"Die Zwölfe zum Gruße, gelehrter Herr. Gewiss, nur frei heraus."
Der Magier lächelt freundlich und nickt wie zu sich selbst. Er kann sich bestätigt fühlen, denn dieser Geweihte entspricht nicht dem landläufigen und übertriebenen Bild des magierfressenden Fanatikers.
"Danke." Er erhebt sich in den Steigbügeln ein wenig, um sich zumindest andeutungsweise vor dem Priester zu verneigen. Nach langem Reden aber steht ihm ebensowenig der Sinn wie dem anderen Reisenden.
"Lerano Metisar, Magus Combattivus aus Bethana. Ich bin auf dem Weg nach Gareth und frage mich, ob Ihr... Kunde von dieser Stadt habt."
Die rechte Hand lässt den Zügel des Pferdes fahren. Mit dem Daumen der Rechten reibt er über die linke Handfläche.
Es ist bloße Gewohnheit, dass der Blick des einäugigen Priesters zu den sich bewegenden Händen des Zauberers zuckt. Als der Geweihte spricht, sucht er wieder den Blick des Magiers, wie es sich im Gespräch gehört.
"Meine Kunde ist nicht die neueste. Ich verließ Gareth kurze Zeit nach der Schlacht, von der Ihr sicherlich gehört habt, auf Befehl des Heliodan." In den Augen des Magiers sucht der Priester kurz nach Anzeichen einer Bestätigung, dass die Schlachten der jüngeren Vergangenheit bis ins Horasreich bekannt geworden sind. Es kann nicht anders sein. "Gareth hat die Schlacht mit der Hilfe der guten Götter überstanden. Der selbsternannte Dämonenkaiser ist tot, sein Unheiligtum vom Himmel gefegt. Der Schwarze Drache ist vertrieben, aber die Reichsbehüterin fiel ihm zum Opfer und Königin Rohaja ist verschollen. Prinz Storko und Prinz Selindian Hal sind wohlauf. Der Angriff der Niederhöllen hat Spuren hinterlassen, aber... es gibt Hoffnung."
Dem Magier scheint seine eigene Bewegung erst dann bewusst zu werden, als der Blick des Geweihten zu seinen Händen geht. Wie ertappt hält er einen Moment inne - doch einen Herzschlag später lässt er auch mit der Linken den Zügel fallen und gibt sich keine Mühe mehr, die Bewegung seines Daumens zu kaschieren. Auch sein Blick geht aber zum Gesicht seines Gegenübers zurück, wie es die Höflichkeit gebietet. Aufmerksam mustert er den Geweihten, nicht die geringste Regung scheint ihm zu entgehen. Bekräftigend nickt er, sobald der Priester eine solche Reaktion zu erwarten scheint.
"So ist Eure Kunde ein wenig besser als die bisherige", erwidert er schließlich. "Das gibt mir den Mut, meine eigentliche Frage zu stellen, Euer Gnaden... Ich bin auf der Suche nach einem alten Kampfgefährten. Das Schicksal wandelt oft auf verschlungenen Pfaden - vielleicht wisst Ihr auch etwas über ihn?"
Vor Daradans innerem Auge nimmt eine Erinnerung Gestalt an, an eine Garether Taverne am Vorabend der Schlacht, als seine Gefährten und er zusammenkamen, um nicht zu vergessen, wofür sie stritten. Dass sie noch immer Menschen waren. An eine junge Frau und ihr nicht initiiertes Kind. 'Wir wollten den Segen spenden lassen, wenn mein Alrik wieder aus Wehrheim zurück ist. Er ist Soldat, wisst Ihr? Ich erwarte ihn täglich zurück.'
Wie viele sind in Wehrheim und Gareth gestorben? Wie wenige der Lebenden und der Toten hat er gekannt? Dennoch liegt es ihm fern, eine solche Bitte zu verwehren: "Wie ist der Name Eures Gefährten?"
Auch die Antwort des Magiers lässt einen Atemzug lang auf sich warten, während die Erinnerungen einer vergangenen Schlacht an ihm vorbeiziehen. Dämonisches Kreischen und Heulen, der Geruch und Geschmack von Metall und Blut. Der morastige Boden des Tales an der Ogermauer, aus dem sich in der Nacht die Gebeine der toten Menschenfresser erheben. Der Mann, den er schützen sollte: tot. Der Kampfgefährte - unter dem massigen, stinkenden Kadaver eines zweimal erschlagenen Ogers begraben: sterbend. Nur durch Magie zu retten. Doch woher nehmen, die Kraft? Und wie in den Leib des Gefährten bringen?
Lerano räuspert sich, auch um die Bilder zu vertreiben.
"Er ist ein Krieger von liebfeldischem Adel. Dom Bernhelm di Taresellio-Leonesco ist sein Name."
Der Geweihte wird bleich. Es wird das erste von weiteren noch folgenden Zeichen an diesem Tage sein. Noch weiß er nichts von einer treuen Soldatin, einem pergamentenen Aufruf um Hilfe, einer Albino-Zauberin, einem Schatten, der auf sein und Kuins Betreiben ins Licht gestoßen wurde, und einer Geweihten des Angrosch, die das vermeintlich kleine Ziel dem großen vorgezogen hat. Noch weiß er nicht, dass sie alle bereits auf einen Ort hin unterwegs sind oder sogar schon auf ihn warten.
"Er ist mir bekannt. Auch wir sind Kampfgefährten. Ich... Als ich Gareth verlassen habe, war er noch dort - wohlauf, so sehr man es in solchen Zeiten überhaupt sein kann. Ich weiß nicht, ob er noch dort ist. Es mag sein, dass er und weitere Weggefährten wie ich neue Order erhielten oder sich ihrerseits einer weiteren Queste angenommen haben. Es... es ist noch viel zu tun."
Was für ein Schrecken es doch sein kann, wenn sich eine vage Hoffnung plötzlich und unerwartet erfüllt. Lerano starrt den Geweihten geradezu fassungslos an, seine Mundwinkel kräuseln sich zu einem hilflosen, verwirrten Lächeln: "Ihr kennt ihn tatsächlich."
Ein undefinierbarer Laut - irgendwo zwischen einem Schnaufen und einem erleichterten Seufzer, vermischt mit einem trockenen Auflachen - entringt sich seiner Kehle. Sein Blick richtet sich in die Ferne, und für einen kurzen Moment nimmt sein Gesicht einen unschlüssigen Ausdruck an. Braucht der alte Gefährte denn wirklich seine Hilfe? (Und ja, es nagt an ihm: Bernhelm ahnt wohl nicht einmal, was Lerano für ihn getan hat...)
"Viel zu tun, sagt Ihr..." setzt er dann hinzu.
"Ich wünschte, ich wüsste genaueres", antwortet der Priester. "Ich hatte eine Wahl zu treffen, indem ich meine Gefährten verließ. Ich hoffe, ich traf die richtige." Er zweifelt nicht daran, dass die Suche nach dem Licht die größte Mission ist, auf die er je entsandt wurde. Aber was, wenn er in Wahrheit das Licht hinter sich gelassen hat, statt darauf zu zu reiten?
"Kommt das nicht an, aus welchem Blickwinkel man es betrachtet, Euer Gnaden? Und nach welcher Zeit? Ich habe schon manches Mal Entscheidungen getroffen, die andere für falsch hielten. Oder über die ich selber zweifelte. Aber wenn ich mich jetzt betrachte... Ich sage, diese Entscheidungen haben mich letztlich auf den Weg geführt, den ich gehen sollte und wollte."
Lerano zuckt mit den Schultern; diese Erklärung ist nicht gut, aber besser scheint sie ihm gerade nicht gelingen zu wollen.
"Das wird wohl nur die Zeit weisen können. Nicht immer deckt sich unsere Pflicht mit unseren Wünschen. Und nicht immer sind unsere Entscheidungen die richtigen. Nichtsdestotrotz, wir müssen sie fällen und verantworten... Wohin werdet Ihr nun gehen, hochgelehrter Herr?"
Lerano zuckt wieder einmal mit den Schultern.
"Nach Gareth. Nichts von dem, was Ihr sagtet, hat mir einen Grund gegeben, meine Entscheidung zu ändern. Eher im Gegenteil."
Der Geweihte lächelt. "Nichts läge mir ferner, als Euch davon abzuhalten. Eine gute Fahrt, hochgelehrter Herr. Und... bestellt Seiner Wohlgeboren und seinen Begleitern meine... meine Grüße." Er hält dem Magier über den Pferdehals hinweg die Hand hin. "Daradan von Isentrift", holt er die Namensnennung nach, die ihm der Zauberer noch voraus hatte.
Lerano ergreift die dargebotene Hand und drückt sie dankbar und zuversichtlich.
"Ich werde Eure Grüße ausrichten."
Kein '...falls ich ihn finde'. Nur das bindende Versprechen.
"Und Euch wünsche ich den Segen der Zwölfe für Eure Queste."
Noch ein bestätigendes und zugleich zögerliches Nicken - es ist immer so schwierig, die angemessenen Abschiedsworte zu finden, vom rechten Zeitpunkt einmal ganz abgesehen. Aber gewiss wird Seine Gnaden einen würdigen Weg finden, das Gespräch zu beenden und sie beide ihrer Wege ziehen zu lassen.
Was der Zauberer wünscht, kann der Geweihte erflehen. Und er tut es, eingedenk des gemeinsamen Gefährten und des Reiseziels, von Herzen. Ohne die Hand des Magiers loszulassen, richtet er feierliche Worte an ihn und den göttlichen Falken gleichermaßen. Worte, die nicht mit der Anrede eines Fremden gesprochen werden können: "Das Auge Ucuris möge über dich wachen. Die Schwingen Ucuris mögen dich ans Ziel tragen. Die Krallen Ucuris mögen dich gegen alles Übel feien, solange du rechtschaffen bist im Herzen und in deinen Taten, Lerano Metisar."
Mehr als nur ein wenig überrascht erwidert Lerano den Händedruck. Ihm ist, als würden sich die tiefhängenden Wolken etwas lichten, als wäre zumindest für einen Augenblick die Stelle auszumachen, an der die Praiosscheibe hinter all dem Grau verborgen ist. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Stunden wird er Zeuge göttlichen - oder wenigstens durch tiefen Glauben hervorgerufenen - Wirkens, und diesmal ist er gar derjenige, dem der Segen gilt.
Daradan lässt die Hand des Zauberers los, nickt ihm zu... dann lässt ein Schenkeldruck Albus wieder in Bewegung kommen, und der Geweihte reitet nachdenklich seines Weges, nicht ohne sich später noch ein-, zweimal umzusehen.
So ergriffen ist Lerano, dass er am Ende des kurzen Gebetes beinahe widerwillig die Hand des Geweihten wieder aus der seinen entlässt. Seine Augen schimmern feucht, und die Kehle scheint ihm so zugeschnürt, dass er kein Wort des Dankes sprechen kann - nur ein bescheidenes Nicken bringt er zustande.
Als sich Daradans Pferd in Bewegung setzt, reitet Lerano noch nicht los. Wenn sich der Geweihte noch umdreht, sieht er den Magier noch immer an derselben Stelle stehen - und von der Haltung seines Körpers ist erkennbar, dass er ihm nachschaut. Erst als der Ucuriat ganz außer Sicht ist, setzt auch Lerano seinen Weg fort.
Nach Gareth.