dann nich mehr horasisch. Da kricht unser Ottajasko nen Schip un keena wees wat davon." Thorkar hebt die Hände als wolle er andeuten, das das ja wohl nicht sein kann. "Na ja, bis dann der Brief kam."

OHH

Vom unbestimmt schöneren aber nicht unbedingt auch schönen Tode wird alsogleich abgeführt. "Ah, da stand also drin, was er euch vererbt hat, vermute ich", brummelt Kvalor wenig erwartungsvoll, da er das Kommende zu erraten vermeint. Gewiss gab es einen größeren Nachlass als nur das Schiff.

RB

"So unnefähr", stimmt der Thorwaler zu. "Daduäch hamma överhaupt von sim Tod un nem Ship erfahn. Wennse ersma dorch dat Beamtengeschwafel dorchestiegn bis. Dat ging unnefähr so: 'Wir bedauern, vom Tod zu berichten...'" Da ist wieder das akzentfreie Garethi, während er aus dem Brief zitiert. "'Starb an einem Schwächeanfall im Beisein mehrerer Damen, deren Identitäten wir aus Gründen der Diskretion nicht mitteilen...' De oide Schwerenöter hat sich wohl toudgefickt!" Thorkar scheint das beneidenswert zu finden.
"Un dann ging dat noch weiter: 'Da keine Angehörigen ermittelt werden konnten und das Schiff auf Ihren Namen zugelassen ist, wird es nach Ende der gesetzlichen Frist an Sie überstellt werden. Die anfallenden Kosten und Gebühren werden dem Vermögen des Erblassers entnommen.'"

OHH

Zunächst nickt der Kapitän nur zufrieden über seine bestätigte Vermutung. Dann jedoch horcht er auf - nicht ob des Inhaltes wegen, sondern ob der Worte höchstselbst. Sein Auge verengt sich, mit welchem er den Thorwaler nun prüfend durchbohrt wie einen Mehlsack mit einem Messer. In diesem hier steckt jedenfalls mehr als er von außen vorgibt. Da bemerkt der Seebär auch nicht weiter die ungewohnte Anrede innerhalb des zitierten Schreibens. So vollkommen wörtlich zu nehmen wird das alles nun eh nicht sein.
"Jaja, gratuliere", schiebt er das Erbschaftsthema erst einmal höflich beiseite. "Aber sag mal; das ist ja ganz hervorragend, wie dir die Formulierungen von der Zunge gehen!" Er beugt sich noch etwas weiter vor, wie um die Klinge noch tiefer hineinzutreiben. Vielleicht will er auch die Zungenoberfläche genauer betrachten? Oder das Gaumenzäpfchen?

RB

"Nu ja", gibt der Thorwaler zu, "villeicht ham set auch nich jenau so schreibn tun, aba so unnefähr." Er fuchtelt beschreibend mit der Hand. "Son richtichet Beamtengarethi halt. Am bestn finnich den Erblasser. Is der nu erblasst, weil a tot is, oda lässt der dat Erbe?" Er zuckt mit den Schultern und trinkt einen Schluck. Er sollte langsamer machen, da ist schon wieder fast Ebbe, und er redet viel, wie immer, wenn er viel trinkt.

OHH

Versteht er die Andeutung nicht oder tut der Halunke nur so unbedarft? Kvalors Auge wird zu einem noch schmalerem Schlitz und die Mundwinkel ziehen etwas abwärts, um nur kurz bei dem Wortspiel zu zucken. Letztendlich ist auch jenes eher ein Hinweis auf das Sprachtalent Thorkars.
"Ich meine", raunt er mit ungewohnt tiefer Stimme, "dass du bemerkenswert gut Hochgareti zu deklamieren verstehst, Freundchen." Beinahe möchte man einen Vorwurf aus der Anerkennung heraushören.

RB

"Deklamiän? Dat is doch keen Theata hiä", lacht Thorkar. "Und Hochgarethi sprechen kann ja jeder, das ist doch langweilig", spricht er in selbigem, bevor er wieder in seine Mundart fällt: "Aba wennste mim Heimatsnack beigehst, dann weiße imma, wo de wech kommst. Ob ses nu magst oda nich."

OHH

So ein Schlitzohr! Die letzten Worte desselben gehen halb in Kvalors Gelächter unter. Oben gibt es nur noch drei Schneidezähne, ganz unzweifelhaft, wohingegen unten einem eine Ecke fehlt.
"Du bist mir ja ein Schelm! Aber Gewitztheit kann man immer gebrauchen. Und sei es nur, die Klabauter im Kiel zu besänftigen."

OB

Chiaro ist an seinem Seesack angekommen. Ohne erkennbare Mühe schultert er den treuen Reisegefährten, hält sich mit der einen Hand am Treppengeländer fest und nutzt den aus der Drehung entstehenden Schwung, gleich noch ein paar Schritte die Treppe hinaufzusteigen. Es hat etwas von einem Seemann, der in den Wanten herumklettert.

RB

"Dat wohl! De olle Klabauter..." Thorkar klopft auf das Holz des Tisches. "Aba dat wa auch wie Magie. Ham nichts för getan un eenes Tages kütt da de Canido de Mare gliecks inne Hafen von Olport gesegelt. Un diet wa dat. Vonne Vermögen war aba nich mehr viel da. De Heuer för de Mannschaft musste bezahlt wern. Aba dat meiste war druppgegangen vorm Lieblichn Feld för 'Durchfahrtgenehmigungen'. damit de Behörn beede Augen zudrückn un dat Schip durchlassn. Allet dokumentiät mit Quittung", lacht der Thorwaler.
"Tja. Un da liecht se nu un keener weeß, watte mit anfangen solls. Einglich ne Schande för son schickes Schip." Nachdenklich beendet er die Geschichte und trinkt noch einen weiteren Schluck.

OB

Chiaro geht die Treppe nicht hinauf, er erklimmt sie. Mit weit ausgreifendem Arm packt er das Geländer - das er als Stütze gewiss nicht bräuchte - und zieht sich dann spielerisch ein paar Stufen nach oben. Die Bewegung wiederholt er einige Male, dann ist er im Obergeschoss angekommen.

OHH

Ja, ja, die stets unersättlichen Staatskassen! Schlimmer als jeder Piratenhaufen!
Bewegungen an der Treppe aber bringen den Kapitän von dieser gewissenlosen Bande ab. Das dort ist ja auch mal ein sehr behender Bursche, wie er so die Wanten emporschnellt.
Thorkars letzte Bemerkungen führen zum Erbschiff zurück. "Das klingt ja gerade so, als sei es noch irgendwo ungenutzt vorhanden!" Vielleicht muss man ja gar nicht erst lange nach einem neuen Kahn suchen.

RB

"Jup. Sou sieht dat ut", bestätigt der Thorwaler. "Wie ich da wech bin, lach se da noch ümmers rum, eingemottet un 'n büschn ab vom Schuss im oiden Hafen." Er zuckt mit den Schultern, als fiele ihm nichts mehr ein, was er dazu sagen kann.

OHH

Weiter offen könnte das Auge wohl nicht mehr stehen. Zugleich richtet sich der gesamte Oberkörper zu einer Länge auf, welche man dem Versehrten bislang nicht zugetraut hätte. Immer mehr ziehen die Mundwinkel auseinander, bis ein freudig erwartungsvolles Lächeln entstanden ist.
"Donnerkeil! Und wo liegt es nun genau? Wäre das nichts für uns?" Ganz klar: der Thorwaler ist somit angeheuert.

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Redaktion und Lektorat: Oliver H. Herde im Jahre 2017