Zur Guten Nacht

Autor: Oliver H. Herde
Mit wenigen Schritten hat Lamiadon den Schankraum zur Eingangstüre hinaus verlassen. Auflebend atmet er durch. So lustig ein Tanz mit den Menschen, so erquicklich ist die Frische der lauen Nacht.
Doch still ist sie nur aus der Sicht des Unerfahrenen Städters. Nächtliche Kerbtiere singen ihr Lied zu einem stets anderen Chor vereint. Ein feiner Windhauch fängt sich in den Blättern der vereinzelten Bäume und Büsche ebenso, wie in den Grashalmen und den Winkeln der Hauswand.
Letzteres weist den Elfen darauf hin, sich noch ein paar Schritte vom Gebäude zu entfernen. So überquert er die Straße und bleibt dort erneut im Dunkel stehen, in welches hinein er seine scharfen Sinne öffnet.
Dränge nicht noch weiter der immerhin abebbende Schanklärm herüber, könnte sich Lamiadon beinahe in einem anderen Lande wähnen. Sanft streicht er die Blätter eines Strauches, dann wendet er sich zu dem Gehöft um.
Ja, die Menschen haben ihre ganz eigenen Melodien, so verschieden von jenen der Elfen wie die der Buchen oder der Bären - wenn man nicht gerade wie Belimon Schattentatz ist. Aber ein Elf, der sich diesen Melodien ganz verweigert, verpasst einen Teil der Welt. Lamiadon schmunzelt versonnen. Sicher auch eine Geschmacksfrage.
Doch hat der Hauch des Windes da eben Fianas Stimme im Gewirr der anderen herübergetragen? Schläft sie denn noch nicht? Wenn sie es ist, so überrascht es Lamiadon allerdings nicht, dass sie nicht allein ist. Der Geruch von Stallungen...
Nein, darauf hat er keine Lust, und bestimmt möchten die beiden unter sich bleiben.
Nachdem sich der Elf noch an geeignet erscheinender Stelle für die Nacht erleichtert hat, schlendert er in Richtung Sonnenaufgang um die kleine Gebäudeansammlung herum. Schon bald sticht ihm ein vertrauter Geruch in die Nase - intensiver und abstoßender als noch vor Momenten: Der Abort der Menschen. Da hätte er sich nun nicht gerne hineingewagt. In der Stadt lässt man ja einiges über sich ergehen, aber hier muss das nun wirklich nicht sein! Sein beschriebener Bogen wird daher etwas weiträumiger.
Einige kleinere Bäume kommen in Sicht, gerade dicht genug versammelt, um noch als Grüppchen durchzugehen. Der Geruch von Kräutern, Gemüsepflanzen und frischer, feuchter Erde. Dort muss ein Garten sein.
Obgleich hier jeder Baum als Wächter des Schlafes geeignet wäre oder man sich auch einfach weiter links ins Feld legen könnte, wo der Boden sicherlich weicher ist, zieht es Lamiadon doch weiter. Ein Brunnen taucht aus dem Halbdunkel auf. Sterne und Mondsichel beleuchten die besondere Aura der Szene. Einzelne Wolkenfetzchen dienen als Dekoration des weiten Himmelszeltes.
Der Brunnen... Lamiadon muss einfach herantreten und hineinschauen. Er schmunzelt über sich selbst, denn natürlich gibt es nicht viel mehr zu sehen als die schillernde kleine Wasseroberfläche ein paar Schritt unter ihm.
Schritte lassen den Elfen aufschauen. Der andere, möglicherweise Knecht des Hauses, achtet seiner nicht, was Lamiadon angesichts der Stunde nur recht sein kann. Nein, jener scheint sogar um rücksichtsvollen Abstand und Stille bemüht.
Kurz lächelt ihm Lamiadon nach, dann überrascht ihn wieder die ganz eigene Kraft dieses ortes. Und da ist noch mehr!
Mit ein paar Schritten steht er bei einem Kirschbaume, der ihm seltsam vertraut wirkt. So recht will ihm jedoch nicht einfallen, was dies bedeuten mag.
Vielleicht wird ihn die Nacht darüber aufklären, vielleicht der Morgen. In jedem Falle ist dies eine gute - eine sehr gute Stelle. Genau hier zwischen jenen beiden großen Wurzeln, wo der Boden etwas weicher und glatter ist. Schade, dass es für Kirschen wohl noch etwas früh im Jahr sein dürfte!
In einer gleitenden Bewegung legt sich der Elf nieder. Und nach einem letzten Blick zum Himmel mit den sanft raschelnden Kirschbaumblättern darunter schlummert er friedlich ein.

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