Von den gar geistreichen Gedanken, welche man sich unter weiblichem Gesinde in Küchen zur Nützlichkeit von Zauberei und Hexenwerk zu machen pfegt

oder

Willkommen!

von Oliver H. Herde und Volker Weinzheimer

Vorsichtig dreht sich die Magd mit dem Rücken zur Küchentür und setzt den Ellbogen auf die Klinke. Ein Manöver, beständig geübt und immer wieder eine Herausforderung.
Als es an der Außentüre rappelt, schaut Sarina von ihrer Arbeit auf. Gilt es dort jemandem zu helfen? Nicht in den Finger schneiden!
Nun vorsichtig die Klinke heruntergedrückt und gleichzeitig mit dem Ellenbogen zwischen Türklinke und Holz herunterrutschen, um die Tür aufzuziehen, sobald der Riegel gelöst ist. Langsam, aber immer schneller öffnet sich die Küchentür.
Da der Eindringling zunehmenden Erfolg verbuchen kann, würde Sarina eh zu spät damit kommen, ihm behilflich zu sein. Statt dessen beobachtet sie lächelnd am Rande, wer es ist und wie Siona sich dabei anstellt.
Die Tür ist offen und der Ellenbogen wieder frei. Vorsichtig das 'Obsttäschchen' vor sich her tragend, das Kräuterbündel unter den Arm geklemmt, umrundet Siona die offene Tür und betritt die Küche. Das Lächeln Sarinas spiegelt sich sogleich im Gesicht der Magd, die die Kräuter kurzerhand über der Tischplatte dem festen 'Griff' des Armes entkommen und auf das Holz plumpsen lässt. "Ist viel los in die Gaststube?" fragt sie ihr Gegenüber, während sie die improvisierte Tasche in einer Hand zusammenfasst, um die andere zwecks Entleerung des Behältnisses freizubekommen.
Nun wendet sich auch die Köchin dem Tische zu. Möglicherweise gilt es ja, davonrollendes Obst einzufangen oder sonstwie Siona zur Hand zu gehen.
"Überhaupt nicht", berichtet sie ernüchternd. "Weniger als draußen am Brunnen, will mir scheinen. Brauchst du Hilfe?"
"Oh ja, gerne!" Die zum Obstfischen bereits ausgestreckte Hand wandert zurück an den Rockzipfel und die so neuerlich entstandene wollene Obststiege wird in Richtung der Köchin Hände weit aufgehalten. "Ich schätze, ich werde noch mal gehen müssen. Der Auswärtige mit dem komischen Akzent und den scharfen Gewürzen hat angedeutet, dass man heute Morgen noch mal nen Obsttag einschieben möchte." Eine gelinde Belustigung klingt deutlich in der Stimme Sionas mit.
Damit ist fraglos der Maraskaner Magus gemeint. Von dem würde man allerdings verrücktere Dinge erwarten als Obst zum Frühstück.
Lächelnd greift Sarina zu und nahegleich schaufelt sie die leckeren Kostbarkeiten aus der Schürze hervor. Das meiste davon landet erst einmal auf dem Tisch, weniges auch auf der Arbeitsfläche direkt neben dem Herde, sowie ein Träubchen im Munde. "Dagegen lässt sich ja mal nichts sagen", bekundet sie schmatzend.
Siona zuckt kurz mit den Schultern, dann runzelt sie die Stirne. "Ach. Ein ordentlicher Mann muss auch was Ordentliches essen. Zumal zum Frühstück. Wo soll er denn die Kraft hernehmen, die er tagsüber braucht, wenn in seinem Magen nur ein paar Äpfelchen rumtrudeln. 'Eine ordentliche Scheibe Brot, dick mit Butter, und dazu einen ordentlichen Prengel Wurst. Das lässt den Dreschflegel marschieren', hat mein Großvater immer gesagt. Und der muss es wissen, hat sich schließlich nur ein Mal von der Arbeit ausgeruht und ins Bett gelegt. Als ihn nämlich Boron zu sich rief. Aber das sind diese jungen Händefuchtler. Keine anständige Arbeit gewöhnt. Nett, ja. Aber das Schaffen haben die nicht erfunden." Alles wird durchaus leidenschaftlich aber ohne Eifer formuliert, eher als Standpunkt denn als eine ebensolche Pauke.
Dreschflegel, soso. Ob er da wohl noch mehr im Hinterkopf hatte? Sarinas Mund kräuselt sich jedenfalls zu einem recht unschlüssigen Lächeln.
"Nun ja", überlegt sie dann, "vielleicht schaffen sie einfach auf andere Weise und lassen die Dinge auf magische Weise sich selbst erledigen. Dann müssen sie ja nicht so kräftig sein."
Die Hände werden in die Hüfte gestemmt, als das Schürzenbeutelchen entleert ist.
"Hmm..." Auf diesen Gedanken ist sie noch nicht gekommen. Das Gesicht der Magd zeugt vom beginnenden Denkprozess, während sie den Rock wieder glatt streift und dann die Kräuter in die Hand nimmt, um kleinere Bündel der einzelnen Sorten zu sortieren. Lassen diese Magii wirklich alles magisch erledigen? Nun. Wäsche waschen würde einleuchten. Das ist nun wirklich eine furchtbar anstrengende Sache. Und auch das Holzhacken wäre sicherlich ein Gewinn... aber... "Das glaub ich nicht. Oder glaubst du, dass so ein Magus tatsächlich mit ein wenig Handgewackel auch nur annähernd ein so gutes Essen hinkriegen würde, wie du in der Küche?" Dazu kommen schließlich auch viel zu viele von denen hier vorbei.
Diese Frage ist Sarina erst einmal ein Kopfwiegen wert. "Nun, wie gut man mit Magie kochen kann, stünde wohl auf einem anderen Blatt. Ich denke schon, dass mn es überhaupt kann. Aber jedenfalls müsste ein Magus wohl weniger kochen, wenn es mit Magie nicht so anstrengend ist." Manchmal ist es gar nicht so leicht, bei den ursprünglichen Gedanken zu bleiben.
"Anstrengend?" Siona zuckt ein wenig die Schultern. "Da habe ich einfach keinen Dunst. Ich habe zumindest noch keinen Magus gesehen, der mir den Anschein machte, als strenge ihn sein Handwerk an. Aber ich gebe zu, auch noch nicht so vielen Magiern begegnet zu sein, zumindest wenn sie dann auch noch gezaubert hätten." Siona stellt die sorgsam verlesenen Kräuter in kleine, mit Wasser gefüllte irdene Tontöpfchen und diese an ihren angestammten Platz. Magie ist anstrengend? Wer hätte das gedacht.
Schmunzelnd beobachtet Sarina Siona. "Das meinte ich ja: Wenn es nicht anstrengend ist, zu zaubern, braucht man auch weniger kräftiges Essen." Was könnte logischer sein!
Dann aber wendet sie sich ab und schaut, wobei sie sich eigentlich gerade selbst unterbrochen hat.
Siona kratzt sich nachdenklich an der Nase. Das mit der Anstrengung will ihr nun wirklich nicht so in den Kopf. Wenn ein Mann mit Armen wie Spargel wirklich harte Arbeit machen will, wie soll das gehen. Aber Sarina wird es schon wissen. Die kommt schließlich im Götterlauf so rum und sieht so allerhand, während sie selbst nie weiter als Solstono gekommen ist.
Kurz schaut sie sich um. "Gibt es noch was zu tun?"
Irgend etwas gibt Sarina das Gefühl, noch immer nicht recht verstanden worden zu sein. So ist das manchmal mit dem alten Mädel. So wichtig ist dieser Unfug ja auch wirklich nicht.
Da Siona schon wieder zur Tagesordnung übergeht, vergisst auch die Köchin alles Bisherige sogleich wieder und erwidert sich umschauend: "Hier in der Küche wohl eher nicht. Aber der Ansturm lässt bestimmt nicht mehr lang auf sich warten."
"Dann reicht es vielleicht für meinen Tee." Behutsam zieht Siona den abgestellten Becher zu sich heran, füllt ihn ein wenig nach und greift nach einem Brett und einem kleinen Schüsselchen. Sie kann einfach nicht unbeschäftigt dasitzen. "Ich mache schon mal ein wenig Obst fertig..."
Und während der heiße Tee sie innerlich wärmt, fliegen die Hände, während der Kopf immer noch vor Gedanken schwirrt. Magie kostet also Kraft und Kraft bedeutet Essen. Und wer viel Magie wirkt, der verbaucht mehr Kraft und muss wirklich viel essen und bleibt extrem dünn. "Zaubern Hexen eigentlich weniger als Zauberer?" Immerhin kennt sie eine Reihe dicker Frauen, von denen es heißt, sie seien Hexen.
Siona kommt ja auf Gedanken; da kann Sarina mur große Augen machen. "Keine Ahnung!" Nun, das ist vielleicht nicht ganz richtig. "Also, vom Gefühl her würde ich sagen, ja. Ein Zauberer macht das ja wohl beruflich, sozusagen. Bei einer Hexe, hmmm... da gibt es sicher mehr anderes wie Kräuter sammeln oder sowas. Allerdings kann ich nicht behaupten, solche Leute gut genug zu kennen."
Bei alledem vergisst sich die Arbeit nur allzu leicht.
Wie von selbst huscht das Kneipchen über das Obst, fallen Trauben in die irdene Schale und gesellen sich zu Äpfeln und Birnen. Aus einem Säckchen werden noch ein paar Nüsse hinzugefügt.
Und währenddessen schwirren die Gedanken der Magd unstet hin und her, versuchen zu begreifen, wie es ist, eine besondere Gabe zu haben, Dinge verrichten zu können nur durch die Kraft der Gedanken... und verharren über der Schüssel, das Werk bewundernd. Nein. Kann es tatsächlich befriedigender sein, etwas nur durch ein Wort und eine Geste zu erreichen, oder ist es nicht gerade die in eine Sache gesteckte Handarbeit, die das beglückende Gefühl auslöst, etwas erreicht zu haben. Kurz hebt sich der Kopf in Richtung der Köchin: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es besonders befriedigend ist, zu zaubern. Ich hab die Sachen lieber in der Hand. Und wenn mir nachher der Rücken weh tut, weiß ich wenigstens, was ich gemacht habe, und kann mich dran freuen, wenns sauber glänzt. Vielleicht ist das bei den Hexen auch so, dass sie lieber sehen, was sie gemacht haben und spüren, wie sie es machen..."
Während Siona das Ihre tut, nimmt Sarina wieder die eigene Arbeit auf. Ein wenig hier räumen, ein wenig dort wischen. Solange nebenan noch nicht wieder nach Sonderwünschen geschrien wird, kann sie entspannt bleiben.
Nach Sionas Worten hält die Köchin wiederum inne. "Och, praktisch ist das Zaubern gewiss." Insbesondere auf Rückenschmerzen kann Sarina gut verzichten. Die werden mit dem Alter nicht weniger werden. "Wobei wir wohl nie in die Verlegenheit kommen werden, uns entscheiden zu müssen.
Was die Hexen anbelangt, hat man ja schon gehört, dass es bei denen gar nicht so besonders sauber sein soll..."
"Dann ist das Zaubern von Sauberkeit sicherlich besonders schwer." Ein messerscharfer Schluss. "Wundert mich gar nicht, wenn ich bedenke, wie wir uns auf normalem Wege damit abquälen. Da wäre es doch besonders gemein von Hesinde, wenn das im Zaubern anders wäre."
Natürlich könnte es auch einfach sein, dass Hexen schlicht faul sind oder einen anderen Sinn für Sauberkeit haben. Das mit der höheren Schwierigkeit kann sich Sarina aber trotzdem sehr gut vorstellen: "Ja, das ist bestimmt kompliziert, wenn man so genau zaubern muss, dass man auch in jede Ecke kommt und nicht irgendwelche zerbrechlichen Dinge dabei umwirft."
Erstaunlich, worüber sie alles noch nie nachgedacht hat! Davon und vom Thema mitgerissen, stützt sich die Köchin mit beiden Händen auf den Tisch und beugt sich so etwas näher über Siona heran.
Die Magd nickt bestätigend. Endlich werden ihr Dinge klar, mit denen sie sich nie beschäftigt hat. "Genau. Wenn ich nur daran danke, was diese Magier mit ihren losgelassenen Zaubern hier im Eber schon alles angerichtet haben. Da ist wahrscheinlich wirklich die größte Schwierigkeit dabei, so exakt wie möglich zu zaubern. Wie beim Karottenschneiden. Ohne hinzusehen kriegt man zwar große Scheiben hin, aber wenn es fein und gleichmäßig sein soll, dann muss man sich total konzentrieren und ganz vorsichtig sein, dass man sich auch nicht vertut. Und das kostet mehr Zeit und ist auch immens schwer und nur mit größter Übung so hinzubekommen, dass es einfach aussieht." In Siona beginnt eine Art Respekt für die hohe Kunst der Magii zu wachsen, die zaubern, als wäre es kinderleicht, obwohl es anscheinend unendlich viel Feingefühl verlangt.
Sarina ergeht es nicht viel anders, wobei sie vor Magiern immer schon jene Art von Respekt hatte, welche die Herrschaften als zumindest gefährlich und schwer einzuschätzen einstuft. Vor ihrem geistigen Auge tauchen sternförmig ausgeschnittene Karottenscheibchen auf. Da braucht man ja Stunden!
"Hm, hm", bestätigt sie gedankenabwesend nickend. "Oder wenn sie einer Suppe eine Prise Salz beigeben wollen, indem sie sie zauberisch aus dem Säckchen bewegen. Das kann bestimmt schnell zuviel werden, und -zack!- spuckt der Gast alles wieder aus!"
Ein eifriges Nicken seitens der Magd bestätigt den Gedankengang der Köchin. "Sind sozusagen eher fürs Grobe. Aber wenn man sich finsterer Gesellen erwert, braucht man sicherlich auch nicht besonders subtil vorzugehen. Hauptsache so ein Bösewicht kriegt ordentlich von dem, was er verdient. Und auch für daimonides Gezücht kann es eigentlich gar nicht grob genug sein."
"Ja, das stimmt wohl", legt Sarina den Kopf schief, "aber es gibt ja wohl verschiedene Spezialisten: Neben den Kampfmagiern auch die Heiler, hörte ich. Aber ob es wohl auch welche gibt, die sich auf die magische Kochkunst oder das Saubermachen konzentriert haben..." Der Ton lässt erhebliche Zweifel ahnen.
Auf die Zweifel der Köchin antwortet die Magd mit einem Grinsen: "Nu, in Riva lernt man das definitiv nicht. Zumindest hab ich noch keinen von den Thorwalern gesehen, die Wert auf übertriebene Sauberkeit gelegt haben, vom Kochen wollen wir gar nicht erst reden. Rosa Pölzel... gruselig. Dann schon eher einen von denen aus dem Süden. Die sind meist ein wenig Etepetete.
Aber wenn du mich fragst, dann wird es keinen Zauberer geben, der sich auf Kochen oder Putzen verlegt hat. Ist ja auch klar. Wer sollte sich den leisten wollen, wo es genug Diener gibt, die man fürs Putzen nicht extra bezahlen muss.
Und Köchinnen gibts auch wie Sand am Meer, wenn auch nicht viele so gute wie im Eber. Da müsste der Magus schon ganz besondere Dinge kochen. Was auch immer das sein sollte..." Und vor den Augen der Magd defilieren allerlei Speisen vorüber, nur um sofort innerlich weitergewunken zu werden. Eine Speise, die mit Magie zubereitet werden muss... dafür reicht ihre Phantasie nun wirklich nicht aus.
Wie Siona von Zauberei auf Thorwaler kommt, erschließt sich Sarina nicht im ersten Moment. Dumpf erinnert sie dies an zwei Magier, die darüber disputierten, wieviel Astralenergie dabei freigesetzt werde, wenn man einen Thorwaler mit hoher Geschwindigkeit gegen eine Wand schleudert. Welch ein Unsinn! Das muss sie irgendwann mal geträumt haben, was aber auch wiederum höchst seltsam wäre...
Putzdiener, welche nichts kosten, ziehen die Köchin von dem unlösbaren Rätsel fort. Denkt die Magd etwa an Sklaverei!? Nein, sie muss wohl meinen, dass diese Leute schon für etwas anderes bezahlt werden oder eben alles zusammen.
Die letzte Überlegung hingegen ist wieder höchst anregend. "Schwebekuchen vielleicht?" schlägt sie vor, muss es doch etwas sein, das ohne Magie nicht gelingen würde.
"Schwebe... was?" Nun ist es an der Magd, verwirrt zu sein. "Was soll das denn..." Augenscheinlich braucht es ein wenig, bis die Magd den Worten einen Inhalt zuordnen kann. "Schwebe... kuchen. Du meinst einen Kuchen, der... schwebt... Aber wozu sollte das gut sein?"
Achselzucken seitens der Köchin. "Was weiß ich!? Weil es ein hübscher Effekt ist und die Leute staunen, zum Beispiel? Menschen haben schon immer mancherlei Dinge nur aus dem enen Grunde getan, weil sie es konnten."
Die Magd kratzt sich an der Nase. "Um des Effektes Willen derartig viel Arbeit?" Das ist ein Gedanke, der der praktisch veranlagten Magd völlig abgeht.
"Wenn das Publikum gut zahlt. Eine adlige Gesellschaft zum Beispiel..." Sarina reibt sich das Kinn. "Wobei das vielleicht eher etwas für einen Jahrmarktszauerer wäre als einen wirklich Gelehrten Herrn. Aber das gilt vermutlich auch fürs Kochen." Welchselbiges bei ihr durch die Gedankenspiele längst zur Gänze in Vergessenheit geraten ist.
Die Magd nickt. "Eine Festgesellschaft hätte es sicherlich lieber, wenn an Stelle der schwebenden Torte irgendetwas anderes Besonderes passiert. Beim Tanzen könnte das Traviapaar vielleicht in alverans Himmel schweben. Oder abends könnte ein Magus vielleicht ein wenig Lichtspiele machen, um die Leute zu unterhalten. Aber das kann sich mit Sicherheit nur ein Kaiser leisten."
Neuerliches Achselzucken. "Mag sein. Wobei ein Funkenregen aus der Torte bestimmt nicht teuer ist. Sowas habe ich schon in Bethana gesehen - da kamen die Funken allerdings aus einer Tröte." Schmunzelnd schüttelt Sarina den Kopf. Das war wirklich ein alberner Anblick, aber wohl auch genau so beabsichtigt.
Nicht zum ersten Mal versetzt die Köchin die Magd in Erstaunen. Bethana. So weit weg war Siona noch nie. Und eine Trompete, aus der Funken sprühen? "Hoffentlich hat sich der Trompeter da nicht den Mund verbrannt!"
Hach ja, das hausbackene Muttchen! Ein wohlmeindendes, doch ebenso mitleidiges Lächeln breitet sich bei Sarina aus. Sie stammt immerhin aus dem Süden des Reiches, und in Bethana war sie Verwandter wegen schon ein paarmal.
"Ach was!" wehrt sie auch mit einer Handbewegung ab. "Bei einem Lagerfeuer oder im Kamin gibt es auch reichlich Funken, die ganz schnell verglühen. Und wer weiß, wie warm magische Funken überhaupt sind! Vielleicht kann man die Hitze als Zauberer selbst bestimmen?"
Und wieder so ein Gedanke, der zuerst weit hergeholt scheint, dann jedoch langsam Sinn zu machen scheint. "Du meinst, ein Zauberer ist in der Lage, die Hitze seines Feuers zu bestimmen? Das wäre ja fulminant. Da könnte er zum Beispiel als Schmied richtig Geld machen, indem er an schwer zugänglichen Stellen das Eisen direkt heiß macht, ohne es erst lange in die Glut halten zu müssen..." Aber sind wir da nicht wieder beim Ausgangsproblem?, wird der Magd klar. Denn wenn ein Magus tatsächlich schmieden können wollen würde, müsste er ja zumindest stark genug sein, einen Schmiedehammer zu führen. Die meisten Magier, die im Eber abgestiegen sind, hätten das Ding noch nicht mal heben können.
Für Sarina erscheint dies alles viel selbstverständlicher und lässt sich auf die eine, lechtherzige Antwort zusammenfassen: "Ja, klar - er ist doch schließlich ein Zauberer!"
Dass sie noch keine Schmiedezauberer, Kochzauberer oder Sonstwasfürhandwerkauberer gesehen hat, führt sie auf den Umstand zurück, all dies müsse wohl nicht besonders interessant für Magier sein, die meistens ja doch lieber über einem Buch hängen.
Siona überlegt, was ihr mehr imponiert. Die Vielfalt der magischen Berufe oder das geballte Wissen und die Weltläufigkeit der Köchin. "Unglaublich, was es alles gibt. Schade, dass diese Magier alle in den Städten sind. Ich würde gerne einmal ein magisch gefertigtes Kleid sehen. Sowas trägt sicherlich die Kaiserin des Mittelreiches." Siona legt den Kopf ein wenig schief. Wenn sie sich nicht irrt, dann ging da gerade die Tür und dann war gerade eben Stühlerücken aus der Gaststube zu vernehmen.
Sarina hingegen bekommt vor lauter ungewohnter Gedankenspielerei aus dem Schankraum mal gar nichts mit.
"Schon möglich", erwidert sie daher konzentriert. Was mögen sinnvolle Eigenschaften magischer Kleidung sein? "Vielleicht wird es nicht schmutzig, selbst wenn etwas darüber auskippt. Oder es schützt gegen Attentäter - das soll ja schon in manchen Königshäusern nötig sein, dann für Kaisers bestimmt um so mehr."
Die Gedanken der Köchin treffen Siona unerwartet. Kurz beschließt sie, dass sich, wer immer im Schankraume sitzt, sicherlich melden wird, so er etwas vermisst, und schneidet damit den störenden Gedankenfaden ab... und begräbt zugleich das gerade eben aufscheinende schlechte Gewissen unter einer riesigen Decke der Phantasie. Magische Stoffe, die nicht dreckig werden... das wäre doch das Geschäft für jegliche Gaststube. Oder die pfeilfesten Kleider. Gedanken, die man sehr gut weiterspinnen kann.
"Und stell dir mal vor, du verwendest den Kuchenzauber von eben. Du könntest Kleidung schaffen, die selbst die dicksten Pfeffersäcke über den Tanzboden schweben ließen." Alleine die Vorstellung eines Fettsacks, der wie eine Seifenblase über das Parkett steuert, lässt Siona leise vor sich hin glucksen.
"Wenn sie das denn wollten", gibt Sarina zu bedenken. Für Gewissensbisse hat sie bei solcher Anforderung ihrer Phantasie überhaupt keinen Platz. "Nicht, dass sie sich noch erschrecken und am einen oder anderen Ende entleeren! Das wäre wohl für niemanden lustig." Die Rechte wandert zum Kinn empor, dieses zu streichen. "Oder wenn irgendwas schiefgeht und ein Dickwanst herunterpurzelt. Da kann ordentlich was kaputtgehen."
Das Kichern der Magd vertieft sich, während sie ihrerseits schwindelnde Höhen des Phantasierens erklimmt. "Oder stell dir vor, so ein Zauberer macht eine Kleidung, die nicht wie die Tischdecken einfach nur Schmutz abweisen, sondern völlig undurchlässig für Wasser sind. Da könnte man sich ein Zelt draus bauen mit ganz feinem Gardinenstoff und unter Wasser die Fische beobachten."
"Unter Wasser?" Das klingt nicht behaglich. Eher kalt und... na gut, vielleicht ja wirklich nicht feucht. Aber dunkel, jawohl! "Nun ja, wer's mag", versucht Sarina entgegenzukommen. "Für mich wäre das eher nichts, denke ich."
Die Magd indes trägt einen staunenden Ausdruck im Gesicht, während sie in ihr eigenes Reich der Phantasie blickt: "Hast du dir denn nie gewünscht, einmal die Wesen aus den Märchen beobachten zu können? Die Seejungfrauen, die Necker... wie sie tief unten am Grund des Meeres spielen, singen, tanzen? Wie sie Krebse und Hummer an silbernen Leinen spazierenführen und Fischschwarmbalette durch das Wasser dirigieren?"
Lang vergessene Gedankenbilder aus Sarinas Kindheit werden durch Sionas Worte wachgerufen. Ein angemessen verdutzter Ausdruck mit großen Augen und hängenden Mundwinkeln ist die unvermeidliche erste Folge, doch dann lächelt die Köchin wieder.
"Meine Güte, das ist lange her!" Sarina hätte gar nicht vermutet, in welchem Maße sich Siona ihre kindliche Vorstellungskraft erhalten hat. Selbst die eigene überrascht sie nicht wenig. Ein fetter Tiefseekönig, schuppig grün mit Fisch-Unterleib und obligatorischer goldener Krone und Dreizack spukt ihr im Haupte herum. Interessanter Weise scheint dieser nicht älter geworden zu sein seit damals.
"Ähm, hm... Ja, das wäre vielleicht hübsch zu betrachten, wenn man sich dort unten so frei bewegen könnte wie die Einheimischen. Mit einer Hülle aus wasserdichtem Stoff dürfte das recht schwierig werden." Schon bei der Vorstellung kommt sich Sarina ganz aufgebläht und ungelenk vor.
Die Magd legt den Kopf schief. Die Reaktionen der Köchin haben sie überrascht, und auch der Einwand. Siona nickt: "Deshalb ja auch das Zelt. Von dort aus könnte man alles beobachten und sich ganz normal bewegen. Man sähe das Meer dann wie durch Fenster. Ein eigener Anzug aus wasserdichtem Stoff erscheint mir auch weniger zweckmäßig, zumal du ja dann eine Mütze aus dünner Gaze anhättest, die dir bis auf den Hals reicht. Ne. Das ist wirklich zu unbequem." Gemeinsames phantasieren macht definitiv doppelt so viel Spaß, kommt der Magd in den Sinn und sie lehnt sich entspannt zurück.
"Aha, hm", ist Sarina sogleich bereit, einzuräumen, "da habe ich dich wohl falsch verstanden. Ein Zelt also", überlegt sie und wendet den Blick empor zur Decke, wo man Zelte nur vor geistigen Augen zu erspähen vermag. "Demnach muss man also am Ort stehen bleiben. Und wie kommt man dort hinunter?" Hätte Sarina eine Brille, würde sie nun wohl über selbige hinweg prüfend auf Sarina starren.
Es ist einfach nicht fair, mitten in einem phantastischen Höhenflug achtkantig auf den Boden der Tatsachen heruntergeholt zu werden. Wie man mit dem Zelt unter Wasser kommt. Hat man da noch Worte.
"Uähh... wahrscheinlich muss man das Zelt mit irgendwas beschweren, damit es in die Tiefe sinken kann. Und wenn man da Steine nimmt, kann man die sogar unten lassen. Oder man verwendet direkt Geschenke für die Necker."
Sionas umfassende Kenntnisse von... hm... Mechanik, Nautik, Tauchologie und Seewesenkunde, ergänzt durch die raffinierte Zusammensetzung derselben, versetzen Sarina in beeidrucktes Staunen und Schweigen. So benötigt sie ein paar Momentchen, bevor sie dem auch Luft machen kann: "Holla, beachtlich! Das ist gut überlegt. Und wie kommt man wieder hoch?" Den Auftrieb bedenkt die gute Köchin nicht, mag sie auch schon vieles in der Suppe schwimmen gesehen haben. Zelte waren nämlich nicht darunter.
Hoch kommen sie immer... oder? Siona kratzt sich an der Nase, während sie überlegt. "Nun, wenn man einen Magier anheuern kann, damit er einem ein solches Zelt verfertigt, dann hat man sicherlich genug Geld, um Leute anzustellen, die das ganze Zelt mit Mann und Maus auch wieder hochziehen. Nicht?"
"Das stimmt nun auch wieder", muss Sarina unumwunden zugeben. Dass sie selbst nicht darauf gekommen ist! Oder noch viel eher auf das andere, vielleicht noch Naheliegendere: "Ja, oder womöglich könnte der Magier es einfach emporschweben lassen, wenn er eh schon dabei ist."
Vermutlich werden sie das alles mangels Dukaten nie erfahren.
Siona kann das emporschwebende Zelt richtig von den Augen sehen und auch den Magus, der am Uferrand dem Zelt mit hocherhobener Hand gebietet. "Aber die meisten besonderen Zauber sind wahrscheinlich solche, die Sachen schneller machen, obwohl man das garnicht braucht. Meinst du nicht?"
"Sachen?" Sarina benötigt einen Moment, den Inhalt der letzten Aussage ganz zu erfassen. Es geht wohl nicht darum, Gegenstände durch die Gegen zu befördern. "Du meinst, sie zu erleichtern?" Tja, was zaubern Magier eigentlich am liebsten und häufigsten?
Siona nickt. "Genau das." Freudig blickt die Magd die Köchin an. "Dass ein Kuchen halt nicht ne knappe Stunde dauert sondern in Nullkommanix fertig ist. Oder dass Kräuter, während du hinsiehst, vom Samen ins Kraut schießen. Oder dass Wein an der Rebe so schnell reif wird, dass sich der Winzer nicht vor Dauerregen schützen muss. Und weil das eigentlich die Dinge sind, über die Peraine und Rahja wachen, haben die Magier auch so Probleme mit dem echten Götterglauben. Weil sie ja denken, sie kämen ohne die aus."
Sionas Wangen glühen. Im Erzählen hat sie endlich begriffen, was es in Wahrheit mit dieser komischen Magiertheorie auf sich hat, von der man die Gäste ab und an hinter vorgehaltener Hand munkeln hört. Eigentlich ganz einfach und nachvollziehbar.
Manch gealterter Magus oder geistesabwesender Illusionszauberer würde nun vielleicht irrtümlich zustimmen, weil die Götter so oft meinen, ohne Magier auskommen zu können. Nicht so Sarina. Sionas Aufzählung ist ihr - auch mit der Ergänzung - nur allzu verständlich.
"Natürlich... aber warum meinst du, das sei nicht nützlich?" Eben hat Siona doch selbst eine ansonsten verregnete Ernte ins Feld geführt! "Wenn es niemand brauchen könnte, würde doch auch niemand zaubern. Ein Bauer kann nur wenig an Bezahlung bieten außer vielleicht einen Teil des geretteten Ertrages." Insofern erstaunlich, dass man von solchen Fällen noch nicht gehört hat!
Siona nickt anerkennend. "Da hast du wohl Recht", meint sie. "Aber ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen, dass so ein Magus großartig Verwendung für einen Sack mit Korn hat. Da müsste er wieder anhalten und mahlen lassen. Und Brot backen. Ich fürchte, mit einem Sack Korn halten die sich nicht auf." Kurz überlegt die Magd, bis sie hinterherschiebt: "Ich habe zumindest noch selten einen Magus mit Hellern zahlen sehen. Unter Silber finden die sich in ihrer Börse kau zurecht."
"Na, wenn sie so wohlhabend sind, können sie das Backen doch dem Gesinde überlassen - oder eben magisch erledigen", wendet Sarina etwas verwundert über dieses für sie nichtige Problem ein.
Unwillkürlich lässt sie sich wieder auf den Hocker nieder, denn inzwischen vergisst auch der Körper über alledem die Arbeit.
Siona muss sich selbst eingestehen, dass das Gespräch im Augenblick ein wenig im Kreise läuft. Dies zumal es sich einem Thema nähert, welches für die Magd wie für die Köchin im Buch des Lebens nur eine Randnotiz einnimmt. "Was so ein reicher Magus wohl mit seinem vielen Reichtum machen wird. Wenn er nicht gerade bäckt oder dem Gesinde bei der Arbeit zusieht... oder im Grünen Eber in der Schnakstube sitzt." Erstaunt stellt die Magd fest, dass ihre Fantasie was Antrworten auf diese Frage angeht, letztlich noch weit beschränkter ist als auf die Frage nach würdigen Zaubern.
"Hm." Auch Sarina ist natürlich keine Fachfrau für Magierbeschäftigungsarten. "Ich weiß nicht... Man hört, sie läsen viel, oder? Bücher über Magie, vermute ich. Obwohl... Eigentlich lernt man von einem anderen Menschen ja mehr als aus Büchern, finde ich." Jedenfalls geht ihr das beim Kochen und Backen so, und auch bei anderen Künsten kann sie es sich schwer vorstellen, bloß mit blanker Theorie umzugehen.
Siona nickt verstehend. Wenn sie überlegt, wie lange sie benötigt, um die Buchstaben zu einem ordentlichen Wort zusammenzubekommen, fällt es schwer, sich vorzustellen, man könne auf diese Weise mehr als allerkleinste Gedankensplitter oder Merksätze umsetzen. "Das ist sicherlich wie bei den Geweihten. Die haben das Brevier ja auch nur als Gedankenstütze für ihre Gebete, können die aber eigentlich komplett auswendig. Nur bei ganz schwierigen Gebeten, brauchen sie dann doch mal was zum Mitlesen." Wobei die Schnelligkeit, mit der so mancher Geweihte liest, und das ganz ohne Zeigefinger, der die Buchstaben verfolgt, das ist an und für sich bereits große Gelehrsamkeit.
Wie soll man nun der älteren Frau erklären, dass es durchaus Bücher mit mehr Gedanken, mehr Handlung oder sonstwie mehr Inhalt gibt, ohne sie zu beleidigen? Sarina jedenfalls hat vor einigen Jahren zum Beispiel durchaus schon mal einen kürzeren Liebesroman gelesen.
"Ich denke, das sind eben ganz andere Bücher. Soweit ich weiß, sind Zaubererbücher voll mit besonders komplizierten Rezepten, die sich sonst keiner merken könnte. Ich glaube auch nicht, dass sich darin etwas reimt. Zumindest hab ich das so gehört."
Siona kratzt sich am Kopfe. Man sollte eigentlich meinen, dass so ein Magus sich die normalen Zauber im Kopf behalten kann und so ein Rezeptbuch nur für ganz spezielle Spezialfälle benötigt. So ähnlich wie Sarina, die das Rezeptbuch ja auch nur dann benötigt, wenn den Wirtsleuten mal eine extrem seltene Feldfrucht zur Zubereitung übergeben wurde. Aber wenn die deregewandte Köchin meint, wird das wohl so stimmen. "Dann hat so ein Magus aber schwer zu schleppen, wenn er verreist. Wenn er alles nachschlägt."
Bei dieser Gelegenheit kann man mal sinnierend mit den Findern das Kinn streicheln, findet Sarina offenkundig. "Ja, mag sein... Ich habe schon manche mit einem Wagen reisen sehen." Warda nicht mal ein ganz besonders alter dabei, der zu Alriks Jammer eine ganz besonders schwere Bücherkiste mit sich führte? Lang ist es her!
"Aber da gibt es sicher auch wieder Unterschiede. Genau wie bei Köchen."
Siona nickt der Köchin zu. Verblüffend, wie klug diese jungen Dinger sind.
Kurz lauscht die Magd in den Hintergrund, aber immer noch scheint es aus dem Gastraum keinerlei Wünsche und somit keinerlei Arbeit zu geben. Geradezu friedlich ist das heute nach den letzten Tagen. Und Siona ist wild entschlossen, diesen Frieden auszukosten. Der Tag wird auch so hektisch genug werden. Je nachdem, wie sich das Wetter gestaltet, wird es wohl doch noch einmal ein Kessel voll Wäsche werden. Und da man gestern bis auf den Dachboden voll war, ist heute auch eine Menge zu putzen und zu räumen. Um so behaglicher ist es in der gemütlichen Küche, wenn man sowieso noch nichts tun kann, als zu warten, bis der Gästeansturm sich wieder gelegt und verzogen hat.
So wiegt sie nachdenklich den Kopf, überlegend, in welche Richtung das Gespräch nun gehen könnte - und wird fündig. "Dann möchte ich nicht mit einem Magus tauschen, der auf einem fliegenden Teppich reist. Wenn dem die Bücher runterfallen... abgesehen davon, dass es bestimmt fürchterlich ist, wenn man mir nichts von einem Zauberbuch erschlagen wird, das aus dem heiteren Himmel herunterfällt. So eisenbeschlagen wie die Dinger sicherlich sind..."
Zunächst wird Sarinas Antlitz von zustimmendem Schrecken und Unwillen gezeichnet, dann aber muss sie schmunzeln. Wie die Magd mal wieder völlig unzusammenhängend Schlüsse zieht!
"Na, ich geb dir ja recht: So ein Teppich wäre mir auch zu... hoch! Selbst, wenn er noch ein Geländer hätte wie eine Brücke oder die Balkone in Vinsalt.
Aber... wenn du dich vor fallenden Büchern fürchtest, solltest du doch eigentlich lieber oben auf dem Teppich sitzen wollen!" gibt sie mit süffisant gespitzten Lippen und lachenden Augen zu bedenken.
Kurz überdenkt Siona den Einwurf, dann lacht sie: "Nein, ich meinte, dass den unten Gehenden die Bücher auf den Kopf fallen." Nachdenklich wiegt sie ihr Gesicht, dann runzelt sie die Stirn und meint: "Gegen die Höhenangst haben diese Magier sicherlich auch einen Zauber. Und vielleicht sogar gegen andere Ängste. So Mutzauber, mit denen man sogar in den hintersten Winkel des Dachbodens gehen und die ganzen Spinnweben mit ihren Bewohnern wegmachen kann, ohne sich leidlich zu gruseln."
"Ja, das wäre allerdings praktisch", muss Sarina sogleich zugeben. "Oder als Rückenstärkung gegen Gäste mit Sonderwünschen", blitzt es in ihr auf, "oder wenn man mal für eine besondere hohe Gesellschaft etwas zustandebringen muss. Manchmal reicht ja schon die Furcht allein, dass was schiefgeht."
Siona nickt erst. dann wird ihr Gesicht sehr sehr ernst. Furcht ist nichts Schönes. Das weiß sie nur zu genau. Furcht sitzt ganz tief im Leib an einer Stelle, die man allzuleicht vergisst, um ganz plötzlich und unerwartet aufzuspringen und einen anzufallen. Lang schon hat sie nicht mehr ganz plötzlich und panisch zur sich öffnenden Tür geblickt, fest überzeugt, dass der Felsenwirt die Gaststube stürmt, um sie zurück zu schleifen. Eine Angst, so irreal wie nah. Ein kalter Schauer überläuft sie, kurz aber merklich, während ihre Augen in die Ferne der Vergangenheit blicken.
Dann richtet sie ihr Augenmerk wieder auf das Gegenüber und Herzensgüte und Wärme schmelzen den Klumpen nachtschwarzer Dunkelheit zusammen. "Du brauchst dich nicht zu fürchten, dass etwas schief geht. Nicht hier. Nicht im Eber. Du hast Tesden und Alrik... und mich. Zusammen schauen wir darauf, dass kein großes Unglück passiert. Zumindest keines, das nicht ein Putzfeudel und ein heißer Tee vergessen machen können." Und mit den Worten erwächst auch wieder die Zuversicht. Nirgendwo ist Angst so fern, wie hier in der warmen Küche, beim lodernden Feuer, beim brodelnden Wasser und dem Duft nach frischem Backwerk, das hinter der Ofenklappe zu einem kleinen Kunstwerk wird. "Und glaube mir, das ist ein größerer Zauber, als ihn auch nur einer dieser Händefuchtler zustande bringen kann!"
Aus tiefem Herze mitfühlend beobachtet Sarina Sionas Gesichtsregungen. Tatsächlich ahnt sie um einen Teil der Gedanken. Wenn man so lange auf so engem Raum zusammenlebt, bekommt man auch ohne viele Worte mancherlei von dem anderen ganz nebenbei mit. Wie gelegentlich einst, als die Magd noch neu im Hause war, fühlt sich die Köchin versucht, ihre Kollegin einfach mal in den Arm zu nehmen. Damals waren sie sich allzu fremd und die Situation allzu seltsam und vielschichtig. Ausreden, welche heute nicht ziehen, und dennoch bleibt Sarina mit kaum sichtbaren Schwankungen des Oberkörpers und einer Zuckung der Hand sitzen.
Ein ebenfalls warmes Lächeln schmilzt alle Trübnis hinfort. Sarina muss schlucken, bevor sie in ihrer Rührung bewegt etwas erwidern kann: "Das... hast du sehr schön gesagt!" Feuchte Augen bringen sie ein wenig zum Blinzeln.
Die Gemütsregung der Köchin bleibt der Magd nicht verborgen und findet in der eigenen Seele heftigen Widerschein. Fast möchte sie die ihr Freundin gewordene umarmen, doch fürchtet sie, dass diese, die ein schroffes Gesicht wie einen Vorhang vor das mitfühlende Herz zu ziehen gewohnt scheint, eine solche Handlung als peinlich oder als Eingriff missverstehen könnte. So kämpft sie den Impuls nieder. Später, wenn sie gemeinsam das Gemüse kleinschneiden oder spülen, werden sich Momente finden, wo man sich gegenseitig der Zuneigung versichern kann, indem man äußerlich Belangloses sagt, im Gemeinsamen aber das Tun eine Aufwertung erfährt, die eine so intime Vertrautheit an den Tag legt, als sei man tatsächlich eine Art altes Ehepaar. Bis dahin gilt es, das sich auftuende Riff offenliegender Gefühle vorsichtig zu umschiffen, um nicht in Tränen auszubrechen und das Gegenüber so zu verstören.
Kurz geblinzelt, tief Luft geholt, kurz geblinzelt, und?
Ein kippender Scheid im Kamin wird willkommene Ablenkung. Gleitend verlässt die Magd den Stuhl und balanciert mit jahrelanger Übung das glühende Holzstück mittels Schürhaken in annehmbare Position, eine Handlung, bei der man zwangsläufig Tränen in die Augen bekommt, des beißenden Rauches wegen, versteht sich. Und so muss es für alle nachvollziehbar sein, wenn man sich anschließend mit dem Taschentuch kurz über die Augen fährt. Des Rauches wegen, versteht sich.
Ergriffen, fast verstört beobachtet Sarina die weiteren Vorgänge im Antlitz der Magd, schaut etwas erschrocken zum Kamin und folgt Sionas sich anschließenden Handlungen. Wie gedankenleer sie sich plötzlich vorkommt, obgleich ihre Gefühle doch einen solchen Pegel erreicht haben! Vermutlich liegt dies genau daran.
Ein heiseres Räuspern entfährt ihr, doch noch ist sie nicht in der Lage, aufzustehen.
Das Tuch verweilt recht lange auf den Augen und legt auf dem Rückweg in die Schürze noch einen kurzen Halt bei der Nase ein. Dann, die Augen sind ein wenige gerötet - vom Rauch - dreht sich die Magd zur Köchin herum. "Es ist schön, bei euch allen ein Zuhause gefunden zu haben." Der Satz schwebt bereits im Raum und nimmt fast unangenehm viel Platz ein, als die Magd begreift, dass sie den letzten Gedanken ausgesprochen hat. Zwar nur leise und nachdenklich, doch ausgesprochen. Und plötzlich wird ihre Kehle wieder ganz rau und die Augen wieder ein bisschen feucht - ganz ohne Rauch.
Einerseits ist es schlicht ergreifend, was Siona da gerade gesteht, andererseits meldet sich in Sarina eine seltsam verwunderte Stimme. Es ist eigenartig, wie lange es brauchte, bis diese Worte einmal an die Luft kamen. Zudem überrascht es, wie unvermittelt man auf das Thema kam. Fast möchte man fragen, wie das geschehen konnte nach Jahren, in welchen man einfach irgendwie nebenher lebte.
Noch einmal muss sie den Kloß im Hals mit einem passenden Geräusch zurechtrücken. "Das... Das freut mich sehr, Siona." Ein unsicheres, doch mütterlich warmes Lächeln folgt an jene, die doch eigentlich die Ältere ist. Nach all den Jahren kündigt sich hier so etwas wie eine Freundin an. Eingedenk des vorangegangenen Gespräches könnte man schon wieder eine ganz spezielle Form von Magie vermuten.
Der Schürzenzipfel findet wie von selbst den Weg zu den Augen, während die Magd im Strudel der eigenen Gefühle gefangen ist. Dabei macht es die sitzende Position der Köchin auch nicht leichter. Stehend könnte man das Gegenüber kurz umfassen, flüchtig wie ein Gedanke. So schlingt Siona die Arme um sich selbst, um Festigkeit zu finden, während alle selbstauferlegten Schranken zu bröckeln scheinen.
Bei einem so herzzerreißenden Anblick wird die gerade aufkeimende Überlegung Sarinas, ob man das alte Frauenzimmer nicht irgendwie weiter durch Worte oder Gesten des eigenen Wohlmeinens versichern soll, hinfortgefegt, denn dies steht ja nun außer Frage!
Wieder energisch wie man es von ihr eher gewohnt ist, springt die Köchin auf, tirtt an die Magd heran, breitet die Arme aus und erklärt aus tiefem Ernst, was schon so unglaublich lange überfällig ist: "Willkommen im Eber, meine Liebe!"
Was auch immer Siona noch hätte anbringen können, geht an der Brust der Köchin verloren. Ein Sturmtief, welches sich inmitten der Küche entlädt, schüttelt die beiden Frauen kurz aber herzhaft und benetzt Sarinas Vorderfront mit kleinen Wassertröpfchen.
Jene ist recht überrumpelt, obgleich sie doch Ähnliches erwartet hatte. Es trifft sie trotzdem im Herzen. Ein mitfühlendes Lächeln breitet sich langsam aus, während sie Siona geborgen umschlungen hält.
Und wie das vorübergezogene Wetter die Landschaft zuerst ein wenig mitgenommen hinterlässt, bis erste Sonnenstrahlen den Fluren zu leuchtendem Grün und den Vögeln zu wiedergewonnener Stimme verhelfen, so zieht auch in der heimeligen Küche alsbald die Ruhe nach dem Sturm auf und lässt die Gesichter der beiden Frauen aufleuchten.
Die Intimität des Augenblicks schwingt nach, auch als sich die beiden Frauen nicht mehr umarmen. Siona bemüht noch einmal ihren Schürzenzipfel und lächelt der Köchin zu.
"Hrm." Wie nun weiter? Sarinas Lächeln gewinnt Spuren der Unsicherheit. Das ist eine doch sehr ungewohnte Situation. Ein Finger wischt etwas aus einem Augenwinkel.
Dann, unvermittelt, eilt Sarinas Blick durch die Küche auf der Suche nach der üblichen Antwort, der Arbeit. Was gibt es noch zu tun? Fast kommt sich die Köchin für einen Moment lang vor, als wäre sie das erste Mal hier.
Nicht nur der Blick der Köchin hastet durch die Küche. Auch die Magd überlegt fieberhaft, wie mit der Stille danach umgegangen werden kann. Leider hat sie alle ihr zugetragene Arbeit bereits erledigt. Die Kräuterbündel sind verstaut, das Obst gerichtet. Was bleibt? "Ich..." kommt es zögernd von Siona, "sollte vielleicht mal schauen, ob es draußen neuen Tee braucht."
Neuerliches Räuspern der Köchin. "Ähm, ja, das ist sicher eine gute Idee", stimmt Sarina freundlich zu, als habe man sie zu einem netten Spaziergang eingeladen. Irgendwie ist gerade alles völlig anders als zuvor. So ähnlich mag sich Urlaub anfühlen.
Um so mehr wird Sionas Vorschlag dabei helfen, sich der neuen Gegebenheiten und Gefühle klarzuwerden und - noch wichtiger - wieder zum Alltag mit seiner Arbeit zurückzufinden. Auch wenn es vom Schankraum her nicht gerade nach hungrigen Horden klingt.
Sarina derweil schaut ihrer nunmehr so viel vertrauteren Kollegin friedlich lächelnd nach. Erst untypisch lange Momente später erinnert sie sich, auch selbst ja mal wieder tätig werden zu können, und wendet sich dem Herde zu.

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Ausschnittliste / Der historische Grüne Eber

Redaktion und Lektorat: OHH 2013