Vier (sch)ritten nach Bethana
Autoren: Iris Schischmanow, Oliver H. Herde und Werner Skibar
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Es ist ein warmer Sommertag im Rondra, 1019 Jahre nach dem Untergang der allbekannten Stadt Bosparan. Viel Volk reist wieder auf den großen Reichsstraßen des Lieblichen Feldes, da nun stürmischer Regenguss ebenso wie lästiger Niselregen der letzten beiden Tage vergangen sind. Unweit eines kleinen Gasthauses an der Seneb-Horas-Straße aber findet man eine Reisegruppe von besonderer Ungewöhnlichkeit auf dem Weg gen Westen.
Es sind dies zunächst einmal ein massiges Pferd - dem Kenner als Tralloper Riese erkenntlich - welches schwer beladen auf den schwarzen Basaltplatten einherklappert. Der Sattel erinnerte ob seiner Größe und Form eher an einen Thron, wären da nicht zwei schwenkbare Armbrüste an den Seiten angebracht.
In der Mitte aber sitzt sorgsam angeschnallt ein kleines, aber sichtlich kräftiges Geschöpf mit einem langen Bart und angetan mit schwerer Kettenrüstung, hinter dessen Rücken ein Kriegshammer ganz besonderer Schmiede hervorschaut.
Auf seinem Schoß hat es ein zierliches Menschenkind in ärmlichen Kleidern, welches aus schwarzen Augen neugierig umherschaut.
Immer wieder fällt dabei der Blick auf den so wohlhabend Gewandeten, der doch neben dem Pferde zu Fuß geht, die Arme trotz der Wärme tief in die Manteltaschen vergraben - so tief wie die Gedanken, denen er trübsinnig nachhängt.
IS
Die kleine bärtige Gestalt sitzt entspannt auf ihrem Thron. Die linke Hand hält locker die Zügel, die rechte hängt zur Seite runter. Das Gesicht, oder was davon zu sehen ist, strahlt eine unbändige Lebensfreude aus, und die Augen funkeln. Tief atmet sie ein paar Mal durch und fährt sich mit der Rechten durch das Haar. Dann macht sich die gute Laune durch ein nicht sehr melodiöses Pfeifen Luft. Erst noch leise, aber dann immer lauter werdend. Dabei lehnt sie sich ab und zu etwas zur Seite, um an der zierlichen Gestalt vor ihr vorbeizuschauen. Zwischenzeitlich wechselt das Pfeifen mit einem auch nicht sehr melodiösen Brummen und ein Paar gesungenen Wortfetzen auf Rogolan, nur um dann wieder in ein Pfeifen überzugehen.
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Für einen auf den ersten Blick nicht erkennbaren Mitreisenden gibt es angesichts der grauslichen Geräusche nur zwei Möglichkeiten. Die eine wäre, sich darüber lustig zu machen. Die andere erscheint momentan der Stimmung zuträglicher: Mitsingen!
"Ein Jäger aus Winhall, verschwand im Wald mit lautem Knall, ein Jäger aus Winhall, ein Jäger aus Winhall..." plärrt es hinter der Zwergin Rücken drauflos. Zum Glück ist auf der Straße momentan niemand in Sichtweite.
Jäh bricht der Hammer sein Gejaule ab, da er den kurzen genervten Seitenblick des Einhändigen registriert. Es kann keine Rede davon sein, dass mit diesem fröhlichen Liedchen die Stimmung bei jenem gehoben worden wäre. Vielmehr scheint er sich noch tiefer in seinen dumpfen Grimm zu verkriechen, den Blick in die Dunkelheit der unter ihm so langsam vorbeiziehenden schweren Basaltplatten vergraben. Nein, das ist wirklich nicht Spaßig! Der beste Scherz ist immer noch derjenige, über den ALLE lachen können, folglich brütet der Hammer einstweilen still an neuerlichem Unfug.
WS
Das Mädchen verdreht verzweifelt die Augen, als der Hammer seinen Gesang beginnt. Nun, es gibt sicher schlimmere Sänger, aber zumindest ihr ist keiner bekannt. Zum Glück ist die Qual nur von kurzer Dauer. Erleichtert blickt sie nach hinten, dann blickt sie nach vorne, und meint: "Ist es noch weit?"
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Erstmals seit dem Aufbruch blickt nun der Einhändige auf und lächelt sogar ein wenig. Ja, die Kinder in ihrer Ungeduld! Das gibt sich mit den Jahren - bei manchen mehr, bei ihm selbst zugegebenermaßen weniger. "Nun, in anderer Richtung habe ich die Strecke zu Pferde zurückgelegt. Ein paar Stunden, schätze ich."
Sein Blick bleibt auf das Mädchen gerichtet, derweil sein Geist buchstäblich ins Blaue hinein abschweift, bietet das kleine Antlitz doch seltsamen Trost, dessen sich der stutzerhaft Gewandete nicht gleich bewusst wird.
WS
"In ein paar Stunden erst!" wiederholt das Mädchen nachdenklich. "Kommen wir dann an vielen Orten vorbei?"
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Wie auf die Nase gestupst, beendet der Einhändige seinen weltfernen Ausdruck. "Oh, ja, nein..." Ein Räuspern gibt ihm ein wenig Zeit, sich zu sammeln. Sein Augenmerk richtet sich dabei wieder auf die Straße, allerdings nicht jenen Teil davon, der ihm direkt zu Füßen liegt, sondern vielmehr den fernen, welcher sich wohl um ein Wäldchen schlängelt.
"Nun, das Liebliche Feld ist dich besiedelt. Es gibt hier überall viele kleine Dörfer und einzelne Gehöfte. Aber nennenswert ist bestenfalls das Örtlein namens Horasia, vielleicht noch ein Stündchen vor uns.
Warum? Hast du Durst?" Eine Frage, die schon am rauhen Klang erkennen läßt, wonach der Mann sich selbst gerade sehnt. Brot und Törtchen haben zwar sehr gut geschmeckt, doch langsam könnte er wirklich etwas zum Nachspülen vertragen!
WS
Vielleicht wird dieses Lächeln einmal Herzen brechen, vielleicht vermag der unbewusste Augenaufschlag einmal Sinne zu verwirren. Doch noch ist keine Frau aus der jungen Blüte erwachsen, und wer von normalen Sinnen ist, mag diese Gesten des Kindes auch nur als das auffassen, was sie auch bedeuten - ja, sie hat Durst. Noch ist sie sich dieser sprachlosen Ausdrucksweise nicht bewusst, noch pocht ein Herz voller Unschuld in der Brust. So schliessen sich der stummen Antwort doch noch Worte an: "Ein wenig...!" Und wieder dieser bittende Augenaufschlag.
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"Hmähmtja..." Wieder räuspert er sich, wenngleich aus einem anderen Grunde als zuvor. Und als wüsste er es nicht besser, klopfen Hand und Stumpf wie suchend die Brust ab, derweil seine Augen nach einem Bächlein am Wegesrande Ausschau halten. "Wir können ja zum Mittag in Horasia einkehren. Ich habe nämlich leider nichts dabei." Er blickt zur Zwergin empor: "Du, Gudelne?"
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"Oh, äh..." etwas verlegen richtet Gudelne ihren Blick erst auf den Einhändigen neben sich auf der Straße, dann auf das Mädchen vor sich im Sattel. Da hat sie doch wieder mal vor sich hin geträumt! "Ob ich was bei mir habe?" wiederholt sie nachdenklich. Eigentlich hat sie ja nur den letzten Satz mitbekommen und weiß gar nicht so recht, worum es geht. Für einen Zwergen gibt es auf diese Frage allerdings nur eine richtige Antwort und so fährt sie mit einer Hand in die Satteltasche und holt eine kleine Trinkflasche heraus. Diese streckt sie dann vom Rücken des großen Pferdes dem Einhändigen entgegen. "Da, nimm und lass es dir schmecken."
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Flugs hellt sich die Mine des Mannes auf, doch während er Gudelnes Bewegung erwidert, indem er das Behältnis an sich nimmt, springen ihn gleich zwei Gedanken an. Zum einen wäre es nicht gerade nett, einem durstigen Kinde etwas vorzutrinken, andererseits aber kennt er die Zwerge und insbesondere Gudelne doch allzu gut, um nicht zu ahnen, von welcher Sorte der Inhalt ist. So schraubt er die Flasche erst einmal auf und hält seine Nase darüber. Sogleich legt sich die Stirn in Falten, während der Mund ganz unpassend hierzu zu einem Lächeln verbreitert wird.
Halb ernst wendet er sich an die Spenderin: "Nun, ich fürchte, das ist nicht gerade das Rechte für unsere kleine Marlit!" Für ihn aber schon, und deshalb nimmt er erst einmal einen tiefen Schluck.
Dann setzt er ab, behält aber im Fortfahren die Flasche offen in der Hand: "Wenn du für sie nichts hast, schau, ob du von deinem Ausguck aus einen Bach sehen kannst!"
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"Oh, ähmm..." Verlegen wegen ihres Fehlers grinst Gudelne und kramt wiederum in ihren Satteltaschen. Schließlich fördert sie einen alten und fast schon leeren Wasserschlauch zu Tage. "Nur das hier", antwortet sie und schüttelt den Schlauch mit seinem kläglichen Rest. Gleichzeitig versucht sie, sich nach einem Bach oder einer Quelle umzublicken, was ihr angesichts der Tatsache, dass sie fest im Sattel angeschnallt ist, und andererseits auch Marlit vor ihr sitzt, nicht so recht gelingt. Kurze Zeit später gibt sie ihre Bemühungen auch schon wieder auf und wendet sich Marlit zu: "Ich habe leider nur Wasser, das schon seit zwei Tagen nicht mehr aufgefrischt wurde. Hast du großen Durst, meine Kleine?"
WS
Marlit schüttelt leicht den Kopf: "Ist nicht so schlimm! Aber vielleicht könnte ich ja das andere Getränk kosten? Es scheint ja schmackhaft zu sein!?"
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Gerade will der Einhändige zum nächsten Schlucke ansetzen, da unterbricht ihn das Kind mit seiner Frage. Ein Brummelräuspern ist seine erste Antwort, dann erklärt er: "Also, das ist ziemlich starkes Zeug. Ich glaube nicht, dass dir das schmecken würde, aber von mir aus sollst du mal an der Flasche riechen. Du wirst schon sehen!" So reicht er ihr nach einem kurzen zweiten Schluck den Brannt hinauf, behält aber unwillkürlich den Verschluss und schaut auch recht aufmerksam, dass sie ja nichts verschüttet.
IS
Empört versucht die Zwergin, sich im Sattel aufzurichten und größer zu wirken. "Dran riechen? DRAN RIECHEN?! Du willst uns wohl beide beleidigen! Erstens ist Marlit alt genug, um einen guten Tropfen zu probieren, und zweitens wirst du in dieser Gegend keinen besseren Brannt finden!" Indigniert schaut die Zwergin auf den Einhändigen herab, so also ob er ihren edlen Tropfen soeben einen billigen Fusel genannt hätte. Man kann ihr deutlich ansehen, dass sie stolz auf ihre gut sortierte Auswahl von Gebranntem ist.
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Also das ist doch...! Da bleibt dem Einhändigen doch tatsächlich die Luft weg! Und kaum als er sie halbwegs wiedererrungen hat, entgegnet er schimpfend: "Dann macht doch, was ihr wollt!" Er drückt dem Kinde die Flasche in die Hände, während er in Gedanken weiterflucht: 'Das tut ihr ja sowieso. Lass dich nur vollkotzen! Schade um den guten Tropfen, aber auf mich hört ja doch nie wer!' Stumpf und Hand verschwinden derweil samt Flaschenverschluss wieder in den Manteltaschen - diesmal nicht ob eines Fröstelns, sondern zum Zeichen heißen Zornesschmollens.
WS
Nun hat also das Mädchen die Flasche in der Hand. Der Geruch, der langsam in ihre kleine Nase steigt, erinnert sie ans Zimmer ihres Großvaters - dort roch es auch immer wieder so... furchtbar streng. Sie weiß zuerst nicht, ob sie es wirklich wagen soll, auf jeden Fall fällt ihr aber ein, wenn ihr Großvater sie erwischt hätte, wenn sie so etwas trinken täte, hätte es eine ordentliche Tracht Prügel gegeben - schon allein der Gedanke, etwas Verbotenes erlaubt machen zu dürfen, lässt sie nicht lange zögern, und sie nimmt einen Schluck... und dieser brennt Marlits Kehle hinunter, so dass sie lautlos nach Luft schnappt und Tränen aus ihren Augen treten.
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Der laufende Edelmann derweil bemerkt offenbar noch nichts vom aufkommenden Problem des Kindes, nichts davon, wie recht er mal wieder hatte. Statt dessen ergeht er sich noch stumm in Prophezeihungen, die längst von ihm unbemerkt eintreten. Den Kopf hat er eingezogen, die Schultern nach vorn gerichtet, als fröhre er trotz der sommerlichen Hitze.
Und hinter Gudelnes Rücken ahnt man eher, denn man es vernimmt, ein ganz, ganz leises "Auwei!"
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Immer noch vor sich hinbrütend und auch leicht verärgert ob der Unterstellung, sie würde irgendsoeinen billigen Fusel anbieten, an dem man höchstens riechen kann, bemerkt Gudelne die herannahende Katastrophe nicht. Immerhin hat Marlit einen ordentlichen Schluck genommen und es passiert erst einmal nichts. Da die Zwergin hinter dem Mädchen sitzt, bemerkt sie auch nicht, wie der die Luft wegbleibt und sie anfängt, sich zu verfärben. Ihr Schweigen deutet die Zwergin völlig falsch als schweigendes Genießen.
Und so starrt sie auf den Rücken ihres Freundes, der seine Schritte beschläunigt hat und jetzt schräg vor ihr geht. Warum er sauer ist, kann sie sich beim besten Willen nicht erklären. Schließlich hat er ihre Gastfreundschaft beleidigt und nicht umgekehrt. Wer weiß, was ihm wieder über die Leber gelaufen ist. Wahrscheinlich irgend so eine Weibergeschichte, denkt sich die Zwergin.
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Atreo - so der Name des Einhändigen - ist es leid, dass seine warnenden Ratschläge niemanden zu interessieren scheinen. Resignation und Zornesglut wechseln einander noch in zähem Ringen ab, was sich im ständigen Wechsel seines Schritttempos wiederspiegelt. Nur ein sehr guter Beobachter könnte erkennen, wie die Wut bereits den Kampf zu verlieren beginnt. Denn was kann das Leben noch bieten, außer fortwährenden Ärger, unterbrochen nur von vergänglichen Augenblicken belangloser Vergnügung?
WS
Was für ein Leben mag dieser Atreo wohl geführt haben, dass seine Gefühle so schwanken zwischen Zorn und Verzweiflung; was mag ihm wohl widerfahren sein? Die Antwort darauf dürfte wahrscheinlich nur er wissen, vielleicht wird diese auch durch seine engsten Freunde geahnt. Aber weder eine junge Frau, namens Jasinai, der er vor wenigen Tagen begegnet war (und die bei ihm übernachtete), noch ein junges Mädchen, deren Namen Marlit ist, wissen um die Dunkelheit in seiner Seele.
Während Jasinai schon weit weg ist, hat Marlit derzeit andere Probleme. Es war dieser Schluck, der sie nach Luft schnappen lässt, ihr Tränen in die Augen treibt, und der ihr Inneres zu verbrennen scheint. Sie holt erneut tiefe Luft, und als hätte sich ein Krümel in die Luftröhre verkrochen, spürt sie plötzlich einen Hustenreiz, und kann nichts mehr anderes tun, als laut zu husten.
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Marlits Geräusche dienen Atreo als kurzzeitige Verbindung zurück in die Welt der Wachen. Es geht also los. Wirklich schade um das köstliche Nass! Gerade seine unangenehmen Prophezeihungen scheinen sich besonders selten als unbegründet zu erweisen. Ein Umstand, welcher kaum glücklich machen kann.
Unwillkürlich entfernt sich der Einhändige während des Laufens vom Pferde, um einen gewissen Sicherheitsabstand zu erreichen. Die edlen Tuche, die er trägt, sind schon schlimm genug vom Straßendreck mitgenommen.
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'Hoppla, die Kleine hat sich verschluckt!' Geistesgegenwärtig greift die Zwergin nach der Flasche mit ihrem kostbaren Hochprozentigen. "Brauchst doch nicht so gierig zu sein, es ist genug für dich da", wendet sie sich an Marlit. Während sie spricht, holt sie aus und will schon ihre Hand auf den Rücken des Kindes krachen lassen, als sie sich eines Besseren besinnt. Zu deutlich steht ihr noch die Szene mit Feledrion am Vortage im Gedächtnis. Darum beschränkt sie sich auf ein zaghaftes Klopfen zwischen Marlits Schulterblättern - was angesichts der zwergischen Stärke auch noch recht ordentlich ist.
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Gierig! Manche sehen ihren Irrtum nie ein. Richtig ist nur, was man gewohnt ist.
Und wer ist wieder einmal der Leidtragende? Atreo! Was ist er noch immer durstig! Doch noch hindert ihn sein Stolz, nach der Flasche zu fordern, zumal die Angelegenheit auf dem monströsen Sattel noch nicht geklärt zu sein scheint. Sehen kann er dies freilich nicht, da sich sein Blick wieder so tief in die schwarze Straße eingräbt.
WS
Nach dem Brennen in der Brust spürt Marlit plötzlich einen Schmerz im Rücken, der sie fast aus dem Sattel kippen lässt. Nur im letzten Augenblick kann sie dies noch verhindern, aber durch den Schrecken sind all die Nebenwirkungen des Alkoholes vergessen - und irgendwie fühlt sie jetzt so eine angenehme Wärme in sich. Sie blickt zur Zwergin hin, und meint: "Ge...geht schon wieder...!"
IS
Die Zwergin will gerade ein zweites Mal zuhauen, aber da protestiert das Mädchen. Es gelingt Marlit auch, Gudelne davon zu überzeugen, dass es ihr wieder gut geht.
Und so führt sie die Flasche, die sie noch in der Hand hält, zum Mund, nimmt einen ordentlichen Schluck, setzt die Flasche mit einem lauten "AHHHH!!" wieder ab und wischt sich mit der anderen Hand die Lippen. "Ein guter Tropfen, kann man nicht anders sagen! Möchtest du noch einen Schluck? Aber diesmal sei vorsichtiger und trinke langsam." Die offene Flasche hält sie dabei immer noch in der Hand.
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Welch eine Qual bedeuten wohlige Trinkgeräusche dem Verdurstenden! Aber betteln? Das hat ihm nie gelegen. Lieber bricht er neben dem Tralloper zusammen, dann sehen sie, was sie davon haben!
Angesichts dieser Gedanken übersieht Atreo vollkommen, dass Gudelnes folgende Worte gar nicht an ihn gerichtet sind. "Ja, gerne!" antwortet er allzu schnell und führt bereits die Hand mit einer eiligen Körperdrehung empor. Dann jedoch hält er inne und schaut reichlich dumm aus der Wäsche. 'Vorsichtiger?'
WS
'Noch so einen guten Tropfen?' denkt sich Marlit. Aber eigentlich, auch wenn er am Anfang ganz scheußlich geschmeckt hat, irgendwie ist ihr jetzt ganz warm und irgendwie fühlt sie sich etwas kribbelig... Und schließlich will sie ja auch nicht als Weichei dastehen. Im Dorf tranken ja nur die Burschen diese Sachen. Also folgt ein selbstsicheres "Ja, bitte!" den Überlegungen.
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Nur langsam kommt die Erkenntnis auf, Gudelne hat nicht ihn gemeint. Vor lauter Überraschung bleibt ihm erst einmal die Luft weg. Als dann Marlit auch noch einschlägt, ihm alles wegzutrinken, nur um später dann die Straße damit zu verschandeln, schüttelt er nur noch fassungslos den Kopf und geht schweigend weiter, den Blick wieder gesenkt. Die beiden haben nichts begriffen; es drängt ihn, sie nochmals zu warnen, aber dann kommen ihm Feledrions Worte in den Sinn: 'Eine Warnung wird selten der Wiederholung wegen beachtet. Wird sie ignoriert, bedeuten weitere Worte nicht nur den anderen eine Last, sondern auch dir selbst. Lass sie selbst ihre Erfahrungen machen. Und freue dich im Stillen.'
Da wird er sich nachher ziemlich auf die Lippen beißen müssen! Ein Lächeln kapert kurzzeitig seine Mundwinkel, wird aber sogleich wieder vom Grimm zurückgeschlagen. Welch eine Verschwendung!
IS
Unschlüssig blickt Gudelne zwischen Marlit und Atreo hin und her, die beide ihr Interesse an einem Schluck von ihrem besten Zwergenschnaps bekundet haben. Doch da dreht sich der Einhändige auch schon wieder um und ignoriert scheinbar die beiden Reiter. Darauf zuckt die Zwergin nur mit den Schultern und murmelt in ihren Bart: "Wer nicht will, der hat schon." Dann gibt sie sich Mühe, freundlich dreinzublicken und reicht die Flasche dem vor ihr auf dem Pferd sitzenden Mädchen. "Nimm einen etwas kleineren Schluck dieses Mal", ermahnt sie Marlit freundschaftlich.
WS
Marlit nickt, und nimmt die Flasche entgegen. Der Geruch des Inhaltes ist noch immer nicht besser geworden, aber wenn von einem erneuten Schluck wieder diese angenehme Wärme im Bauch kommt, soll es so sein. So nippt sie nur vorsichtig, und dieses Mal scheint das Zeug schon leichter hinunterzurinnen. Ein leichtes Schütteln lässt ihren Körper erzittern, und ihr Gesicht verzieht sich, als hätte sie auf etwas Saures gebissen, aber dann ist es vorbei. Der 'Saft' beginnt mit seiner Wirkung - es wird ihr so warm.
IS
Vorsichtshalber nimmt Gudelne Marlit die Flasche wieder aus der Hand, nachdem diese einen Schluck genommen hat. Dann blickt sie zu dem sie so betont ignorierenden Mann, der schräg vor ihrem Pferd läuft und sagt mit einem leicht amüsierten Grinsen: "Na? Möchtest du auch noch einen Schluck?"
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Welch eine Frage! Aber bevor die Zwergin noch den letzten Tropfen in das Kind geschüttet haben wird, sollte man den Schnaps lieber eiligst retten. Deshalbt dreht Atreo sich recht dynamisch herum. "Sehr gerne!" Nervöse Finger recken sich nach der Flasche.
WS
'Gemein', denkt sich Marlit, 'alles wird einem weggenommen...!'
IS
Leider sitzt Gudelne hinter dem Mädchen und kann so auch ihren enttäuschten Gesichtsausdruck nicht sehen, als sie ihr die Flasche Schnaps wieder aus den Händen nimmt.
Den gierigen Ausdruck auf dem Gesicht des neben ihrem Pferd dahinschreitenden Mannes, der zitternd seine Hände nach dem kostbaren Getränk ausstreckt, wie ein Verdurstender nach einem Glas Wasser, ist andererseits nicht zu übersehen. Wäre sie ein Mensch, so würde sie sich fragen, ob das schon erste Anzeichen einer Sucht sind. Doch Zwerge kennen solche Probleme nicht und so streckt sie ihrem Begleiter fröhlich die noch gut gefüllte Flasche hin. Nur kurz huscht der Gedanke durch ihr Gehirn, ob sie ihn wohl ermahnen sollte, nicht alles auszutrinken. Aber was ist schon eine Freundschaft wert, wenn man nicht bereit ist, für einen guten Freund in Not, einen Tag lang auf Schnaps zu verzichten? Jedenfalls kann ihr Freund Zuspruch und Trost gebrauchen, seinem erbärmlichen Zustand nach zu urteilen. Und so überzieht ein wohlwollendes Lächeln das Antlitz der Zwergin, die sich in ihrer guten Tat sonnt.
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Erwartungsvoll klettert Atreos Zunge zwischen den Lippen empor und darüber hinaus. Schon setzt der Einhändige zu seinem nächsten Schluck an, der - man weiß ja nie, wie lange man die Flasche diesmal behalten wird - noch deutlich tiefer ist als der erste.
Ja, da leuchten seine Augen wieder, sein Mund verzieht sich zu einem zufriedenen Lächeln. Auch Atreos Schritte werden energischer, seine Atmung intensiver ebenso wie bewusster. Welch herrlicher Tag!
Eine entgegenkommende Reiterin wird mit einem freundlichen Lächeln und einer Verbeugung gegrüßt. Sie bemerkt es kaum, doch das stört Atreo nicht. "Ach, hört nur den netten Vogelsang!" ruft er, die offene Flasche noch in der Hand schwenkend.
Und da die beiden Damen ihn nicht unterbrechen und auch der Hammer seine imaginäre Klappe hält, setzt Atreo mit einem Referat über das schöne Wetter fort, das vielleicht nur ein Klitzebisschen weniger heiß sein sollte. Da müsse man viel trinken. Und das tut er denn während seines Redeflusses auch.
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'Wetter... zu heiß... viel trinken...' Gudelne nickt ab und zu bei den Worten ihres Begleiters und wirft hier und da ein "Hast Recht!" oder "Jaja" ein. Dabei behällt sie jedoch ihre Flasche ganz scharf im Auge und sieht mit Besorgnis, wie Atreo sich einen Schluck nach dem anderen gönnt und ihr bester Tropfen gefährlich zur Neige geht. Bald muss sie ihn stoppen, sonst trinkt der ihr noch alles weg! Außerdem macht ihr sein ständiges Geplapper über das Wetter die Hitze erst so richtig bewusst. So fängt die Zwergin an zu schwitzen und bekommt so langsam einen richtig großen Durst - so einen Durst, wie er nur mit etlichen Maß Bier zu stillen ist.
Daher fängt sie auch an, Atreo mit mehr Eifer zuzustimmen. "Also ein kühles, grooooooooßes, leckeres Bier wäre jetzt genau das Richtige, besser zwei, oder drei, oder..." Kurze Verschnaufpause. "Viiiieeel zu heiß!" Auf die Idee, ihre schwere Rüstung abzulegen, kommt die Zwergin natürlich erst mal nicht.
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"Erinnere mich nicht daran!" ruft Atreo und tut einen besonders herzhaften Zug aus der Flasche.
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Marlit ist inzwischen sehr ruhig geworden, irgendwie fühlt sie sich nicht mehr ganz so gut.
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Kaum, dass er die Flasche beinahe geleert hat, kommt Atreo auch schon der Gedanke, Gudelne könnte mit ihren Andeutungen von Bier und Hitze darum gebeten haben, auch noch etwas abzubekommen. Fragend schaut er zu ihr empor, Kopf und Flasche schief haltend, als sein Blick auf das bleiche Kind fällt. Auweh, geht es jetzt los? Man sollte vielleicht besser nicht allzu dicht neben dem Tralloper gehen...
Leider unvollendet
ZGE Ausschnittliste / Atreos Haus
Redaktion & Lektorat: OHHerde