Fiana und Lamiadon
Autoren: Julia Köhler und Oliver H. Herde
Ein Rascheln oder Knistern, ein Geräusch, so fein wie der Stechrüssel einer Mücke und doch lässt es den Traum, der die junge Halbelfe bislang gefangen hielt, zerplatzen.
Fianas Augen sind offen, doch sie sehen nichts als Dunkelheit. Unter sich fühlt sie den harten, mit Stroh gefüllten Sack, der ihr als Matratze dient, dann spürt sie die wärmende Decke, nimmt die Geräusche der Nacht, die von draußen durch das leicht geöffnete Fenster dringen, wahr. Wo ist sie hier? Sie gähnt, fühlt sich benommen, ihre Lider sind schwer und sie sehnt sich danach, die Augen zu schließen und einfach wieder einzuschlafen. Plötzlich zuckt die Erinnerung an das Geräusch, das sie geweckt hat, durch ihr Bewusstsein, reißt sie endgültig aus der Müdigkeit.
Unwillkürlich hält sie den Atem an und lauscht. Doch sie hört nichts als das Rascheln der Blätter und Klopfen ihres eigenen Herzens. Vorsichtig setzt sie sich auf, sieht erst zum Fenster, dann zum anderen Bett, dessen Umriss sich langsam aus der Dunkelheit schält. Sie hat einen Verdacht, doch nichts scheint ihn zu bestätigen.
"Lamiadon?" Ihre Stimme ist leise, kaum mehr als ein Flüstern, doch sie weiß, dass der andere sie hören wird - wenn er denn noch da ist.
Einen Moment lang nichts, dann: "Jaaa...?"
Es ist ein sehr langgezogenes Ja, welches so klingt, als sei es der Zimmerdecke entgegengerichtet. Und man vermeint, das breite Grinsen herauszuhören, von welchem es begleitet wird.
Ansonsten zeigt der Elf keinerlei Regung. Nur sein Atem geht weiter so ruhig, als schliefe er noch.
Einen Moment lang weiß Fiana nicht, ob sie erleichtert sein oder sich wegen ihres unberechtigten Verdachtes schämen soll, und so kommt es, dass ihre Lippen lächeln, während sich ihre Wangen dunkler färben; beides verbirgt die Finsternis.
Stoff raschelt, als sie unter der Decke die Beine anzieht. "Ich dachte", setzt sie an und verstummt gleich wieder.
Was soll sie denn jetzt sagen? Dass sie ein Geräusch gehört hat? Ganz bestimmt war da eines, und Lamiadon wird es auch gehoert haben, wenn er es nicht sogar selbst verursacht hat. Doch er scheint ihm keine Bedeutung beizumessen.
"Ich dachte, du wärst gegangen", vollendet sie den Satz. Obwohl ihre Füße in Wollstruempfen stecken, fühlen sie sich kalt an, genauso wie ihre Nasenspitze.
Zwar irgendwie höchst amüsiert, spürt Lamiadon doch allzu deulich, dass dies zu bekunden nicht gerade von Feinfühligkeit zeugen würde. So schmunzelt er nur stille, während sich seine Brauen nachdenklich, fast ein wenig sorgenvoll emporziehen.
"Hm, und da sprichst du zu mir, bevor ich zurückkomme?" erkundigt er sich schließlich. Natürlich ahnt er, worauf das alles wohl hinauslaufen muss, aber vielleicht kann er Fiana zeigen, dass es Gedanken gibt, auf die er nicht von selbst käme. Möglicherweise sollte er sich vergewissern, was sie für ein Bild von ihm hat.
"Hmmm?" Auch wenn es verborgen bleibt, wie Fiana den Kopf schräg legt und weder ihre hochgezogenen Augenbrauen noch ihr verblüfftes Blinzeln zu sehen sind, ist das Fragezeichen in ihrer Stimme doch unüberhörbar. Seine Frage macht keinen Sinn. Oder doch?
Die Finger der rechten Hand wandern zu ihrer Nasenspitze und reiben daran, doch vorerst bleibt sie kalt. Langsam geht der jungen Frau auf, dass es nicht Lamiadons sondern vielmehr ihre eigene Frage ist, die keinen Sinn ergibt, und dass der Waldelf sie wohl nur einfach darauf aufmerksam machen wollte. Sie richtet den Kopf wieder auf, doch das Stirnrunzeln bleibt.
Worte. Sie sind so missverständlich, so arm. Wäre sie eine Elfe, eine richtige Elfe, bräuchte sie keine Worte, um ihre Gedanken und Gefühle darin zu kleiden. Wie leicht wäre es dann, sich ihm durch ein Bild zu vermitteln oder durch die Töne eines Liedes. Sie würde er gewiss nicht missverstehen. Doch sie ist keine richtige Elfe und muss sich auf diesen wackeligen Krücken bewegen, anstatt zu fliegen.
Wäre sie nicht so müde und hätte sie den Gedanken nicht schon so oft gedacht, wäre Fiana nun traurig, doch so schafft sie es, die Betrübnis zu verdrängen und versucht, das Missverständnis aufzuklären: "Nein. Ich wollte diesen Gedanken oder vielmehr Verdacht dadurch bestätigen oder widerlegen, dass ich dich anspreche. Da du geantwortet hast, weiß ich jetzt, dass ich mich geirrt habe."
Eigentlich hat Lamiadon etwas anderes erwartet, aber vielleicht ist er ja nur zu ungeduldig. Ob das nur an seiner Jugend liegt?
"Nun gut... Ich bin da und höre." Nein, nein, etwas mehr Hilfe darf es schon sein! Also setzt er hinzu: "Was beschäftigt dich?"
Ganz sacht dreht sich sein Kopf in ihre Richtung, dass er ihre Konturen sehen kann. Diese sollen ihm auch erst einmal genügen.
Für einen Moment herrscht wieder Stille. Dann atmet Fiana hörbar ein und lässt die Luft mit einem Seufzen wieder entweichen. Die Frage ist ihr viel zu allgemein. Was soll sie jetzt darauf antworten? Wenn er gefragt hätte, warum sie vermutet, dass er weggehen könnte, hätte sie sofort eine Antwort parat gehabt, aber jetzt, da sie die volle Auswahl an Themen hat, möchte sie nicht unbedingt damit anfangen, über ihn zu reden.
"Mir ist kalt", meint sie schließlich etwas unzusammenhängend und rubbelt weiter an der Nasenspitze herum.
"Wenn es nur das ist..." Da sie ihn ruft, weil ihr friert, lässt dies eigentlich nur einen Schluss zu. Folglich rollt sich Lamiadon dicht zu ihr hinüber und legt auch einen Arm um sie. Damit vermeint er, alles zum Wohlbefinden Fianas beigetragen zu haben - zumindest alles, über das sie mit ihm reden möchte - und schließt die Lider.
Instinktiv kuschelt sich Fiana an den Waldelfen und schmiegt ihren Kopf an seine Schulter. Ihre Wange ist tatsächlich kalt, ebenso wie ihre Hände, die sie etwas unbeholfen an seinen Brustkorb legt.
Dann wartet sie, zunächst aufmerksam seinem ruhigen Atem lauschend, doch schnell wird sie deutlich unruhiger. Will er sie denn gar nichts mehr fragen? Oder ist er so müde, dass er bereits wieder eingeschlafen ist? Aber er wirkte gar nicht müde auf sie. Schließlich überwindet sie sich, ihn wiederum etwas zu fragen: "Du hast wohl noch nicht sehr oft enger mit Frauen zu tun gehabt, oder?"
In ihrer leisen Stimme liegt kein Spott, höchstens sanfte Neckerei und eine gehörige Portion Neugier.
Wie es scheint, stimmt Lamiadons erste Vermutung doch. Es fehlt Fiana nicht nur an Wärme. Sie hat wohl etwas zu bereden, traut sich aber nicht, es anzusprechen.
"Gelegentlich", erwidert er daher knapp, da ihm das Thema nicht zum Kern zu führen scheint. Obwohl...
"Warum fragst du? Was beschäftigt dich wirklich?"
Ein wenig widerstrebend löst sich Fiana von Lamiadon. Sie legt sich auf die Seite und stuetzt sich auf ihren Ellenbogen, um den Waldelf besser ansehen zu können.
"Mich beschäftigt nichts Konkretes", beginnt sie schliesslich zaghaft, "Mir schwirren nur so viele Dinge im Kopf herum, ohne dass ich die Gedanken festhalten kann. Ich muss immer wieder an meine Eltern und meine Geschwister denken. Dann denke ich über die Gruppe, die Reise und besonders über Dich nach und über all jene, die mir auf meinem Weg begegnet sind."
Sie macht eine kurze Atempause, dann fügt sie nachdenklich hinzu: "Ich glaube, an meisten beschäftigt mich meine Einsamkeit."
Für eine Unterhaltung ist dies sicherlich eine sehr geeignete Stellung, welche Fiana annimmt - insbesondere, wenn man seine Aufmerksamkeit zeigen möchte. So tut Lamiadon es ihr gleich, obwohl er versucht wäre, im Liegen weiterzusprechen. Doch sie könnte es falsch verstehen, was sie nicht soll.
"Das ist vieles", bestätigt er nachdenklich. Geistig teilt er die Aufzählung in drei Punkte ein. Dabei kommt es ihm sehr gelegen, erst als letzter aufgezählt zu werden. Es ist sicherlich richtig, wenn er erst ihre Gedanken etwas besser fassen kann.
"Möchtest du mir von ihnen erzählen?" Erst nach seiner Frage wird ihm selbst bewusst, dass sie ein wenig offen lässt, wen er denn nun eigentlich meint. Aber das ist ihm nur recht so.
Eigentlich wäre es einfach, darauf mit einem 'ja' zu antworten, denn wäre dem nicht so, würde dieses Gespräch jetzt nicht stattfinden. Dennoch lässt sich Fiana mit der Antwort Zeit.
"Das kommt daran an", erwidert sie schließlich. "Ich habe kein dringendes Bedürfnis darüber zu sprechen, falls du das meinst. Ich habe schon mit verschiedenen Menschen, Elfen und sogar einem der Bartmurmler darüber gesprochen und es hat mir nicht geholfen. Weder habe ich mich danach besser gefühlt, noch hat es mich meinen Ziel näher geführt."
Vorsichtig tastet sie mit der freien Hand in seine Richtung. "Aber ich würde gerne mit dir reden... wenn es denn etwas dabei gibt, das dich interessiert."
Die Hand bleibt unsicher auf dem Strohsack in der Lücke zwischen den beiden Körpern liegen.
Hat sie nun also doch besonderes Vertrauen zu ihm? Möglicherweise kam es ihm eben ja deswegen ganz anders vor, weil sie grundsätzlich nicht leicht zu vertrauen weiß. Jetzt könnte etwas mehr von den Brüdern in ihm nicht schaden. Aber das wird auch so gehen.
In jedem Fall ist Lamiadon niemand, der Freundschaftsangebote welcher Art auch immer ignorieren würde. Daher legt er sanft seine Hand auf die ihre. "Ich will dich gerne besser kennen. Doch wie kann ich wissen, was dir wichtig erscheint, erzählt zu werden? Erzähle mir vielleicht über deine Sippe und was dich noch mit ihr verbindet."
Als sich Lamiadons Hand auf die ihre legt, zuckt die zierliche Gestalt kurz zusammen, als habe sie nicht damit gerechnet, und ihr Atem beschleunigt sich. Doch dieses Mal beruhigt sich Fiana schnell wieder und es dauert nicht lange, bis sie, wenn auch etwas zögerlich, beginnt: "Was mich... ich weiß nicht, ich war wohl ein wenig wie ein Maultier, das unter edlen Pferden lebte, schon von Geburt an. Ich sah ein wenig aus wie sie, ich versuchte, mich wie sie zu bewegen, die Dinge zu tun, die sie taten, eine Zeitlang dachte ich sogar, ich wäre wie sie, doch das stimmte nicht."
Die Worte kommen stockend, werden mal lauter, mal leiser, jedoch nicht als wolle das Erzählte dadurch spannender machen, sondern als betone sie für sich selbst das, was sie am meisten bewegt.
Kurz zieht Lamiadon die Brauen empor und zusammen. Warum mag sie über die gesuchte Berührung so überrascht sein?
"Es heißt, Maultiere seien widerstandsfähiger und genügsamer", wirft er halblaut ein, wenngleich er sich nicht so genau damit befasst hat. Er will Fiana nicht unterbrechen, nur ihre Gedanken vielleicht ein klein wenig aufhellen.
"Ja, das heißt es", bestätigt Fiana, doch es scheint sie nicht sonderlich aufzuheitern, "und manche sagen, dass Mischblüter das Beste beider Abstammungen in sich vereinigen. Wahrscheinlich trifft der Vergleich deswegen nicht auf mich zu. Ich bin kein Halbmensch." Langsam spürt sie die alte Bitternis in sich aufsteigen, das Gefühl allumfassender Ohnmacht. Sie schluckt hart.
"Selbst meine Sippe hat es nicht verstanden. Sie dachten, wenn sie mir Dinge beibringen, die für Menschen nützlich sind und mich oft genug in Kontakt mit Menschen treten lassen, würde das in mir meinen Menschenteil wecken und ich würde lernen, unter denen zu leben, die kein Gespür für die Melodie haben. Aber sie irren sich!"
Erschrocken hält Fiana inne, als sie merkt, wie laut sie geworden ist, dann fährt sie deutlich gedämpft fort: "Für mich spielt es keine Rolle, ob mein Blut mit dem der Menschen, Zwerge oder Goblins verunreinigt ist. Es ist genug, um mich von denen zu trennen, zu denen ich gehören möchte, doch es reicht nicht aus, um mir die Möglichkeit einer zweiten Heimat zu geben."
Verunreinigung. Da dieses Blut ein Teil von ihr ist, kann die Abscheu davor schwerlich aus Fiana selbst heraus kommen. "So hat dich deine Sippe der Melodie wegen fortgeschickt?" fragt Lamiadon etwas ungläubig. Natürlich hat er schon vielfach von solch unverständigen Elfen gehört, doch erscheinen diese ihm allzu menschlich. Ihre Gedankenwelt ist ihm fremd.
Soweit es die Hand, auf die sie sich gestützt hat, zulässt, schüttelt Fiana den Kopf. "Nein, meine Sippe hat mich nicht fortgeschickt, das hätte sie niemals getan. Ich bin gegangen."
So ist Lamiadon also nicht nur auf einen Holzweg, sondern auch aus dem Konzept geraten. Entsprechend schaut er drein, derweil er nachsinnt, wo er neu ansetzen könnte.
"Ähm, nun, jedenfalls... würde ich mich an deiner Stelle nicht so viel über Dinge ärgern, die ich sowieso nicht ändern kann. Sei einfach, wie du sein möchtest."
"Ich weiss." Auch Fiana erkennt, dass sie mal wieder an dem Punkt angelangt ist, den sie eigentlich vermeiden wollte. Wenn sie es wirklich überwunden haben sollte, warum beklagt sie sich denn dann ständig darüber? Ihr Gejammer ist doch bestimmt das letzte, was Lamiadon hören möchte. Doch was kann sie ihm statt dessen erzählen?
"Es stimmt, ich habe in den letzten Monden viel über mich herausgefunden, das ich nicht bemerkt hätte, wenn ich geblieben wäre. Dennoch fühle ich mich... unvollständig."
Kurz dreht sie ihren Kopf und sieht zum Fenster, als habe sie etwas gehört. Schließlich wendet sie sich wieder dem Waldelfen zu. "Seit meiner Kindheit ist es, als klaffe in mir eine Lücke, als fehle ein Teil von mir. Als ich noch bei meiner Sippe war, dachte ich, dass ich vollständig werden könnte, wenn ich so wäre wie sie. Aber jetzt, weiss ich nicht, wie ich das, was mich ergänzt, finden kann. Verstehst du, was ich meine?"
"Nun, ich weiß ja nicht, was es ist, da ich deine Sippe nicht kenne... Vielleicht ein wenig Gleichmut?" Er schmunzelt breit. "Jedenfalls wirst du davon brauchen, bis du es findest."
Lamiadon rollt sich wieder in Rückenlage; das ist einfach bequemer. "Wohlmöglich rennst du sonst noch daran vorbei!"
Nach einem kurzen Blick an die unsichtbare Zimmerdecke dreht er wieder Fiana das Antlitz zu. "Was stellst du dir vor, was es ist?"
'Gleichmut...' Einen Moment lang versucht Fiana in Betracht zu ziehen, dass er mit dieser, wahrscheinlich teils scherzhaft gemeinten, Bemerkung recht haben könnte. Tatsächlich fühlt sie sich oft ungeduldig, rastlos und auch launenhaft. Aber ist dies nicht nur eine Folgeerscheinung? Selbst wenn nicht, hat sie nicht das Gefühl, unbedingt etwas dagegen unternehmen zu müssen. Nicht jeder kann ein Schmunzelelf sein.
"Ich glaube, wenn ich das sagen könnte, wäre ich dem Ziel schon sehr nahe. Ich" - sie hält inne, um nach den passenden Worten zu suchen - "fühle mich wie ein Regenbogen, dem eine Farbe fehlt... nein, das ist es nicht."
Mit einer fließenden Bewegung dreht sie sich ihrerseits auf den Bauch und kaut nachdenklich auf der Unterlippe herum. Dann versucht sie es noch einmal: "Ich fühle mich wie eine Raupe. Eine Raupe, die noch nicht weiss, dass sie einmal ein Schmetterling sein wird, aber sich bewusst ist, dass das, was sie jetzt ist, nicht ihrer endgültigen Bestimmung entspricht."
Ihre rechte Hand liegt noch immer unter der Lamiadons, sie ist nicht mehr ganz so kalt.
Hätte Lamiadon das Wort 'Schmunzelelf' mitbekommen, wäre er in ein herzhaftes Lachen ausgebrochen. So aber geht er nur auf Fianas letztes Gleichnis ein: "Dann brauchst du ja nur zu warten - und dich bis dahin vollzufressen."
Es fällt ihm schwer, ernst zu bleiben. Nur zu gut weiß er, dass die Ermahnung zur Geduld um so vieles leichter ist, als jene wirklich umzusetzen. Gewiss ist Fiana noch jung und hat noch viel Zeit, sich zu entpuppen. Einstweilen bringt man sie wohl am besten einfach auf andere Gedanken.
"Jeder sucht irgend etwas."
Wäre es nicht so dunkel, könnte Lamiadon das neugierige Aufblitzen in Fianas Augen sehen. Augenblicklich ist der letzte Rest von Traurigkeit oder Müdigkeit verflogen. "Und wonach suchst du?"
Mit dieser Frage hat er natürlich gerechnet, kaum dass das letzte Wort über seine Lippen gekommen ist. Ja, es hätte ihn gar überrascht, wenn sie nicht gekommen wäre. Es gibt wenige so zuverlässige Dinge wie die Neugier. Er schmunzelt.
Für einen Wimpernschlag ist er versucht, von jenem Schatz zu sprechen, dem die Gruppe folgt, obgleich sie nicht an ihn glauben will. Doch das würde Fiana nicht gerecht. Die Wahrheit mag ernüchternd genug sein. Hoffentlich ist Fiana nicht enttäuscht!
"In diesem Punkt sind wir uns nicht ganz unähnlich. Es gibt kurzfristige Ziele, oftmals Alltäglich, doch wem die Suche meines Lebens gilt, weiß auch ich nicht. Mag sein, es ist das, was alle Wesen treibt. Allerdings strebt unsere Familie noch nach anderem. Nach Wissen und... nach der Erhaltung des Eo."
Wie ein kleiner Blitz zuckt eine Erinnerung in Fianas Kopf auf, ein Name, ein Gesicht, umrahmt von braunem Haar, dunkle Augen, die immer ein wenig spöttisch auf sie herabzublicken schienen...
Die Bilder verblassen wieder, doch wie die hellen Flecken, die dem Licht in die Dunkelheit folgen, bleibt auch der alte Schmerz noch ein wenig bestehen.
"Vor ein paar Sommern, es mögen wohl fünf gewesen sein, traf ich einen Waldelf, der mir auf die gleiche Frage eine ähnliche Antwort gab. Sein Name war Eoval." Es ist lange her, dass sie das letzte Mal an ihn gedacht hat. Wie es ihm wohl gerade gehen mag?
"Seit dieser Zeit bin ich mir nicht mehr so sicher, ob es wirklich möglich ist, beide Ziele zu erreichen. Sie scheinen mir so weit voneinander entfernt zu liegen, dass man kaum in die eine Richtung gehen kann, ohne der anderen den Rücken zuzuwenden." Sie zögert, doch weil sie das Gefühl hat, gerade etwas sehr Unhöfliches gesagt zu haben, fügt sie noch hinzu: "Zumindest scheint es sehr schwer zu sein, gerade, wenn es auch um Menschen geht."
Hingegen wird Lamiadon wieder einmal nicht ganz schlau aus Fianas Worten, hat er doch mehr als nur zwei Dinge genannt. "Was liegt voneinander entfernt?" Schon will er seine erste Vermutung fragend anfügen, doch diese ebenso wie die zweite und dritte erscheinen ihm zu abwegig. So setzt er nur zweimal an, ohne dass ihm mehr als ein Atemlaut über die Lippen käme.
Nur langsam überkommt ihn eine Ahnung, die er schon gelegentlich hatte: Dass Fianas Problem ganz woanders liegen könnte.
Ein Rascheln zeugt von einer weiteren Positionsveränderung Fianas. Überhaupt scheint sich die zierliche Halbelfe recht häufig zu bewegen, was eine Folge der Kälte sein mag - vielleicht ist sie aber auch einfach nur zappelig.
Sie zögert noch einen Moment, doch nicht, weil sie selbst nicht weiß, was ihre Worte meinten, sondern weil sie überlegt, welche anderen Kombinationen noch naheliegend gewesen wären. "Das Streben nach Wissen und die Erhaltung des Eo", antwortet sie schließlich.
Lamiadon stutzt, was man deutlich an der kleinen Pause hören kann. Diese Möglichkeit war ihm allein deswegen überhaupt in den Sinn gekommen, weil es die letzten beiden Dinge seiner Aufzählung waren. Inhaltlich allerdings kommt ihm nicht so artverwandt vor wie diese zwei.
"Wie kommst du darauf, sie lägen einander fern? Ist denn das eine ohne das andere überhaupt denkbar? Wie willst du über etwas entscheiden, wenn du nichts weißt? Wie willst du Wissen nutzen, ohne es einzuordnen und zu bewerten?"
Es fällt Fiana schwer, ihre Widerworte zu formulieren, denn sie fühlt sich eingeschüchtert. Wer ist sie, um mit einem Elf des Waldes über das Eo zu diskutieren? Wer ist sie, dass sie es wagen kann, seine Ziele anzuzweifeln? Ist er nicht sehr viel älter als sie, sehr viel erfahrener? Aber war Eoval nicht auch älter und reifer als sie? Und trotzdem irrte er.
"Was muss ein Wolf wissen, um sein Rudel zu beschützen? Was muss ein Hase wissen, ein Falke, ein Fuchs? Sieh dir die Tiere an, sie alle halten das Gleichgewicht aufrecht, sie alle bewahren und befolgen die innere Ordnung aller Dinge. Keiner von ihnen muss fortgehen und Wissen suchen, denn das, was sie wissen müssen, ist tief in ihnen drin, genauso wie in uns. Was brauchen wir sonst noch, um zu spüren, dass etwas gut und etwas falsch ist?"
"Die sprechenden Völker sind anders als die anderen", erwidert Lamiadon ungerührt und ohne längere Überlegung. "Es ist ihr Wesen, mehr lernen zu müssen und mehr lernen zu können. Warum wohl muss der Wolf das Rudel schützen? Weil es Junge gibt, die es noch nicht gelernt haben."
Zwar dreht er sich wieder auf die Seite, Fiana entgegen, doch diesmal gemütlich liegenbleibend.
"Du magst spüren, dass etwas nicht stimmt, doch du brauchst den Gedanken, es genau zu erkennen. Und je ungewohnter dein Aufenthalt, desto mehr musst du erst erfahren, um dich zu orientieren."
Die letzten Worte haftet ein Hauch der Nachdenklichkeit an. Welch ein seltsames Gefühl, so unvermutet eine Schülerin erhalten zu haben! Ist er nicht einer der Jüngeren, die bislang immer fragten und zuhörten? Ist er nicht ungestüm und wenig besonnen? Nicht, wenn man ihn mit den Menschen vergleicht, aber die wollen selten etwas lernen, wenn sie erst einmal ein gewisses Alter erreicht haben.
Ein wenig verwirrt runzelt Fiana die Stirn. Reden sie denn schon wieder über zwei verschiedene Dinge?
"Erfahrung und Wissen sind zweierlei Dinge", stellt sie fest und wirkt dabei fast ein wenig trotzig. "Es ist etwas anderes, zu wissen, wie man einen Hirsch jagt, als Erfahrung darin zu haben. Ich glaube, es ist gut, Erfahrung zu sammeln, aber das, was vor allem die Menschen unter dem Sammeln von Wissen verstehen, finde ich gefährlich. Sie sind... so gierig und wollen mehr wissen, als sie durch ihre Erfahrung begreifen können."
Sie seufzt leise und klingt nun nicht mehr stur, sondern nur noch ein wenig traurig. "Seine Augen... Ich wünschte, ich könnte sie vergessen."
"Achso, du meintest speziell theoretisches Wissen."
Auf einmal kommt Bewegung ins Bett, als Lamiadon sich zum Sitzen aufrichtet und den Strohsack dafür etwas zurechtrückt. "Wessen Augen?" fragt er beiläufig.
Fiana nickt knapp. Sie hätte es sich denken können, dass sich auch hier die Worte wieder verfehlt haben. Sie zögert einen Moment, dreht sich erst vom Bauch auf die Seite und begibt sich dann, dem Beispiel des Waldelfen folgend, ebenfalls in die Sitzposition.
Erst nachdem sie es sich halbwegs bequem gemacht und die Beine so angezogen hat, dass sie nun im Schneidersitz sitzt, antwortet sie: "Eovals Augen. Die Gier darin..." Sie möchte nicht darüber sprechen, möchte noch nicht einmal daran denken, dennoch kann sie damit nicht aufhören.
"Er stand nur da, über den Körper des Schwarzpelzes gebeugt, er hatte mich nicht bemerkt. Ich dachte erst, er würde überprüfen, ob der andere noch lebt... doch dann sah ich, dass dem nicht so war. Er durchsuchte seine Sachen... ich weiß nicht wonach. Plötzlich drehte er sich zu mir um und sah mich an..."
Ihre Stimme klingt rauh, als würde es ihr Schmerzen bereiten, weiterzureden. Doch gerade als es scheint, als habe sie aufgegeben, überwindet sie sich ein weiteres Mal. "Hast du schon einmal in die Augen eines Elfen geblickt, der badoc geworden ist?"
Auch Lamiadon hat inzwischen eine bequeme Stellung gefunden, indem er in dem halb emporgeknickten Strohsack fast wie in einem Sessel sitzt und die Beine ausstreckt.
"Sicher", erwidert er trocken. Das schreckt ihn nicht viel mehr als Wesen, die schon von Geburt an den Weg des Eo verlassen. Gewiss, es mag im ersten Moment immer ein wenig mehr überraschen.
"Er erhoffte sich also, bei dem Ork etwas von Wert zu finden?" Fast klingt der Elf belustigt darüber. Dann wird er wieder ernster: "Wer hatte wen angegriffen?"
Überrascht über dessen scheinbare Gleichgültigkeit angesichts des schlimmsten Schicksals, das sie sich selbst vorstellen kann, sieht Fiana den Älteren an.
"Spielt das eine Rolle? Du kannst dir die Situation bestimmt vorstellen. Eine Gruppe, Eoval, zwei Männer vom Stamme der Thowaler, ein Bartmurmler, ein Krieger und ich, die durch die Lande ziehen, in dem Glauben, Gutes zu tun - zumindest hatte ich diesen Glauben - trifft auf eine Gruppe Orks. Die Orks wollen Münzen, die anderen wollen sie nicht hergeben. Irgendwann werden daraus Handgreiflichkeiten und dann zieht der erste seine Waffe. Mal ist es einer der Orks gewesen, das nächste Mal einer der Menschen..." Sie zuckt mit den Schultern.
Gewiss spielt alles eine Rolle, doch Lamiadon drängt es nicht, jedes Detail zu kommentieren oder zu analysieren, obgleich es hinreichend Ansatzpunkte gäbe. Schlussendlich ist es nicht die Schuldfrage, die Fiana stört. Sie glaubt an Gut und Böse.
"Dich bekümmert, dass er - Eoval - sich benahm, wie du es von einem Orken oder Menschen erwartet hättest? Das Blut sagt eben nicht viel darüber aus, wie sich jemand verhält. Wenn du anders sein willst, bist du es auch."
Es fällt Fiana immer schwerer, zu antworten, und sie ertappt sich dabei, wie sie schon wieder nervös an ihrer klammen Nasenspitze herumrubbelt. Schnell nimmt sie die Hand runter und steckt sie unter die Bettdecke.
"Aber er war nicht immer so und er wäre bestimmt nicht so geworden, wenn er bei seiner Sippe geblieben wäre", beharrt sie. "Er hätte bestimmt eine Aufgabe gefunden, die seinem Wesen entspricht und die ihn glücklich macht, zumindest solange, bis sein Geist stark genug gewesen wäre, dem Badoc zu widerstehen. Ich glaube nicht, dass er wirklich so werden wollte, genauso wenig, wie ich so sein möchte."
Kurz schmunzelt Lamiadon über ihre eilige Bewegung. Dann aber atmet er etwas tiefer ein, bevor er erwidert: "Und wenn es seinem Wesen entsprach, fortzugehen? Und lag es nicht an ihm, dies ebenso zu entscheiden, wie alles, was er von anderen übernahm? Denk einfach nicht mehr an ihn, sonst wird dich deine Furcht mehr leiten als deine Vernunft."
"Denk nicht mehr an ihn?" Die Frage klingt wie das erschreckte Piepsen einer Maus. "Aber er war mein Freund, der erste, den ich nach dem Verlassen meiner Sippe hatte. Wie kann ich da aufhören, an ihn zu denken?"
Unter der Decke wandert Fianas Hand zu ihrem linken Fuß, und anstatt die Nase zu rubbeln, rubbelt sie nun an ihren Zehen herum.
"Und was ist mit mir selbst? Entsprach es denn auch meinem Wesen, fortzugehen, obwohl ich es eigentlich gar nicht wollte? Werde ich stärker sein als er? Habe ich mich denn nicht bereits verändert? Tue ich nicht bereits Dinge, die ich früher als albern und verrückt empfunden hätte? Wie kann ich da keine Angst haben?" Wie Regentropfen prasseln die Fragen unermüdlich auf den armen Ladmiadon herab.
Stirnrunzelnd schweigt Lamiadon für ein paar Momente. Dann erwidert er ruhig: "Sind dies Fragen an mich? Dann solltest du sie mir so stellen, dass ich sie beantworten kann."
Unschlüssig müht er sich, einen zentralen Punkt aus seiner Erinnerung herauszufischen, doch der Anfang ist unter dem Ende bereits weitgehend verschüttet. "Hältst du es denn immer noch für verrückt?"
"Ähm, also, i...ich weiß nicht..." stottert Fiana, die sich offensichtlich noch nie Gedanken über diese Frage gemacht hat, überrumpelt, und ihre Zehen müssen mittlerweile schon ganz rot sein, so fest, wie sie an ihnen herumknetet.
"Es schien sich immer so zu ergeben. Ich meine... es ist besser, als alleine zu sein und es tut gut, einfach irgendein Ziel zu haben. Ich möchte auch nicht, dass uns irgendwann etwas fehlt, nur weil wir es nicht mitnehmen konnten..."
Sie gibt einen sehr langgestreckten Seufzer von sich. "Solange ich bei meiner Sippe war, war alles so einfach. Ich wusste, was gut und richtig ist und was verrückt, aber jetzt... fühle ich mich so orientierungslos. Ich beginne, das Gefühl dafür zu verlieren oder vielleicht werde ich auch nur einfach zu bequem, die richtigen Dinge zu tun."
Sanft streicht Lamiadon ihr über die Schulter. "Sind vielleicht andere Dinge richtig, wenn sich eine Situation geändert hat?" Der Tonfall verrät die Rhetorik der Frage. "Und ist es etwa bequem, einen Schatz zu suchen?" Leise lacht er.
Die sanfte Berühung Lamiadons schafft es nicht, das Unbehagen und die Zweifel aus den bernsteinfarbenen Augen der Halbelfe zu vertreiebn, dennoch hat sie auf Fiana eine seltsam beruhigende Wirkung. Einen Moment lang ringt die junge Frau mit dem Bedürfnis, sich einfach zusammenzurollen, an den Waldelfen zu kuscheln und den Rest der Nacht damit zu verbringen, über heitere und schöne Dinge, wie Musik, zu reden, doch dann schiebt sie den Gedanken wieder von sich.
"Vielleicht ist es körperlich nicht sehr bequem, einen Schatz zu suchen", räumt sie schließlich ein, "aber geistig ist es das. Es ist ein wenig wie die Religion der Menschen. Für sie ist es bestimmt nicht sehr einfach, ihren Göttern zu dienen, dennoch ist es vermutlich bequemer, als sich von ihnen loszusagen. Solange ich etwas habe, worauf ich hinarbeite, fühle ich mich nicht mehr so nutzlos und klein. Es ist nicht die Lücke, die ich füllen möchte, aber ich habe Angst vor der Leere und der Orientierungslosigkeit, die die Alternative bilden. Ist es nicht falsch, Angst zu haben?"
"Das ist etwas anderes", behauptet Fiana. "Wenn ich einem Bären oder Drachen gegenüberstehe, wenn ich mich ihm nähere, kenne ich das Risiko. Ich weiß, dass er mir große Schmerzen zufügen kann, wenn ich mich dumm verhalte, oder mich töten kann, und ich respektiere ihn dafür. Aber Angst habe ich vor anderen Dingen, vor denen, die ich nicht einschätzen kann. Zum Beispiel davor, verrückt zu werden oder vor dem Alleinsein. Ich habe Angst davor, meine Freunde oder meine Familie zu verlieren."
Nachdenklich streicht Lamiadon mit dem Finger über seine Nase. Dieses Mädchen ist wirklich ein schwerer Fall - schwerer als die meisten Menschen, die so sehr viel unbedarfter in den Tag hineinleben, als sie es von den Elfen vermuten. Es erscheint ihm oft als eine Fehldeutung, die Elfen seien den nichtsprechenden Völkern näher als die Menschen. Sie respektieren sie nur mehr.
"Ich denke, deine Ängste sind teils unbegründet. In jedem Falle erreichst du nichts, indem du dich von ihnen leiten lässt. Aber dass du sie bei Entscheidungen berücksichtigst, ist sicherlich recht getan."
"Ich habe nie gesagt, dass ich mich von ihnen leiten lasse", stellt Fiana sanft, aber betont fest, denn schliesslich möchte sie nicht, dass Lamiadon sie für ein verzagtes Angsthäschen hält.
"Aber ich lasse sie nicht aus den Augen. Doch vielleicht sollten wir über etwas anderes reden." Tatsächlich klingt die junge Frau so, als würde sie sich recht gerne vom Thema ihrer Ängste und Sorgen entfernen. Sie zörgert, grübelt kurz vor sich hin, dann entscheidet sie sich für eine der vielen Fragen, die sie dem Waldelfen gerne stellen würde: "Ist dies das erste Mal, dass du mit einer Menschengruppe durch die Gegend ziehst?"
"Durchaus nicht."
Schweigen, denn eigentlich ist die Frage damit ja beantwortet. Aber dann muss Lamiadon doch schmunzeln, denn Fiana ist Mensch genug, um ihre Frage ganz anders gemeint zu haben.
"Du weißt ja, dass mich Ildebran und Achzul von früher her kennen. Und dass ich schon häufiger außerhalb der Salamandersteine umhergereist bin. Zu mehreren ist es manchmal spaßiger."
"Ja, Ildebran und Achzul haben mir von dieser früheren Begegnung erzählt", erwidert Fiana und klingt dabei wenig begeistert, schließlich haben die beiden dabei kaum positive Worte über den Waldelfen verloren. Eigentlich haben sie außer dem Vorwurf des Verrates so gut wie gar nichts über Lamiadon erzählt.
Plötzlich kommt Bewegung in die zierliche Gestalt. Mit wenigen, skurril anmutenden, Hüpfern im Sitzen rutscht die Halbelfe näher an Lamiadon heran und legt ihre Hand vorsichtig auf seinen Oberarm.
"Ach, Elfenfreund, mach es mir nicht so schwer!" Obgleich sie versucht, so zu klingen, als würde sie schmollen, bleibt ihre Stimme leicht, fast amüsiert, als wäre das alles nur ein Spiel. "Ich habe dir soviel von mir erzählt, sogar von Eoval, und dennoch weiß ich weniger über dich, als über den Schatz, den wir suchen und den es möglicherweise gar nicht gibt. Vielleicht wartest du darauf, dass ich dir die richtigen Fragen stelle, aber selbst dafür kenne ich dich noch nicht gut genug."
"Ja, und deinen Bruder würde ich gerne einmal kennenlernen", ergänzt Fiana ungeduldig und hüpft noch ein wenig auf und ab.
"Aber da gibt es bestimmt tausend wichtige Dinge, die ich nicht nicht weiß. Ich meine... ich kenne noch nicht einmal deine Lieblingsfarbe und selbst ob du Honig magst, weiss ich nicht so genau!" Tatsächlich scheint gerade letzteres für Fiana ein Punkt von höchster Bedeutung zu sein.
Noch fragt sich Lamiadon, von welchem seiner Brüder er erzählt haben mag und was eigentlich, dass es zu dieser hopsenden Neugier gekommen ist, da bricht er mit einem Male in herzliches Lachen aus. "Ah, sowas ist dir wichtig! Tja, nun... Natürlich mag ich Honig! Und meine Lieblingsfarbe..." Er kratzt sich überlegend am Hinterkopf. "Viele Farben sind schön, eigentlich alle auf ihre Weise... Vielleicht am ehesten braun und grün. Oder doch mehr ein dunkles Gelb?" Es wirkt nicht, als mache er sich lustig, sondern sei ernstlich bemüht, die Antwort zu ergründen.
Wenn Fiana so für sich überlegt, gibt es einige Farben, die sie nicht mag... das Gelb des Eiters zum Beispiel, das Grau des Regenwolkenhimmels an einem Tag, an dem sie auf Sonne gehofft hatte,oder die schmutzige Farblosigkeit schmelzenden Schnees. Aber darauf kommt es jetzt nicht an, auch nicht darauf, sich auf eine Farbe festlegen zu müssen, es ist nur einfach schön, darüber zu reden.
Und so beugt sich die junge Frau ein wenig vor, so dass ihr kurzes, federngleiches Haar kurz Lamiadons Arm kitzelt und wirft helfenderweise ein: "Meine Lieblingsfarbe ist grün, ein helles Grün, wie das der Blätter im Frühling, aber mir gefällt das Bunt des Herbstlaubs auch sehr gut und die Farbe, die Haar oder Fell hat, wenn sich die Sonnenstrahlen in ihm fangen... und natürlich die Farbe der Sterne!"
Dem Elfen ist einfach nur noch nach einem friedvollen Schmunzeln zumute, angefangen bei der Beobachtung von Fianas aufblühender Freude über das sachte Kitzeln hin zu ihrer Eröffnung, die sich so wenig festlegen mag wie er selbst. Und dies, obgleich die Frage ja von ihr kam. Aber in der Tat verbinden sich auch in ihm angenehme Vorstellungen mit den aufgezählten und so bildhaft beschriebenen Farben. "Siehst du..." nickt er lächelnd dazu.
"Hm, was sehe ich denn?" fragt Fiana heiter nach und legt den Kopf schief. Tatsächlich kann sie Dank des Lichts der Sterne ziemlich viel sehen, zwar keine Farben, doch Schattierungen und Formen. Sie kann den Rahmen des Bettes erkennen, die Decke, Lamiadons bequem sitzende Gestalt, das lange Haar, das über die Schultern des Waldelfen fließt.
Für einen Moment stellt sich das Elfenmädchen vor, wie es sich wohl anfühlen muss, über es zu streichen, dann hebt sie die freie Hand und zupft an einer ihrer eigenen kurzen Strähnen. Wie schön wäre es doch, so wundervoll langes Haar zu haben und keine Federn, die kaum zu wachsen scheinen und ständig unzähmbar in alle Richtungen stehen!
Von diesen Überlegungen nichts ahnen, obgleich er sie doch aufmerksam mustert, erwidert Lamiadon: "Dass du dich ebensowenig für eine Farbe entscheiden magst, wie ich."
Sein Blick weicht nicht von ihr. Doch ihre Gedanken wird er wohl nicht genau erraten, lediglich ihre allgemeine Stimmung. Wie schön, dass diese zumindest so umgeschwungen ist! Aber darüber hinaus hilft nur fragen. "Doch scheint mir, in dir geht gerade noch viel mehr vor..."
Erneut fühlt sich Fiana ein wenig ertappt. Sieht man es ihr selbst im Halbdunkel so deutlich an, dass ihre Gedanken abschweifen?
"Es ist nichts von Bedeutung", antwortet sie vorsichtig, aber nicht abweisend, dann lächelt sie. "Du hast Recht, ich will mich nicht zwischen Dingen entscheiden, die mir angenehm sind, eines dem anderen vorziehen oder mich gar auf eines von ihnen festlegen. Ich glaube, das wäre auch nicht ehrlich, denn wenn ich immer nur die eine Farbe sehen würde, wäre das auf die Dauer bestimmt sehr langweilig und irgendwann würde sie zu der Farbe werden, die ich am wenigsten zu schätzen weiß. Denkst du nicht auch?"
"Aber gewiss!" muss Lamiadon betonen. "Die Abwechslung ist für jedes sprechende Wesen von hohem Wert, ja meist lebensnotwendig!" Er erspart sich die Bemerkung, dass dies für alle Lebensbereiche gelten mag. "Wenn alles dieselbe Farbe hätte, könnte man wohl nur noch anhand von Helligkeiten etwas erkennen - oder mit anderen Sinnen."
Dass Fiana vor allem über andere Dinge gesprochen hat, merkt sie
selbst erst, als sie Lamiadons Worte hört. Die Bemerkung
bezüglich der Helligkeiten scheint ihr in diesem Kontext absurd
und doch könnte es in irgend einer Weise die Antwort auf ihre
unausgesprochene Frage sein, auf den Verdacht, der sie vorhin erwachen ließ.
Obgleich der Waldelf so tut, als gäbe es nichts, das er zu verbergen hat, bleibt er für sie ein Rätsel, das sie nicht ergründen kann. Auf eine schwer zu beschreibende Weise ist er ihr fremd, fremder als es Ildebran, Achzul oder Zoe jemals waren. Bei jenen hatte sie noch nie den Verdacht, sie könnten an einem Morgen plötzlich verschwunden sein, doch was Lamiadon angeht, scheint diese Befürchtung bei ihr ein Dauerzustand zu sein. Bedeutet das, dass sie ihm nicht vertraut? Sie nimmt an, dass er sie mag, aber geschieht es aus dieser Zuneigung, dass er sie begleitet? Oder doch alleine aus Erlebnislust? Was, wenn ihnen etwas begegnet, das seine Aufmerksamkeit mehr fesseln wird?
Und was ist mit ihr selbst? Hat sie nicht eben selbst gesagt, dass sie die Abwechslung schätzt und sich nicht festlegen möchte?
"Abwechslung ist wichtig, ja", wiederholt sie, mehr zu sich selbst und doch laut genug, dass sie ihn hören kann, "Aber es gibt auch noch anderes, das ebenso wichtig ist. Loyalität, zum Beispiel."
Welch eine seltsame Betonung dieses elfische Wort bei ihr hat! Mit anderer, vertrauterer Aussprache könnte es soviel wir Treue bedeuten. So aber...
Lamiadon muss kurz auflachen, wobei er selbst nicht recht weiß, worüber genau eigentlich. Vielleicht ist er einfach nur verdutzt, doch auch die Vorstellung dieser Loyalität kommt ihm ein wenig bizarr vor.
"Ähm... Bei dir klingt das so... steif." Er zögert mit einer Fortsetzung, da er Fiana nicht kränken möchte, aber Ehrlichkeit ist immer das beste.
Vielleicht hatte sie ja nur etwas im Hals und findet den Vergleich lustig, drum spricht er fröhlich weiter: "Fast wie bei Menschlichen Bündnissen!"
Als sie Lamiadons Lachen und seine Bermerkung vernimmt, nimmt Fiana ihre Hand von seinem Arm und rückt ein wenig von ihm ab. Ist denn alles, was sie sagt, so lächerlich? Oder warum führt jeder ihrer Sätze zu einem Heiterkeitsausbruch des Waldelfen? Natürlich ist es schön, dass er alles mit soviel Humor nimmt, doch irgendwie empfindet sie dieses ständige Lachen und Schmunzeln genauso verletzend wie damals Eovals herablassendes Lächeln.
Sie könnte sich ihm erklären, möglicherweise wäre es noch nicht einmal so schwer. Sie könnte von den Ameisen und Bienen erzählen, von der Gemeinschaft, die nur funktioniert, wenn jeder einzelne darin sich ihr verpflichtet fühlt, von der Spinne, die stirbt, um ihren Kindern als Nahrung zu dienen, von den Wölfen, die ihrem Rudel ein Leben lang treu bleiben. Sie könnte ihm davon erzählen, wie es ist, ohne geistige Verbindung zu leben, ohne die Vereinigung der Seelen, die jedes Misstrauen im Keime erstickt und jede Form leerer Zusammenhörigkeitsversicherungen unsinnig macht.
Doch selbst, wenn sie ihm dies alles sagen könnte, was wäre dadurch gewonnen? Vielleicht würde er sie begreifen, vielleicht würde er sie abermals belächeln, aber es ist kaum wahrscheinlich, dass er irgendetwas tun würde, das ihren Erwartungen genügen könnte.
Seufzend schüttelt die Halbelfe den Kopf. "Es tut mir leid", meint sie schließlich leise.
Nun ist seine Befürchtung doch eingetreten! Ein wenig dreht er sich ihr nach. "Aber nein, verzeih! Ich wollte dich nicht beleidigen." Warum machen die Leute immer alles so unnötig schwer? Am besten, er nimmt das Thema wieder auf, wo er es mit seiner Belustigung verlassen hat. Doch wo war das gleich? Was ist ihr eigentliches Problem?
"Natürlich hast du recht, dass man in vielem jemanden braucht, dem man vertrauen kann. Gewiss meintest du das?" Fast schaut er ein wenig bittend.
"Ja und nein", antwortet Fiana und klingt dabei sehr erschöpft, "Das mit dem Vertrauen ist richtig, aber bei mir ist das ganze noch komplizierter."
Die Müdigkeit scheint die Chance der Ablenkung nutzen zu wollen, doch gleichzeitig fühlt sich die junge Frau viel zu aufgeregt, um jetzt ans Schlafen denken zu können.
"Ich habe dir doch gesagt, dass ich Angst vor dem Alleinsein habe. Ich weiß, dass ich mich nicht davon leiten lassen darf, dennoch bin ich durch sie ständig auf der Suche, ohne es zu wollen. Es ist lächerlich, doch immer, wenn mir jemand begegnet, den ich mag, kommt mir der Gedanke, dass dieser derjenige sein könnte, der dafür sorgen wird, dass ich nie wieder Angst vor dem Alleinsein haben muss. Natürlich ist das dann nicht so, und ich weiß, dass die Angst und nicht die Einsamkeit das eigentliche Problem ist... dennoch ändert es nichts an der Enttäuschung, die ich empfinde, wenn ich merke, dass ich mich geirrt habe."
Als sie ihren Kopf auf die Hände legt, scheinen ihre spitzen Ohren einen täuschenden Augenblick lang ein bisschen weniger senkrecht zu stehen als sonst.
Jetzt endlich versteht er. Seine Ahnungen gingen in die richtige Richtung, doch nun eröffnet sich ihm das gesamte Bild. Still nickt er, lächelt tröstend.
"Das ist wirklich ein Problem. Ich bin ihm schon häufiger begegnet. Das Geheimnis ist, dass das Erkennen selten im ersten Moment erfolgt, sondern meistens im Laufe der Zeit. Dies auch mit den gefühlen zu begreifen und die nötige Geduld aufzubringen, braucht es schon eine besondere Selbstzufriedenheit und Gleichmut."
Obgleich er immer vor dieser Qual verschon geblieben ist, weiß Lamiadon inzwischen sehr wohl, dass man all dies nur schwerlich ohne Hilfe lernen kann - gerade, weil es um Gefühle geht. Seine Arme heben sich ein wenig und breiten sich etwas aus - ein deutliches Angebot, sich an ihn zu kuscheln.
Ohne zu zögern rutscht Fiana nun wieder näher an Lamiadon heran, um sich von der Seite her etwas unbeholfen in seine Arme zu schmiegen, was ihr im Liegen sicherlich einfacher gefallen wäre. Dennoch tut es ihr gut, seine Wärme zu spüren und das damit verbundene Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu genießen.
"Was muss ich machen, um selbstzufrieden und gleichmütig zu werden?" fragt sie ihn schließlich schüchtern.
Lächelnd schließt Lamiadon Fiana in die Arme. Wie aber könnte der Ausdruck nicht zum Schmunzeln geraten bei dieser Frage! Aber sein Kopf ist ja über dem ihren, und es ist sowieso ein sehr freundliches und väterliches Schmunzeln.
"Deine eigenen Werte erkennen und zu schätzen wissen. Alles weitere müssen andere tun. Und auch hierin sollten sie dir helfen. Das will auch ich tun."
Statt dies allerdings genauer zu umschreiben, hält er sie nur weiter ruhig, und sie mag sich fragen, ob er leise summt oder sie sich das nur einbildet.
Die eigenen Werte zu erkennen - dieses Unterfangen scheint Fiana ähnlich schwierig wie das Finden eines Schatzes, den es nicht gibt. Welche Werte könnten das sein? Sie besitzt weder den Eifer Ildebrans, noch die Stärke Achzuls oder die Selbstsicherheit Lamiadons. Selbst die geheimnisvolle Zoe scheint ihre Mitte bereits gefunden zu haben.
Nun, wenn sie sich in ihr Seelentier verwandelt, ist dies anders, dann muss sie nicht darüber nachdenken, ob sie von den anderen gemocht wird oder ob sie den an sie gestellten Ansprüchen genügt. Wenn sie ihre Flügel ausbreitet und sich in die Fluten des Windes stürzt, dann gibt es kein Grübeln, nur Fühlen und Handeln. Aber ist diese Form der Selbstgenügsamkeit das, wonach sie streben sollte?
'Vielleicht sollte ich einfach nur versuchen, elfischer zu werden.' Bei dem seltsamen Gedanken muss selbst Fiana lächeln. Tatsächlich fühlt sie sich trotz der Gedanken wohl - eigentlich sogar sehr wohl. Den Kopf an die Brust des Waldelfen gekuschelt, versucht sie, seinen Herzschlag zu erlauschen. Dabei durchströmt sie ein warmes, beruhigendes Gefühl und erfüllt sie mit Vertrauen und tiefer Dankbarkeit. Sie hebt das Kinn ein wenig und versucht, zu ihm aufzusehen. Es ist schön, den Moment zu genießen, doch sie möchte etwas tun, das darüber hinausgeht.
"Was wünscht du dir?" fragt sie sanft und so leise, dass es kaum lauter als die Melodie ist, die er in ihrer Vorstellung für sie summt.
Wirklich, sie versteht, schwierige Fragen zu ersinnen! Schon mal eine besondere Fähigkeit. Lamiadon muss nachdenklich den Kopf beiseite senken, wodurch dieser zugleich ihrem Blickfeld näherrückt.
"Hmmm... Ein erfülltes, fröhliches Leben?" Der Wunsch mag simpel und flach klingen, doch die Betonung lässt es als etwas Großes klingen, hinter dem sich mancherlei verbirgt.
"Oh." Fiana klingt nicht wirklich enttäuscht, doch wirkt sie auf eine seltsame Art ein wenig entmutigt. "Ich dachte mehr an... naja... Apfelhonigpfannenkuchen zum Frühstück, ein Gute-Nacht-Lied oder einen braungrüngelben Wollschal."
Sie fängt wieder an, nachdenklich an der Nasenspitze zu reiben. "Das mit dem erfüllten Leben wird schwieriger werden..."
Wiederum muss Lamiadon mit einem Lachen kämpfen, doch zugleich ist er sehr gerührt. "Achso, da habe ich deine Frage missverstanden. Ein Wollschal wäre sicherlich sehr nützlich, wo der Winter naht. Und auch die anderen Dinge sind nicht zu verachten. Aber es ist nicht direkt so, dass ich sie mir herbeisehne. Da wird man allzu leicht enttäuscht."
Nebenbei streichelt er Fiana sacht den Rücken.
"Ich verstehe", antwortet Fiana, obgleich sie sich da nicht so sicher ist. Ob er damit meint, dass es sein könnte, dass die Apfelhonigeierkuchen anbrennen, ihr kein schönes Schlaflied einfällt und es vielleicht eine Weile dauert, bis sie die richtige Farbe oder bereits gefärbte Wolle findet?
"Natürlich möchte ich nicht, dass du enttäuscht bist", stellt sie leise fest und ärgert sich schon wieder fast ein wenig, dass sie ihn überhaupt gefragt hat. Was ist, wenn tatsächlich alles schief läuft, wenn der Koch des Gasthauses sie nicht in die Küche lässt und auch nicht weiß, wie man Eierkuchen macht? Was, wenn sie verlernt hat, wie man strickt? Oder der Schal Lamiadon nicht gefällt? Was, wenn sie mal wieder alles falsch macht?
"Vielleicht ist es dann am besten, wenn es eine Überraschung wird", schlägt sie vor, um die aufkommende Panik zu unterdrücken. "Ich sage dir einfach nicht, wann es fertig sein wird und was es ist, und wenn du es dann nicht magst... hmm, bin ich vermutlich enttäuscht... aber das macht nichts", versichert sie tapfer lächelnd. Sie zögert einen Moment, dann fragt sie hinterher: "Gibt es denn irgend etwas, das ich jetzt und sofort für dich tun kann, ganz ohne Vorbereitungen?"
Endlich wird auch Lamiadon klar, was jeder Beobachter längst geahnt und vermutet hätte: Sie will ihm etwas schenken oder sonstwie eine Freude tun. Doch warum so umständlich? Warum die Fragen? Gewiss ist es recht, den anderen mit etwas zu erfreuen, das ihm keine Bürde ist, man ihn also zunächst einmal hinreichend kennen sollte.
Die Art und Weise, in der Fiana vorgeht, beweist nur ums andere Mal ihre Selbstzweifel. "Ich mag es bestimmt", raunt er zuversichtlich - dessen ist er sich wahrhaftig sicher, da es ihm schon ob der Absicht und des Absenders gefallen wird.
Zu ihrer letzten Frage aber erklärt er sanft und immer leiser werdend: "Ich finde es so sehr gemütlich. Du musst nichts weiter tun. Es ist gut."
Begreifend, dass es wohl wirklich nichts gibt, das sie jetzt für den anderen tun kann, nickt Fiana langsam und schmiegt ihre Wange und ihr Ohr noch ein wenig enger an seine Brust, wie ein kleines Tier, das bei seiner Mutter oder einem seiner Geschwister Schutz sucht. Schon will sie erneut die Lippen öffnen und etwas sagen, doch dann schließt sie den Mund wieder, ohne auch nur einen einzigen Laut hervorgebracht zu haben. Sie weiß nicht, was sie noch sagen soll und hat sie nicht auch bereits genug gesagt? Vielleicht ist Lamiadon bereits müde und möchte gar nicht mehr reden, würde sich im Gegenteil dadurch gestört fühlen?
So verharrt sie also wortlos, blickt an ihm vorbei in die Dunkelheit, während ihre Hand ihre Nasenspitze loslässt und statt dessen sanft über die Seite des Waldelfen streicht.
Die Augen des Elfen sind geschlossen; seine Atmung geht ruhig und langsam. Würde Lamiadon nicht hin und wieder das Streicheln erwidern, könnte man meinen, er sei wieder eingeschlafen.
Auf diese Weise lässt er ein Weilchen vergehen, gibt sich und Fiana Zeit, zu genießen und zu entspannen. Zugleich bietet er ihr Gelegenheit, doch noch etwas zu sagen, denn ihren kleinen Anlauf hat er wohl bemerkt.
Sie aber schweigt, und er kann noch immer leichte Spannung in ihr erahnen. Drum hebt er die Linke, nun ihren Hinterkopf zu streicheln, und haucht: "Tu immer, was du möchtest..."
Die Beine eng an den Körper gezogen, hat sich Fiana ähnlich einer Katze in Lamiadons Umarmung zusammengerollt und genießt mit ebenfalls geschlossenen Augen die sanften Berührungen. Langsam weichen die Fragen aus ihrem Geist und die Spannung fließt von ihr ab.
Irgendwann weiß sie nicht mehr, was sie eigentlich fragen oder sagen wollte und falls es da doch noch etwas geben sollte, erscheint es ihr nicht mehr so wichtig. Worte haben keine Bedeutung mehr, können doch ihre streichelnden Hände viel besser das vermitteln, was sie wirklich mitteilen möchte.
Sie streicheln die Dankbarkeit über seine Seite, malen das Vertrauen auf seinen Bauch, erzählen seiner Brust von ihrer Freundschaft und Zuneigung und den glatten Haarsträhnen, die sie durch die Finger gleiten lässt, von der Bewunderung, die die junge Frau für den Waldelfen empfindet.
Schließlich streckt sie sich ein wenig und gähnt leise.
Auch Lamiadon wir zunehmend von der Schläfrigkeit erfasst. Da Fiana befriedigt scheint, beruhigt dies auch ihn. Seine Bewegungen werden langsamer, bis er sie schließlich einstellt.
In diesem Moment hält auch Fiana inne, träge blinzelt sie zu Lamiadon auf. Ihre Hand, ihr Arm, all ihre Glieder fühlen sich schwer, aber auch nicht mehr so kalt an und für die Dauer eines Herzschlags spielt die zierliche Halbelfe mit dem Gedanken, einfach loszulassen und ohne weitere Bewegungen an Ort und Stelle in den Schlaf zu gleiten. Doch der Gedanke an das vermutlich nicht allzu erquickliche Erwachen, lässt sie noch einen letzten Aufstand gegen die bleierne Müdigkeit proben.
Und so streckt sie sich, gähnt ein weiteres Mal, reckt sich in die Höhe und drückt Lamiadon einen sanften Kuss auf die weiche Wange.
"Gute Nacht, Freund", murmelt sie, dann sinkt sie in die Tiefe und legt sich neben den Elfen bäuchlings auf die strohgefüllte Matratze. Ein letztes, zartes, aber diesmal auch seltsam glückliches Seufzen erklingt, dann hört man auch von ihr nur noch regelmäßige Atemzüge.
"Hm?" zuckt Lamiadon aus seinem Halbschlaf noch einmal empor und öffnet die Lider. Dann erwidert er leise: "Ja, dir auch..." und gleitet selbst in eine waagerechtere Position zurück.
Und schon ist es wieder still um ihn, und für diese Nacht kehrt Ruhe in das kleine Zimmer des Gasthauses ein.
Ausschnittliste des Grünen Ebers
Redaktion und Lektorat: OHH