Fernab vom Grünen Eber

von Oliver H. Herde

Die Wolken, die sich noch bis vor kurzem so heftig auf die Landstraße nach Pertakis entluden, treiben auseinander. Doch von den beiden ungleichen Reitern und ihren Pferden triefen weiterhin traurige Tropfen herab. Und wiewohl sie dieses Stück Wegs gemeinsam reisen, könnte man sie für vollkommen Fremde halten, die nur rein zufällig nebeneinander her reiten, ohne den anderen zu bemerken.
Trotz dieses Eindruckes teilen sie ihre Gedanken. Es sind die Erinnerungen an eine Frau, die sie beschäftigt - eine Frau, an die beide gleichermaßen unlängst ihr Herz verloren.
Dem einen - einem kräftigen bärtigen Kerl mit wilden schwarzen Locken und einem Lilienhaken statt einer Linken - ging schon den ganzen Tag, seit sie von dem Wirtshaus Zum Grünen Eber aufbrachen, eine alte tulamidische Melodie nicht aus dem Sinn. In seiner Ratlosigkeit begann er bereits am frühen Vormittag, einen neuen Text dafür zu erfinden - nicht unbedingt für ein breites Publikum, vielmehr für sich selbst. Doch nun, da er fertig ist, möchte er es auch singen, ob allein oder nicht.
Und so beginnt er unvermittelt:

"Ich war im Lieblich Felde
auf Reis' in Sachen Gelde
und musst' vor Schweißeskälde
kehrn in ein Gasthaus ein.
Das hieß zum Grünen Eber,
wo mir der Namensgeber
gab Balsam für die Leber
Feuer, Bier und Wein.

An der Theke erspähte ich eine Sharisad
in Gedanken tief versunken stehn,
als ein magischer Schimmer in ihre Augen trat,
die smaragden und so wunderschön.

Wie eine Fatamorgana
stand sie am Schankmobiliar.
Wie eine Fatamorgana.
Aberakadabera,
mein Herz war nicht mehr da.

Ging zum Brunnen, mich zu rein'gen,
wollt' danach wieder reingehn,
Bekanntschaft mit ihr eingehn,
doch wurde da nichts draus.
Kaum stand ich dort im Nassen,
da strömten sie in Massen
aus verschiedenen Anlassen
zu mir mit ihr heraus.

Allein zu sein mit ihr, gelang mir leider nicht,
für and'res gedacht war die Begegnung.
Wir bekamen ihren Zauber zu Gesicht,
als ihr Körper geriet in Bewegung.

Wie eine Fatamorgana
tantzen die Bilder klar.
Wie eine Fatamorgana.
Aberakadabera,
dann warn sie nicht mehr da.

Im Krieg der Kavalliere
war'n wir nur noch zu viere.
Ich ahnte ahnte, ich verliere,
als mich ein Bann befiel.
Es war ein alter Söldling,
der mir Yshija wegfing
und letztlich mit ihr fortging,
den Waldesrand zum Ziel.

Bis es mich aus meiner Lähmung hat befreit,
die wie von Tarsinions eig'nen Händen,
hüllten sie sich mehr und mehr in Dunkelheit,
meinen Blick auf die Sharisad zu blenden.

Wie eine Fatamorgana,
bis hin zum Morgen früh,
wie eine Fatamorgana,
aberakadaberi,
verschwanden sie.

Ich nächtigte gemeinsam
mit einer Frau, doch einsam,
und träumte wirr und peinsam
von Füchsen und vom Mond.
Bei Frühstückskäsetorte
Yshija kam zum Orte,
da fand ich keine Worte,
wie's mir im Herzen tont.

Denn ich spürte zwischen uns ein trennend Band,
was nur stärkte meine Herzerweichung.
Ohne Abschied erklomm sie die Treppe und verschwand,
und mir blieb von ihr einzig eine Zeichnung.

Wie eine Fatamorgana,
mein Bild von Yshija,
wie eine Fatamorgana,
aberakadabera,
behalt ich immerdar."

Etwas unsicher schielt der Sänger zu dem anderen Reiter hinüber. Sicherlich hat der Elf schon Besseres vernommen als Atreos Gekrächze. Doch Coenna lächelt großmütig und verstehend.

He, he! Sofort alles wieder hinsetzen! Hier wird nicht einfach rausgerannt! Jetzt kommt doch noch der Abspann!


Melodie: "Fata Morgana" von der Ersten Allgemeinen Verunsicherung
Ausschnittliste