Theaternachwirkungen
Verfasser: Astrid Brandt, Oliver H. Herde, Ralf Büngener und andere
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Wieder hebt die Melodie an, mit der sie in die Traumwelt eingetreten sind. Nur diesmal klingt es nicht wie Vogelsang, mehr wie fallende Steinchen oder Tropfen. Diese Melodie ist auch im Eber zu hören, für diejenigen, die noch am gleichen Tisch sitzen oder gute Ohren haben.
Die Melodie wird leiser und verklingt schließlich ganz. Jana bleibt vorgebeugt, um Casha stützen zu können, wenn es nötig sein sollte, denn manchmal wird Personen bei der Rückkehr schwindelig.
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Mit geschlossenen Augen am Tisch sitzend beginnt Urszula/Casha den Raum im Eber wieder wahrzunehmen. Die leisen Geräusche, das Prasseln des Kaminfeuers. Janas Hände, die die ihren umfassen. Vorsichtig blinzelnd beginnt die Bornländerin die Augen zu öffnen. Obwohl ihr nicht schwindelg ist, hält sie die Hände weiterhin fest. Und so trifft der erste klare Blick der blauen Augen voller Dankbarkeit auf Jana.
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Auch Reska erwacht - mehr oder weniger. Oder doch nicht? Ein Räkeln geht durch den Körper, aber so recht offen kann man die Augen eigentlich noch nicht nennen. Wer mag da sagen, was gehört wird und was nicht!
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Nun erlaubt Jana sich, die Leere in ihrem Inneren zu spüren. Sie war zu lange in der Traumwelt! Ihre Kraft war aufgebraucht, der Blutstein ist eingesprungen und hat ihr erlaubt, mit Lebenskraft weiterzuzaubern. Sie möchte sich zusammenrollen, allein sein und weinen. 'Selina, warum bist du so weit weg?'
Aber da ist ein anderes Paar blaue Augen, ein klarer Blick, Dankbarkeit. Wie eine Ertrinkende hält Jana sich gedanklich an diesem Lichtblick fest, während sie das Gesicht verzieht, sich zusammenkrümmt und nach Luft ringt.
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Casha will gerade zu einer Bemerkung ansetzen, als sie den aufbrandenden Schmerz, ja beinahe Verzweiflung in den Augen Janas erkennt. Die Worte bleiben im Halse stecken, stattdessen rutscht die Freiin von ihrem Stuhl und sinkt vor Jana auf die Knie. Beihnahe heftig - weil hastig - löst sie die Hände aus Janas Griff, aber nur, um die nun freien Arme um die leidende Freundin zu schlingen und sie fest an ihre Brust zu ziehen.
"Ich bin da; du bist nicht allein", murmelt sie beruhigend in Janas Ohr, während eine Hand sacht und beruhigend abwechselnd den Rücken, den Nacken oder den Hinterkopf streichelt. "Es wird wieder gut, Anioleszka, wird wieder gut..."
Das Murmeln geht nach und nach in einen leisen Singsang über. Die Worte in bornischer Sprache sind schwer zu verstehen, doch die Melodie ist sanft und beruhigend. Es handelt sich um das im Bornland weit verbreitete Lied "Moj Anioleszka przyshniak oddali", dessen Text in Garethi bedeutet:
"Mein Engelchen zieht in die Ferne, mein Engelchen scheidet von mir.
Mein Engelchen zieht in die Ferne, oh bliebe, mein Engelchen, hier!
Oh ich, oh ich, ich wollte, mein Engelchen bliebe hier.
Oh ich, oh ich, oh bliebe mein Engelchen hier!"
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Nun blinzelt Reska doch mal verstolen durch die Lider. Da scheint es im Traumtheater ja ganz schön hergegangen zu sein, noch mehr, als vorhin zu erahnen! Offenbar haben sich die beiden Damen inzwischen sehr eng angefreundet. Beneidenswert.
Die Augenschlitze schließen sich einstweilen wieder.
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'Es geht schon wieder', sollte die Signora jetzt lügen, sich entschuldigen und auf ihr Zimmer gehen, bis dieser seltsame Anfall vorbei ist. All das tut sie nicht, denn eigentlich ist Jana viel zu müde, um zu stehen oder sich auch nur gegen den Einfall der dunklen Emotionen zu wehren.
Da ist jemand, das kann sie spüren. Da sind Berührungen, Wärme, ein fremder und doch vertraut wirkender Duft. Da sind Worte, eine Melodie. Obwohl Jana die Worte nicht versteht, erkennt sie doch den Sinn des Liedes. Die Melodie öffnet etwas in ihr und lässt all das Gute, das sie gerade spürt, in die Leere strömen und die bösen Gefühle zurückdrängen.
Doch dieses kleine bisschen Zuversicht bringt Jana dazu, sich zu wehren. Ihr Körper entspannt sich etwas, sie schlingt die Arme um Casha, um all das Gute festzuhalten und in sich hineinzusaugen. Sie lehnt ihren Kopf an Cashas Schulter und lässt all das Dunkle in Form von Tränen aus sich hinausfließen. Passend dazu verwandelt sich ihr Keuchen in ein leises Schluchzen.
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Nahezu erleichtert nimmt Casha wahr, wie das Keuchen in ein Schluchzen übergeht, und sie begrüßt immerlich die langsam aufkommende Feuchte an ihrer Schulter, als Janas Tränen dort das Kleid benetzen. Möge die Freundin in ihrer Nähe ein wenig Trost finden.
Den Druck des harten Gasthausbodens auf ihre Knie ignoriert sie, während sie weiterhin leise singend Trost spendet.
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Es dauert eine ganze Zeit. Aber nach und nach fließen in der liebevollen Umarmung ihrer neuen Freundin die überbordenden Emotionen in Form von Tränen aus Jana heraus und sie kann sich zunehmend entspannen. "Danke", flüstert sie von Herzen kommend, als sie zum ersten Mal den Kopf hebt. Schließlich schafft sie es, sich aufzurichten und noch leicht zitternd aus eigener Kraft zu sitzen.
Jetzt erst bemerkt sie Cashas unbequeme Position und will den Arm ausstrecken, um ihr aufzuhelfen. Dabei findet sie das Taschentuch, das sie offenbar die ganze Zeit festgehalten hat und tupft die restlichen Tränen von ihren Augen. "Es tut mir leid, auch wegen des Kleides", entschuldigt sie sich, als ihr Blick auf den dunklen Fleck an der Schulter fällt.
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Aufmerksam und ein wenig besorgt mustert Casha die Schauspielerin. Die schmerzenden Knie rufen derweil nach einer Positionsänderung. Da die Umarmung sich inzwischen gelockert hat, nutzt sie die Gelegenheit der Antwort, um sich ebenfalls aufzurichten. Mit einer fast wegwerfenden Handbewegung streicht sie über den dunklen Fleck. "Ach was, das trocknet wieder."
Mit einem leichten Ächzen erhebt sie sich und nimmt wieder neben Jana Platz. Noch immer besorgt, legt sie dann ihre Hand auf Janas Oberschenkel. "Geht es wieder? Brauchst du etwas? Etwas zu Trinken, Essen... oder einfach nur... Ruhe?"
Erst jetzt fällt der Bornländerin die veränderte Zusammensetzung am Tisch auf. Fragend schaut sie zu Reska.
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Durch schmale Schlitze wurde das rührige Bild unverwandt beobachtet. Als nun der Zuschauerblick so unvermutet erwidert wird, hebt Reska die Brauen - fragend, was es denn wohl zu fragen geben mag.
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Mit einer stummen Bewegung des Kopfes deutet die Freiin auf Stühle am Tisch und wiederholt die fragende Geste der Augenbrauen, diesmal unterstützt von einem leichten Heben der Schultern.
Die Aufmerksamkeit ist dabei nach wie vor auf Jana gerichtet.
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Braucht sie etwas? Das weiß Jana im Moment selber nicht. Sie fühlt in sich hinein um herauszufinden, wie es ihr geht. Ihre Kraft ist verbraucht, nicht das kleinste Flämmchen ist noch da, Lebenskraft ist noch ausreichend da. Die Leere wird sich mit ein bisschen Zeit und Ruhe wieder füllen. Ihre Gefühle sind fürs Erste wieder im Gleichgewicht, aber sie wird daran bestimmt noch eine Weile zu kauen haben.
Allerdings macht sich eine andere Leere in Jana breit: "Ich habe einen Bärenhunger." Das Stück Honigkuchen auf dem Tisch vor ihr sieht plötzlich sehr verlockend aus. Und einen Schluck Tee, wenn auch inzwischen kalt, würde sie auch nicht verschmähen.
Die unausgesprochene Frage Cashas an Reska nimmt Jana wahr. Aber da sie sich im Augenblick nicht genau erinnert, wer wann warum wohin gegangen ist, überlässt sie die Antwort lieber Reska und greift stattdessen nach der Teekanne. Das leichte Zittern des Armes versucht sie zu ignorieren.
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Fängt Urszula jetzt auch vermehrt mit unartikulierter Verständigung an? Damit ist sie bei Reska an der rechten Adresse. Durch ganz ähnliches Kopfneigen wird auf die Entfleuchten, jedoch noch im Schankraum anwesenden verwiesen, dann folgt das zugehörige Achselzucken. Schließlich wird die gute Urszula ja wohl nicht erwarten, dass Reska darüber ins Blaue spekuliert, weswegen Zaünin und der Magus vorhin aufgebrochen sind. Zudem war sie ja gerade noch bei Sinnen, dies selbst mitzubekommen. Vielleicht wollten die beiden schlicht nicht beim Traumspazieren zuschauen?
Unwillkürlich schaut Reska auf Janas etwas unsichere Bewegungen.
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"Du weißt auch nicht, warum sie fortgeganegn sind?" übersetzt die Freiin die Gestik der Norbardin. "Eigentlich schade, die Heilerin könnte jetzt ganz gut einen Blick auf Jana werfen. Naja, wahrscheinlich ist es nichts, was man nicht mit Wärme, gutem Essen und etwas zu Trinken wieder in Ordnung bringen könnte. Du glaubst gar nicht, wie anstrengend das sein kann, wenn man sich so lange konzentrieren muss."
Sie wendet sich fürsorglich an Jana. "Ich werde mich gleich um etwas zu essen kümmern. Du kannst auch gern von meiner kalten Keule naschen." Doch dann fällt ihr ein, dass ja Reska das schon übernommen hat. Viel wird wohl nicht mehr übrig sein. Glücklicherweise entdeckt sie dann den sich auf den Weg machenden Knecht. Gut, dann kann sie hier bei Jana bleiben und sich um sie kümmern. Nur ungern würde sie die geschwächte Schauspielerin jetzt mit Reska allein lassen. Nicht, dass Reska ihr gefährlich werden würde, aber Jana möchte bestimmt nicht allein mit einer fast fremden Person hier sitzen.
"Schau, da kommt schon jemand!" Urszula winkt theatralisch zu Alrik hinüber und schaut aufmunternd wieder auf Jana. Dabei fällt auch ihr das kaum zu unterdrückende Zittern auf. Kurz entschlossen rückt sie mit ihrem Stuhl näher an die neugewonnene Freundin heran und legt ihr zuerst das dunkelblaue Wolltuch mit den hellen Rauten und dann den Arm um die Schultern. "Halte durch."
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Beim Gedanken, von der kalten Keule zu naschen, schüttelt Jana sich innerlich so sehr, wie ihr Arm zittert. Von Casha angefeuert, hält sie aber durch und schafft es, die halbvolle Kanne zu sich zu ziehen und etwas Tee einzuschenken, ohne dass dabei ein Malheur passiert. "Es wird schon wieder", antwortet sie diesmal wahrheitsgemäß: "Das Schlimmste waren die Emotionen, durch die hast du mir hindurchgeholfen, vielen Dank dafür." Bei diesen Worten blickt die Schauspielerin ihre Sitznachbarin direkt an und transportiert den Dank auch im Blick.
"Jetzt bin ich nur noch erschöpft; ich habe mich beim Zaubern etwas übernommen, ohne es zu merken. Nun etwas essen, trinken und schlafen, dann geht es mir morgen früh schon wieder gut. Na ja, zumindest viel besser", fügt sie in einem plötzlichen Anfall von Ehrlichkeit noch hinzu. Die Wärme des Wolltuchs, das farblich erstaunlich gut mit ihrem violetten Kleid harmoniert, sowie des Armes sind wohltuend und helfen das Zittern zu verringern.
Da Alrik schon an den Tisch gewunken wird, muss Jana sich schnell entscheiden. "Was möchte ich denn?" murmelt sie und blickt auf die Speisentafel.
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Die Bornländerin lächelt warm zurück. Jana ihren Überlegungen bezüglich der Essenswahl überlassend, richtet Urszula das Wort erneut an Reska. "Und, was haben wir verpasst? Wie lange waren wir überhaupt... in diesem Traum? Das Theaterstück müssen wir uns übrigens unbedingt ansehen, wenn es dann fertig ist. Aber ich bin zuversichtlich, dass Jana... also Frau d'Aminovitch es jetzt schnell fertigstellen wird." Die Worte sprudeln wieder, wenn vielleicht auch nicht ganz so unbedarft wie noch zu Beginn des Abends. Irgend etwas hat sich geändert.
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"Da bin ich mir nicht so sicher", wirft die Schauspielerin ein, die sich schnell entschieden hat, was sie essen möchte. "Du hast mir klar gemacht, dass es einer gründlichen Überarbeitung bedarf. Ich kann doch mein Publikum keinem Stück aussetzen, dem ich selbst emotional nicht gewachsen bin." Das Reden tut gut, mit jedem Wort fühlt Jana sich kräftiger und das Zittern lässt weiter nach.
"Auch ob ich die Hauptrolle selber spiele, muss ich mir noch einmal überlegen. Die Szene im Wagen könnte ich nie spielen, die würde mich immer zu sehr daran erinnern, was heute passiert ist."
Das erinnert sie an etwas anderes, das sie noch sagen wollte: "Wenn deine Tante und dein Onkel dir mal Zeit lassen, kannst du jederzeit bei mir als Regisseurin anfangen. Die Inszenierung des Prologs war phänomenal, besser als ich es mir selbst vorgestellt hatte." Inzwischen kann die Impresaria wieder strahlen.
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Ganz offensichtlich erwartet Urszula keine Antwort. Von ihrer Keule ist allerdings je nach Betrachtungsweise wenig bis nichts übrig, was Reskas Blick kurz verlegen über den Tisch schweifen lässt.
Aber die Freiin plappert ja bereits unentwegt weiter. So lehnt sich Reska wieder behaglich an, faltet die Hände vor dem vollen Bauche und beobachtet weiter, was so vor sich geht.
Als Urszula sich dann doch wieder Reska widmet - oder dies zumindest zu tun vorgibt - erntet sie zunächst nur verwirrte Blicke. Will sie wirklich eine Zeitangabe? Geschehen ist ja wohl eher gar nichts. Das Thema wird ohnedem schon wieder zum Theater geändert und von der Daminowitsch aufgegriffen. Selbst, wenn Reska auf irgend etwas antworten wollte und inhaltlich könnte, so gäbe es doch kaum einmal Gelegenheit hierfür.
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Urszula nickt. Sich ein wenig im Stuhl zurechtrückend, legt sie Jana nun die zweite Hand auf den Unterarm. "Da hast du auch wieder Recht, mein Liebe. Aber jetzt hast du doch hoffentlich eine bessere Vorstellung von dem, was und wie du die Geschichte erzählen willst, oder? Und ich bin ehrlich gesagt sehr froh, wenn du nicht wie beabsichtigst selber die Rolle deiner Mutter übernimmst. Vielleicht... Vielleicht ist ein wenig Abstand, ein wenig Verfremdung ja ein gutes Mittel, um die Geschichte angemessen erzählen zu können. Muss denn jeder sogleich erkennen, dass es sich um deine Mutter und reale Geschehnisse handelt? Reicht es nicht, wenn du weißt, was der wahre Hintergrund ist?"
Die letzten Worte Janas zaubern dann eine jungmädchenhafte Röte auf die doch eher blassen Wangen der Bornländerin. "Wirklich?" Auch sie strahlt jetzt. "Na, ich kann ja mal nachfragen, was der Onkel dazu sagt... oder du leistest mir bei der Tante Gesellschaft, da hätten wir viel Zeit zum Reden und Planen." Die blauen Augen leuchten förmlich, so sehr scheint Urszula von dieser Idee begeistert zu sein.
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Die Schauspielerin scheint nicht so begeistert vom Vorschlag der Freiin: "Entschärfen, verfremden... Mir scheint, ich muss meinen ganzen Ansatz zum Theaterstück neu überdenken und mir klarmachen, was ich damit überhaupt erreichen will. Will ich mein Publikum unterhalten, will ich eine bestimmte Geschichte erzählen, oder ist es vielleicht doch nur meine Eitelkeit, die ich da auf die Bühne bringen wollte? Diese Frage habe ich mir noch nie gestellt, es war einfach so eine fixe Idee in meinem Kopf. Von der Antwort hängt dann alles andere ab, auch, wie ich es inszenieren will. Dafür werde ich wohl ein bisschen Zeit und Ruhe brauchen, jedenfalls nicht mehr heute Abend."
Dann nimmt Jana Cashas anderen Vorschlag mit mehr Interesse auf: "Vielleicht hilft es mir ja, mich anschließend noch einmal mit dir zu unterhalten. Schließlich brauche ich dann eine fähige Regisseurin. Wenn du mir die Adresse deiner Tante Vernuschka gibst, können wir uns schreiben und verabreden."
Das Zittern ist inzwischen fast völlig verschwunden. Jetzt greift die Dame ziemlich sicher nach ihrem Tee und trinkt einen Schluck. Kalt und bitter, aber immerhin etwas zu trinken.
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Im ersten Moment fragt sich Reska, ob es denn recht sei, jemanden so in seinem Bestreben zu verunsichern. Es birgt ja immer ganz unvorhersehbare Gefahren, anderen in ihr Leben hineinzureden. Doch die Dame scheint über Urszulas Anstöße statt dessen ja sogar dankbar, also waren sie in diesem Falle vielleicht hilfreich.
Reska bleibt bei alledem nur, es sich erneut auf dem Stuhle bequem zu machen. Für das Bett scheint es eigentlich noch etwas zu zeitig zu sein.
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Mit einem leisen Lachen drückt Urszula Janas Schulter, lässt aber wieder davon ab, als sie den Griff zur Teekanne bemerkt. Nicht dass noch ein Unglück geschieht.
"Die Adresse des Tantchens gebe ich dir gerne. Und ich bin sicher, dass sie nichts dagegen hat, wenn du uns in Bethana besuchst. Sie schätzt gute Geschichten, und du musst keine Angst haben; sie ist nicht zimperlich. Ganz im Gegenteil; Tante Vernuschka hat schon so manchem die
Schamesröte ins Gesicht getrieben mit ihrer Ausdrucksweise."
Die Bronländerin schüttelt schmunzelnd den Kopf und hebt diesen dann, um nach dem Knecht Ausschau zu halten. Wo er nur bleibt? "Weißt du schon, was du essen willst?"
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Jana stellt den Teebecher vorsichtig wieder ab. Sie schmunzelt ebenfalls, als sie antwortet: "Damit wäre sie bei Selina genau an der richtigen Adresse. Und gute Geschichten kennt sie auch viele. Glaubst du, das wäre für deine Tante auch noch in Ordnung, wenn ich sie mitbringe? Selina meine ich, meine Frau. Ich verreise eigentlich nie ohne sie." Fragend blickt sie Casha an.
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Urszula wiegt den Kopf und meint dann: "Ich werde sie fragen und dir Kunde geben. Aber wahrscheinlich wäre es ihr sogar recht lieb. Sie langweilt sich doch schon genug so allein. Ein paar ferundliche Gesichter ab und zu - wer würde da nein sagen."
Ihrerseits fragend blickt sie zu Reska. "Und du? Bleibst du auch in Bethana? Oder willst du nach unserer Ankunft gleich weiterziehen?"
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Bei einer Randinformation heben sich Reskas Brauen und eröffnen für Momente einen aufmerksamen Blick. Die Dame ist mit einer Frau verheiratet? Solch ein Rechtsgeschäft scheint zwischen gleichgeschlechtlichen Vertragspartnern eine ungewöhnliche Idee zu sein. Sofern es um erbrechtliche Belange ginge, müsste eine entsprechende Nachlassregelung doch eigentlich genügen. Was für ein Zweck mag also sonst dahinterstehen? Oder handelt es sich nur um eine hiesige Volkstümlichkeit?
Bei Urszulas Frage hüpfen die Brauen gleich noch einmal. Fast scheint es gar, als zögen sie diesmal den gesamten Oberkörper mit in die Höhe. Über die Zeit nach Bethana hat Reska noch gar nicht recht nachgedacht. Natürlich wird Urszula irgendwann ins Bornland zurückkehren; für Reska wäre der Rückweg hingegen wohl noch immer mit Risiken verbunden. "Weiß nicht..." bleibt daher vorerst die ehrliche Antwort. Letztendlich muss man wohl schauen, was sich vor Ort ergibt.
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Eigentlich hätte Jana von Casha mehr Reaktion erwartet, als sie berichtet, mit einer Frau verheiratet zu sein. Mehr so wie Reska, die für ihre Verhältnisse sehr beredt reagiert. Casha ist wohl entweder noch erfahrener, toleranter oder selbstbeherrschter als Jana bislang schon dachte. Jana freut sich; das erspart ihr die Erklärungen, die sonst an dieser Stelle immer folgen müssen.
Stattdessen nutzt sie die wandernde Aufmerksamkeit ihrer Sitznachbarin und greift nach dem Honigkuchen. Sie riecht kurz daran: Süß und würzig. Dann beißt sie ein Stückchen ab. Wie erwartet, hat die Konsistenz durch die lange Reise gelitten, ist aber immer noch weich und saftig. Die angenehme Süße des Honigs wird durch die eben gerochenen Gewürze balanciert. Insgesamt passt der Kuchen gut zum Tee, bringt Jana aber auch auf eine neue Idee. Sie lenkt ihren Blick zurück zur Tafel mit den Speisen und findet das Gesuchte. Erfreut beißt sie gleich noch einmal ab.
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Innerlich muss Urszula über Reskas wandernde Augenbrauen schmunzeln. Na, da hat sie wohl noch nicht allzuviele Besuche in einer bornischen Schwitzhütte hinter sich. Die feuchte Hitze darin lockert nicht nur die Muskeln und Glieder, sondern oftmals auch die Moralvorstellung. Rahja hätte ihre Freude daran. Von daher ist der Umstand, dass Janas Herz für eine Frau schlägt nicht weiter aufsehenerregend.
In diesem Moment blitzt eine Erinnerung auf, etwas das Jana vorhin im Traum gesagt hat. Oh, Listiger, es wird wahrlich interessant. Die Vorfreude der Bornländerin auf ein baldiges Wiedersehen mit der Schauspielerin ist mit einem Mal noch größer als zuvor - was sich in einem aus der Tiefe kommenden Strahlen in den Augen manifestiert.
Da Jana sich noch mit der Speisetafel beschäftigt, setzt Urszula erst einmal das Gespräch mit Reska fort. "Ach komm, du kannst mich doch nach der langen gemeinsamen Zeit nicht einfach im Stich lassen. Oder ist dir meine Gegenwart so überaus lästig geworden, dass du es gar nicht erwarten kannst, mich wieder los zu sein? Habe ich mich nicht immer gut um dich und Mokosch gekümmert? Hat es dir an etwas gefehlt? Fehlt dir jetzt etwas? Wir können gleich noch bestellen, sag was du möchtest!"
Inzwischen ist der Knecht an dem großen Tisch angelangt und blickt fragend in die Runde. "Kann ich noch etwas bringen?"
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Gewiss wäre es Reska eine Erleichterung, hier nicht unausgesprochene Missverständnisse aufklären zu müssen. Da sie jedoch sind, was sie sind, erübrigt sich mit dem fehlenden Wissen darum auch die Freude darüber.
Mit widerum und diesmal dauerhaft erhobenen Brauen vernimmt Reska die lange Abfolge der einer vorausgestellten Bitte nachstürzenden Fragen. Diese offenkundig beidseitige Fehleinschätzung kann nun nicht übersehen werden. Reska lächelt treuherzig. Gewiss ist eine Fortsetzung des gegenwärtigen Abkommens alles andere als die schlechteste Idee. Es spricht nichts dagegen, und momentan bietet sich ja auch gar nichts sonst greifbar an.
Der abschließenden Aufforderung gilt es zunächst, eine Absage zu erteilen: Die Hände werden auf den gefühlt dickgewordenen Bauch gelegt. "Satt!" Und wie! Noch mehr, dann könnte nicht so ein zufriedenes Lächeln die Bezeugung begleiten. Ein Pfefferminzblättchen, ein einsames Kressepflänzlein gar könnte im Augenblick zuviel sein.
Doch da Urszulas anfänglichem Ansuchen so viele Worte gefolgt sind, kann nun nicht einfach mit einem einzelnen angenommen werden. "Ich bleibe gern." Mit so vollem Magen spricht es sich noch anstrengender als eh.
Gut, dass nun der Knecht um Aufmerksamkeit heischt. Wieder ein kleines Päuschen.
Weiter...
Ausschnittliste / anwesende Gäste / Lageplan
Redaktion und Lektorat: Oliver H. Herde im Jahre 2020